Bundesgerichtshof Urteil, 29. Juni 2000 - IX ZR 299/98
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
In diesem Umfang wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszugs trägt die Beklagte zu 5/6 und die Klägerin zu 1/6.
Von den in der Berufungsinstanz entstandenen Kosten der Nebenintervention trägt der Streithelfer 5/6 und die Klägerin 1/6. Die übrigen Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten zu 5/6 und der Klägerin zu 1/6 auferlegt. Von den Kosten des Revisionsverfahrens trägt die Beklagte 3/4 und die Klägerin 1/4.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin und die damals so firmierende I. mbH (Hauptschuldnerin) schlossen am 18. August 1993 einen Generalunternehmervertrag, in dem die Klägerin mit der schlüsselfertigen Herstellung des Bauobjekts "Neumarktmitte" in S. zum Preis von 18.817.390 DM zuzüglich Mehrwertsteuer sowie weiterer 884.417,33 DM für Zinskosten beauftragt wurde. § 4.1 des Vertrages sah einen Zahlungsplan vor, nach dem 500.000 DM am 30. Dezember 1993 (Nr. 1), 25 % des Restbetrages "bei Nutzungsübergabe des EG und 1. OG zum 15.10.1994" (Nr. 2) und 70 % des danach verbleibenden Restbetrages "nach Fertigstellung des Gebäudes ... und Abnahme sowie Vorliegen der Schlußrechnung" (Nr. 3) zu zahlen waren. Nach § 4.2 hatte die Hauptschuldnerin eine bis zum 28. Februar 1995 befristete Zahlungsbürgschaft zu stellen. Die Hauptschuldnerin zahlte Ende 1993 die erste Rate von 500.000 DM an die Klägerin. Am 10. März 1994 übernahm die Beklagte, eine Bank, die Bürgschaft - mit der zwischen den Werkvertragsparteien vereinbarten Befristung - bis zum Höchstbetrag von 19.202.000 DM "für den Fall, daß der Auftraggeber seinen Zahlungsverpflichtungen gemäß GU-Vertrag nach Fertigstellung und ordnungsgemäßer Übergabe des Gebäudes nicht nachkommt". Am 9. Dezember 1994 stellte die Klägerin gemäß § 4.1 Nr. 2 des Vertrages eine Teilrechnung über insgesamt 5.577.860,78 DM aus; dieser Betrag setzte sich aus der zweiten Werklohnrate in Höhe von 5.266.249,60 DM einschließlich Mehrwertsteuer sowie Zinsen und Vergütung für Nachtragsleistungen zusammen. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1994 nahm die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 5.487.353,96 DM in Anspruch. Nachdem sie sie mit Schreiben vom 3. Februar 1995 unter Hinweis darauf, daß sich die Fertigstellung des Bauobjekts verzögert habe und "die
Zahlungsvoraussetzungen ... noch nicht gegeben" seien, um Aufhebung der Befristung der Bürgschaft gebeten hatte und die Beklagte dem nicht nachgekommen war, erklärte sie dieser mit weiterem Schreiben vom 22. Februar 1995, daß sie sie nunmehr "in voller Höhe" aus der Bürgschaft in Anspruch nehme. Am 28. April 1995 erteilte die Klägerin der Hauptschuldnerin eine Schlußrechnung über 23.792.273,09 DM. Die Hauptschuldnerin beanstandete mit Anwaltsschreiben vom 18. Mai 1995, daß trotz Fehlens erheblicher Fertigstellungsleistungen eine örtliche Bauleitung nicht mehr vorhanden sei, und lehnte in einem Anwaltsschreiben vom 22. Mai 1995 die weitere Vertragserfüllung ab. In einem Rechtsstreit, den die Klägerin gegen die Hauptschuldnerin führte, wurde diese durch Urteil des Landgerichts Köln vom 16. April 1996 zur Zahlung von 21.865.548,85 DM verurteilt, davon 5 % Zug um Zug gegen Übergabe einer Gewährleistungsbürgschaft zu leisten ist. Nachdem die Hauptschuldnerin gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, wurde am 1. August 1996 über ihr Vermögen die Gesamtvollstreckung eröffnet.
Die Klägerin verlangt von der Beklagten im Wege des Urkundenprozesses Zahlung des oben erwähnten Betrages von 5.266.249,60 DM aus der zweiten und eines weiteren Teilbetrages von 1.000.000 DM aus der dritten Werklohnrate. Die Vorinstanzen haben der Klage - unter Vorbehalt der Rechte der Beklagten im Nachverfahren - stattgegeben. Die Revision der Beklagten hat der Senat nur insoweit angenommen, als diese zur Zahlung von mehr als 5.266.249,60 DM verurteilt worden ist. Insoweit verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist, soweit sie angenommen worden ist, begründet. Der mit der Klage geltend gemachte Teilbetrag von 1.000.000 DM steht der Klägerin nach dem Inhalt der Bürgschaftserklärung der Beklagten nicht zu.
I.
