Bundesgerichtshof Urteil, 24. Jan. 2007 - IV ZR 249/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.772,48 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. November 2004 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
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- Der bei der Beklagten rechtsschutzversicherte Kläger verlangt die Erstattung von Verkehrsanwaltsgebühren seines Prozessbevollmächtigten erster und zweiter Instanz in einem Schadensersatzprozess, die jener für die Beauftragung eines Revisionsanwalts beim Bundesgerichtshof und dessen Unterrichtung im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde geltend macht.
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- Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (im Folgenden: ARB 75, vgl. VerBAV 1976, 130; 1980, 210; 1992, 186, 337) zugrunde. Nach Ansicht des Klägers hat die Beklagte die Verkehrsanwaltskosten gemäß § 2 (1) Buchst. a der Versicherungsbedingungen allein deshalb zu tragen, weil er weiter als 100 km von dem für die Nichtzulassungsbeschwerde im Schadensersatzprozess zuständigen Bundesgerichtshof entfernt wohnt. Die Beklagte meint dagegen, sie habe nur Kosten zu decken, die im Sinne von § 91 ZPO zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren; dazu gehörten im Revisionsverfahren die Kosten eines Verkehrsanwalts in der Regel aber nicht. Die Vorschriften der ARB 75, über deren Auslegung die Parteien streiten, lauten auszugsweise: "§ 1 Gegenstand (1) Der Versicherer sorgt nach Eintritt eines Versicherungsfalles für die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers, soweit sie notwendig ist, und trägt die dem Versicherungsnehmer hierbei entstehenden Kosten. Die Wahrnehmung rechtlicher Interessen ist notwendig, wenn sie hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. … § 2 Umfang (1) Der Versicherer trägt
a) die gesetzliche Vergütung eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwaltes. Dieser muß in den Fällen der Verteidigung wegen Verletzung einer Vorschrift des Straf-, Ordnungswidrigkeiten-, Disziplinar- oder Standesrechtes und der Wahrnehmung rechtlicher Interessen außerhalb der Bundesrepublik Deutschland am Ort des zuständigen Gerichtes wohnhaft oder bei diesem Gericht zugelassen sein.
In allen anderen Fällen ist es nicht erforderlich, dass der Rechtsanwalt am Ort des zuständigen Gerichtes wohnhaft oder bei diesem Gericht zugelassen ist; in diesen Fällen trägt der Versicherer die gesetzliche Vergütung jedoch nur, soweit sie auch bei Tätigkeit eines am Ort des zuständigen Gerichtes wohnhaften oder bei diesem Gericht zugelassenen Rechtsanwaltes entstanden wären. Wohnt der Versicherungsnehmer mehr als 100 km vom zuständigen Gericht entfernt und erfolgt eine gerichtliche Wahrnehmung seiner Interessen, trägt der Versicherer auch weitere Rechtsanwaltskosten bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung eines Rechtsanwaltes, der lediglich den Verkehr des Versicherungsnehmers mit dem Prozessbevollmächtigten führt; …"
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- Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Der Kläger hat mit Zustimmung der Beklagten Sprungrevision eingelegt.
Entscheidungsgründe:
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- Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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- 1. Nach Auffassung des Amtsgerichts verpflichtet auch § 2 ARB 75 die Beklagte nicht zur Tragung von Kosten der Rechtsverfolgung, die nicht zu den notwendigen Kosten im Sinne von § 91 ZPO gehören. Aus § 1 ARB 75 ergebe sich, dass die Deckungspflicht der Beklagten unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit der entstandenen Kosten stehe. In der auf die Prüfung von Rechtsfragen beschränkten Revisionsinstanz sei die Einschaltung eines Verkehrsanwalts nicht mehr erforderlich, soweit nicht ausnahmsweise der Vortrag zusätzlicher Tatsachen auf Anfrage des Gerichts in Betracht komme.
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- 2. Diese von der Beklagten verteidigte Ansicht wird von mehreren Gerichten und auch in der Literatur vertreten (vgl. LG Fulda ZfS 1990, 416 f.; LG Göttingen r+s 1993, 187; AG Osnabrück r+s 1999, 246; Böhme , Allgemeine Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung (ARB), 11. Aufl. § 2 (1) a Rdn. 18). Andere Autoren haben diese Auffassung dagegen zurückgewiesen (Bauer, NJW 2000, 1235, 1237; ders. in Harbauer , Rechtsschutzversicherung 7. Aufl. § 2 ARB 75 Rdn. 77; Prölss/ Armbrüster in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. ARB 75 § 2 Rdn. 8).
