Bundesgerichtshof Urteil, 18. Juli 2007 - IV ZR 254/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 842,77 € Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin verlangt vom Beklagten, einem Lebensversicherungsunternehmen , im Wege der Stufenklage Auskunft über den Rückkaufswert einer kapitalbildenden Lebensversicherung ohne Verrechnung mit Abschlusskosten und Zahlung des sich daraus ergebenden Betrages.
- 2
- Die Klägerin hatte beim Beklagten zum 1. Juni 1998 einen Vertrag über eine Rentenversicherung mit Kapitalwahlrecht und einer Beitragspflicht bis zum 1. Juni 2019 abgeschlossen. Die in den Vertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) enthielten Bestimmungen über den Rückkaufswert bei Kündigung (§ 5 AVB) und die Verrechnung von Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren (§ 14 Abs. 1 AVB). Entsprechende gleichartige Klauseln anderer Lebensversicherer hat der Senat durch zwei Urteile vom 9. Mai 2001 wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für unwirksam erklärt (BGHZ 147, 354 und 373). Die Klägerin kündigte den Vertrag zum 1. Juni 2001. Bis dahin hatte sie 3.751,32 DM (= 1.918,02 €) Beiträge eingezahlt. Das Abrechnungsschreiben des Beklagten weist ohne weitere Angaben einen Rückkaufswert von 2.103 DM (= 1.075,25 €) aus. Im Februar 2002 hat der Beklagte die unwirksamen Bestimmungen in §§ 5 und 14 Abs. 1 AVB im Treuhänderverfahren nach § 172 Abs. 2 VVG durch inhaltsgleiche, seiner Meinung nach transparent formulierte Klauseln ersetzt.
- 3
- Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe Anspruch auf einen Rückkaufswert ohne Verrechnung mit Abschlusskosten. Zumindest müssten diese wie bei der Riesterrente über einen längeren Zeitraum verteilt werden. Die inhaltsgleiche Klauselersetzung im Treuhänderverfahren sei unwirksam und könne auch nicht Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung sein.
- 4
- Das Amtsgericht hat die Stufenklage insgesamt abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Anträge weiter.
Entscheidungsgründe:
- 5
- Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
- 6
- Das I. Berufungsgericht hält die Klauselersetzung nach § 172 Abs. 2 VVG im Gegensatz zum Amtsgericht für unwirksam, weil der Vertrag im Zeitpunkt der Durchführung des Treuhänderverfahrens bereits gekündigt war. Es gelangt aber im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu einer inhaltsgleichen Ersetzung der unwirksamen Klauseln und damit zur Zulässigkeit der Verrechnung der Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren.
- 7
- Die II. Erwägungen des Berufungsgerichts zur Anwendung des § 172 Abs. 2 VVG sowie zur ergänzenden Vertragsauslegung und seine daraus abgeleiteten Folgen für den Auskunftsanspruch der Klägerin halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 8
- 1. Die Senatsurteile vom 9. Mai 2001 (aaO) haben dazu geführt, dass die davon betroffenen und andere Lebensversicherer, die gleichartige Klauseln verwendet hatten, diese im Treuhänderverfahren nach § 172 Abs. 2 VVG durch inhaltsgleiche, ihrer Meinung nach nunmehr transparent formulierte Bestimmungen ersetzt haben. Durch Urteil vom 12. Oktober 2005 (BGHZ 164, 297) hat der Senat die im Zusammenhang damit aufgeworfenen und in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantworteten Rechtsfragen entschieden. Er hat im Einzelnen ausgeführt , dass § 172 Abs. 2 VVG auch auf die kapitalbildende Lebensver- sicherung anwendbar ist, welche Voraussetzungen für die Durchführung des Treuhänderverfahrens gegeben sein müssen und welchen Maßstäben die Klauselersetzung inhaltlich genügen muss.
- 9
- Der Senat hat die von der dortigen Beklagten mit Zustimmung des Treuhänders vorgenommene Vertragsergänzung durch inhaltsgleiche Bestimmungen für unwirksam erklärt (aaO S. 312 ff.). Für die Klausel über den Stornoabzug ergibt sich dies bereits nach § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG i.V. mit §§ 174 Abs. 4, 176 Abs. 4 VVG. Nach den letztgenannten gesetzlichen Vorschriften setzt die Berechtigung zu einem Abzug eine Vereinbarung voraus, an der es bei Unwirksamkeit der Klausel fehlt. Die inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln über den Rückkaufswert bei Kündigung und die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung sowie über die Verrechnung der Abschlusskosten , für die das Gesetz keine konkrete Ersatzregelung zur Verfügung stellt, hat der Senat für unwirksam gehalten, weil sie die gesetzliche Sanktion der Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG, jetzt § 307 Abs. 1 BGB unterläuft und schon deshalb mit den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren ist. Insoweit hat der Senat die durch die Unwirksamkeit der ursprünglichen Klauseln entstandene Regelungslücke im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen. Danach darf die Rückvergütung bei Kündigung einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser wird bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals.
- 10
- 2. Daraus folgt, dass die Klägerin nach Maßgabe des Senatsurteils vom 12. Oktober 2005 Anspruch auf einen Mindestrückkaufswert hat. Ob - wie der Beklagte im Revisionsverfahren vorträgt - der ausgezahlte Rückkaufswert dem entspricht, wird das Landgericht zu prüfen haben.
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
AG Charlottenburg, Entscheidung vom 13.02.2003 - 219 C 195/02 -
LG Berlin, Entscheidung vom 21.10.2003 - 7 S 22/03 -
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(1) Die Parteien verhandeln über den Rechtsstreit vor dem erkennenden Gericht mündlich.
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(1) Bei der Berufsunfähigkeitsversicherung ist der Versicherer verpflichtet, für eine nach Beginn der Versicherung eingetretene Berufsunfähigkeit die vereinbarten Leistungen zu erbringen.
(2) Berufsunfähig ist, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann.
(3) Als weitere Voraussetzung einer Leistungspflicht des Versicherers kann vereinbart werden, dass die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.
(1) Sind Allgemeine Geschäftsbedingungen ganz oder teilweise nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam, so bleibt der Vertrag im Übrigen wirksam.
(2) Soweit die Bestimmungen nicht Vertragsbestandteil geworden oder unwirksam sind, richtet sich der Inhalt des Vertrags nach den gesetzlichen Vorschriften.
(3) Der Vertrag ist unwirksam, wenn das Festhalten an ihm auch unter Berücksichtigung der nach Absatz 2 vorgesehenen Änderung eine unzumutbare Härte für eine Vertragspartei darstellen würde.
(1) Stellt der Versicherer fest, dass die Voraussetzungen der Leistungspflicht entfallen sind, wird er nur leistungsfrei, wenn er dem Versicherungsnehmer diese Veränderung in Textform dargelegt hat.
(2) Der Versicherer wird frühestens mit dem Ablauf des dritten Monats nach Zugang der Erklärung nach Absatz 1 beim Versicherungsnehmer leistungsfrei.
Die §§ 150 bis 170 sind auf die Berufsunfähigkeitsversicherung entsprechend anzuwenden, soweit die Besonderheiten dieser Versicherung nicht entgegenstehen.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
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mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.