1. Die Bürgschaft war bis zum 28. Februar 1995 befristet. Das Berufungsgericht hat dies so verstanden, daß der Bürgschaftsanspruch gegen die Beklagte neben der fristgerechten Anzeige der Inanspruchnahme grundsätzlich auch voraussetze, daß die gesicherten Ansprüche bis zu jenem Zeitpunkt fällig geworden waren. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 91, 349, 355 f; Urt. v. 21. März 1989 - IX ZR 82/88, ZIP 1989, 627 f). Diese Voraussetzung war, wie den Ausführungen des Berufungsgerichts zu entnehmen ist, für die dritte Werklohnrate (§ 4.1 Nr. 3 des Generalunternehmervertrags ) bis zum 28. Februar 1995 nicht eingetreten; es fehlte damals noch an der endgültigen Fertigstellung und der Abnahme. Das Berufungsgericht hat gemeint, dies stehe unter den hier gegebenen Umständen dem Bürgschaftsanspruch nicht entgegen; denn nach der inhaltlich eine Kündigung darstellenden Ablehnungserklärung der Hauptschuldnerin vom 22. Mai 1995 habe es nicht mehr zur Fertigstellung und Abnahme kommen können. Die Klägerin habe Anspruch auf Vergütung der bis dahin erbrachten Leistungen; darüber
habe sie am 28. April 1995 die nach § 8 Nr. 6 VOB/B erforderliche Schlußrechnung erteilt.
2. Dieser Anspruch der Klägerin ist indessen, wie die Revision zu Recht beanstandet, durch die von der Beklagten übernommene Bürgschaft nicht gedeckt. Die Fälligkeit der dritten Werklohnrate setzte nach den Bestimmungen des Generalunternehmervertrags, auf die die Bürgschaftserklärung insoweit Bezug nimmt, "Fertigstellung des Gebäudes ... und Abnahme sowie Vorliegen der Schlußrechnung" voraus. Dazu ist es, wie das Berufungsgericht selbst ausgeführt hat, nicht gekommen. Daß die Bürgschaft der Beklagten auch den nach Kündigung des Werkvertrags entstandenen Anspruch nach § 8 Nr. 2 VOB/B erfaßte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 14. Dezember 1995 - IX ZR 57/95, ZIP 1996, 172, 174), läßt sich der Bürgschaftsurkunde nicht ohne weiteres entnehmen ; das Berufungsgericht, das dies offenbar angenommen hat, hat seine Ansicht nicht begründet und dazu keine Feststellungen getroffen. Letztlich kommt es darauf hier nicht an. Auch ein Anspruch der Klägerin nach § 8 Nr. 2 VOB/B ist jedenfalls nicht bis zum 28. Februar 1995 fällig geworden. Damit hat die Beklagte, die sich nur für bis zu diesem Zeitpunkt fällig werdende Ansprüche verbürgt hat, dafür nicht einzustehen. Das Berufungsgericht hat sich offenbar von dem Gedanken leiten lassen, der Klägerin dürften keine Nachteile daraus entstehen, daß die Fertigstellung des Bauwerks sich ohne ihr Verschulden verzögert habe. Nach den Entscheidungsgründen des vom Berufungsgericht als Beweisurkunde herangezogenen Urteils des Landgerichts Köln vom 16. April 1996 hatte die Klägerin die Bauarbeiten berechtigterweise eingestellt, weil die Hauptschuldnerin mit der Zahlung der zweiten Werklohnrate "seit Monaten" im Verzug war.
Das rechtfertigt es jedoch nicht, die von der Beklagten eingegangene Bürgschaftsverpflichtung über den mit der Befristung bestimmten Zeitpunkt hinaus zu verlängern und damit auszuweiten. Die Klägerin hat die Befristung hingenommen, weil sie meinte, die Arbeiten bis zu dem in der Bürgschaft bestimmten Endzeitpunkt beenden zu können. Sie hat damit im Verhältnis zur Beklagten das Risiko übernommen, daß sich die Arbeiten aus irgendeinem Grund verzögerten. Der Verwirklichung dieses Risikos hätte sie später, als sich die - von der Hauptschuldnerin verursachte - Verzögerung abzeichnete, nur dadurch entgehen können, daß sie von der Hauptschuldnerin ein weitergehendes Sicherungsmittel verlangte und im Fall der Verweigerung die Arbeiten rechtzeitig einstellte. Die Bürgschaftsverpflichtung der Beklagten wurde von dem Verhalten der Hauptschuldnerin nicht berührt.
II.
Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung des Teilbetrags von 1.000.000 DM aus der dritten Werklohnrate läßt sich deshalb nicht aufrechterhalten ; das Berufungsurteil ist insoweit aufzuheben. Da keine weiteren tatsäch-
lichen Feststellungen zu treffen sind, hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden. Die Klage ist in dem genannten Umfang abzuweisen.
Kreft Stodolkowitz Kirchhof Zugehör Ganter
Annotations
(1) Hat sich der Bürge für eine bestehende Verbindlichkeit auf bestimmte Zeit verbürgt, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger die Einziehung der Forderung unverzüglich nach Maßgabe des § 772 betreibt, das Verfahren ohne wesentliche Verzögerung fortsetzt und unverzüglich nach der Beendigung des Verfahrens dem Bürgen anzeigt, dass er ihn in Anspruch nehme. Steht dem Bürgen die Einrede der Vorausklage nicht zu, so wird er nach dem Ablauf der bestimmten Zeit frei, wenn nicht der Gläubiger ihm unverzüglich diese Anzeige macht.
(2) Erfolgt die Anzeige rechtzeitig, so beschränkt sich die Haftung des Bürgen im Falle des Absatzes 1 Satz 1 auf den Umfang, den die Hauptverbindlichkeit zur Zeit der Beendigung des Verfahrens hat, im Falle des Absatzes 1 Satz 2 auf den Umfang, den die Hauptverbindlichkeit bei dem Ablauf der bestimmten Zeit hat.