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- Der 3. Kläger hat Anspruch auf die Erstattung der Verkehrsanwaltskosten.
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- a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Kosten eines Verkehrsanwalts zwar in der Regel in den höheren Instanzen nicht vom unterlegenen Prozessgegner nach § 91 ZPO zu erstatten (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. September 2005 - IV ZB 11/04 - VersR 2006, 136 unter 2 a; vom 4. August 2004 - XII ZA 6/04 - NJW-RR 2004, 1662 unter III; beide m.w.N.). Aus den hier maßgeblichen Versicherungsbedingungen geht aber nicht hervor, dass der Versicherer zur Deckung der Kosten eines Verkehrsanwalts nur im Rahmen ihrer Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO verpflichtet wäre.
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- b) Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit - auch - auf seine Interessen an (vgl. BGHZ 123, 83, 85 und ständig). Hier beschränkt der Versicherer in § 1 (1) ARB 75 seine Deckungspflicht zwar auf die Wahrnehmung der rechtlichen Interessen des Versicherungsnehmers, "soweit sie notwendig ist". Dabei geht es aber, wie der folgende Satz der Bedingungen klarstellt, nur darum , dass Kosten einer Wahrnehmung rechtlicher Interessen, die keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, nicht vom Versicherungsschutz umfasst sind (Bauer, NJW 2000, 1235, 1237). Für die Annahme, der Begriff "notwendig" beziehe sich auf die entsprechende Wendung in § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, ist nach dieser Klarstellung kein Raum. § 1 (1) ARB 75 betrifft nicht den Umfang der Kostentragungspflicht des Versicherers.
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- c) Diesen regelt vielmehr erst § 2 ARB 75. Dort wird dem Versicherungsnehmer die Erstattung von Verkehrsanwaltskosten ausdrücklich zugesagt, wenn er - wie hier - mehr als 100 km vom zuständigen Gericht entfernt wohnt. Diese Zusage ist nicht auf bestimmte Instanzen beschränkt. Sie lässt auch nicht erkennen, dass der Versicherer die Kosten des Verkehrsanwalts nur im Rahmen des zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung im Sinne von § 91 ZPO Notwendigen trägt. Vielmehr knüpft sie allein an das von § 91 ZPO unabhängige Merkmal einer Entfernung der Wohnung des Versicherungsnehmers vom zuständigen Gericht von mehr als 100 km an (Bauer in Harbauer, Rechtsschutzversicherung 7. Aufl. § 2 ARB 75 Rdn. 77; Prölss/Armbrüster, aaO). Dass für die Erstattungsfähigkeit von Verkehrsanwaltskosten nach § 91 ZPO auch die Entfernung der Wohnung einer Partei vom Ort des Prozessgerichts eine Rolle spielen kann (vgl. etwa OLG Köln AnwBl. 2001, 121), rechtfertigt nicht die Übertragung weiterer Voraussetzungen des § 91 ZPO auf § 2 (1) Buchst. a ARB 75, zumal dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer Einzelheiten der Rechtsprechung zu § 91 ZPO unbekannt sind. Soweit die Erstattung der Verkehrsanwaltskosten auf die Höhe der gesetzlichen Vergütung begrenzt wird, geht es um die einschlägigen Gebührentatbestände des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) als Obergrenze gegenüber einer etwa höheren Honorarvereinbarung (vgl. § 2 (1) Buchst. b ARB 75), also nicht um die Erstattungspflicht des Prozessgegners nach § 91 ZPO.
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- An d) der uneingeschränkten Zusage einer Erstattung von Verkehrsanwaltskosten bei entsprechender Entfernung der Wohnung des Versicherungsnehmers vom zuständigen Gericht ändert auch die dem Versicherungsnehmer in § 15 (1) Buchst. d Doppelbuchst. cc ARB 75 auferlegte Obliegenheit nichts, alles zu vermeiden, was eine unnötige Erhöhung der Kosten oder eine Erschwerung ihrer Erstattung durch die Gegenseite verursachen könnte. Vielmehr kann - verspricht der Versicherer mit § 2 (1) Buchst. a ARB 75 die Erstattung von Verkehrsanwaltskosten unabhängig von deren Erstattungsfähigkeit nach § 91 ZPO - die Beauftragung eines Verkehrsanwalts von vornherein keine Verletzung dieser Obliegenheit darstellen.
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- Danach war der Klage, deren Höhe nicht streitig ist, unter Aufhebung des amtsgerichtlichen Urteils stattzugeben.
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanz:
AG Wiesbaden, Entscheidung vom 07.09.2005 - 92 C 780/05 - 13 - -
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Annotations
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.