Bundesgerichtshof Urteil, 22. Okt. 2003 - IV ZR 171/02

published on 22/10/2003 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 22. Okt. 2003 - IV ZR 171/02
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 171/02 Verkündet am:
22. Oktober 2003
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterinnen Ambrosius
und Dr. Kessal-Wulf sowie den Richter Felsch auf die mündliche Ver-
handlung vom 22. Oktober 2003

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 14. Mai 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger verlangt nach Pfändung und Überweisung des Dekkungsanspruchs von der Beklagten als Haftpflichtversicherer eines Rechtsanwalts Zahlung von 135.000 DM nebst Zinsen.
Der Kläger nahm den Rechtsanwalt auf Schadensersatz in Anspruch , weil dieser es pflichtwidrig unterlassen habe, einen Zahlungsanspruch des Klägers in Höhe von 60.000 DM gegen einen Dritten im Wege des dinglichen Arrestes zu sichern. Die zunächst auf Zahlung von 60.000 DM gerichtete Klage beim Landgericht Düsseldorf (8 O 3.../98) erweiterte der Kläger um 135.000 DM wegen eines Folgeschadens. Weil ihm die 60.000 DM nicht zur Verfügung gestanden hätten, habe er sein Haus zur Verhinderung der Zwangsversteigerung unter Wert verkaufen

müssen. Im Termin vom 12. Oktober 1999, in dem eine ordnungsgemäße Ladung des beklagten Rechtsanwalts nicht feststellbar war, trennte das Landgericht die Klageerhöhung ab. Die Abtrennung und das für die Klage über 135.000 DM neu angelegte Aktenzeichen 8 O 4.../99 sind aus dem Terminsprotokoll ersichtlich. Der Klageerhöhungsschriftsatz befindet sich nicht bei der Akte 8 O 3.../98.
Im Verfahren 8 O 3.../98 erging am 30. November 1999 gegen den Rechtsanwalt ein Versäumnisurteil über 60.000 DM nebst Zinsen. Hiervon , nicht aber über die Klageerhöhung, unterrichtete der Rechtsanwalt die Beklagte, die dadurch erstmals von dem anhängigen Rechtsstreit Kenntnis erhielt. Sie schaltete Rechtsanwalt B. ein, der rechtzeitig Einspruch einlegte und am 11. Februar 2000 Akteneinsicht nahm. Den Beschluß im Protokoll vom 12. Oktober 1999 über die Abtrennung der Klageerhöhung und das dafür vermerkte weitere Aktenzeichen übersah er. Das Versäumnisurteil wurde durch streitiges Urteil des Landgerichts vom 23. Mai 2000 im wesentlichen bestätigt. Die Beklagte ließ dagegen durch die Rechtsanwälte Dr. P. und W. Berufung einlegen , die diese nach Akteneinsicht am 18. September 2000 zurücknahmen. Insoweit hat die Beklagte die Urteilssumme an den Kläger ausgezahlt.
Im Verfahren über die Klageerweiterung (8 O 4.../99) erließ das Landgericht am 17. April 2000 ein Versäumnisurteil über 135.000 DM nebst Zinsen, das dem Rechtsanwalt am 13. September 2000 zugestellt und gegen das kein Einspruch eingelegt wurde. Erst nach Rechtskraft erlangte die Beklagte Kenntnis von diesem Versäumnisurteil.

Sie ist der Ansicht, an das Versäumnisurteil nicht gebunden zu sein. Der Kläger habe die Obliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG verletzt, ihr die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs anzuzeigen. Deshalb sei im Rahmen ihrer Leistungspflicht nach § 158c Abs. 1 VVG gemäß § 158e Abs. 1 Satz 1 VVG nunmehr zu prüfen, ob der von ihr bestrittene Schadensersatzanspruch von 135.000 DM gegen ihren früheren Versicherungsnehmer bestehe.
Die Klage hatte beim Landgericht und Oberlandesgericht Erfolg. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe:


Die Revision ist nicht begründet. Die Beklagte ist trotz Leistungsfreiheit gegenüber ihrem Versicherungsnehmer dem Kläger nach § 158c Abs. 1 VVG zur Leistung verpflichtet, da es sich um eine Pflichthaftpflichtversicherung nach § 51 BRAO handelt. Die Vorinstanzen haben zutreffend angenommen, daß die Beklagte an das Versäumnisurteil vom 17. April 2000 gebunden ist und deshalb keine Einwendungen gegen den rechtskräftig titulierten Schadensersatzanspruch erheben kann, obwohl der Kläger seine Anzeigeobliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG verletzt hat.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteile vom 11. Oktober 1956 - II ZR 137/55 - VersR 1956, 707 f. und vom 19. Februar 1959 - II ZR 171/57 - VersR 1959, 256 unter 3; zuletzt Urteil vom 19. März 2003 - IV ZR 233/01 - VersR 2003, 635 unter II 2 b) scha-

det das Unterlassen der in § 158d Abs. 2 VVG vorgeschriebenen Anzeige dem geschädigten Dritten nicht, wenn der Versicherer von der Schadensersatzklage gegen seinen Versicherungsnehmer auf andere Weise rechtzeitig erfährt. Der Sinn und Zweck der §§ 158d Abs. 2, 158e Abs. 1 Satz 1 VVG besteht allein darin, daß der Versicherer die Möglichkeit haben soll, sich rechtzeitig in den Haftpflichtprozeß einzuschalten, etwa noch notwendige Schadensfeststellungen zu treffen und unbegründete Ansprüche des Dritten abzuwehren. Erhält der Versicherer auf andere Weise, z.B. durch den Versicherungsnehmer, so früh Kenntnis vom Prozeß , daß er noch vor Eintritt nachteiliger Folgen eingreifen kann, dann steht er nicht schlechter da, als er bei gehöriger Erfüllung der Verpflichtung nach § 158d Abs. 2 VVG stünde. Da der Inhalt der Anzeigeobliegenheit durch den Zweck der Vorschrift bestimmt wird, können an die anderweitige Kenntniserlangung keine höheren Anforderungen gestellt werden als an die Anzeige durch den Geschädigten selbst.
2. Durch die Mitteilung des Versicherungsnehmers vom Erlaß des Versäumnisurteils vom 30. November 1999 über 60.000 DM hatte die Beklagte Kenntnis vom Schadensersatzprozeß und damit die Möglichkeit , auch von der Erweiterung der Klage um 135.000 DM, der Abtrennung der Klageerweiterung und dem insoweit unter dem Aktenzeichen 8 O 4.../99 geführten anderweitigen Verfahren Kenntnis zu nehmen. Dies ergab sich, obwohl sich eine Kopie des Klageerweiterungsschriftsatzes nicht bei der Akte 8 O 3.../98 befand, deutlich aus dem Sitzungsprotokoll vom 12. Oktober 1999. Der von der Beklagten im Verfahren 8 O 3../98 eingeschaltete Rechtsanwalt B. hätte bei der Akteneinsicht erkennen können, daß die Klage erhöht worden und insoweit ein gesondertes Verfahren anhängig war. Auch die von der Beklagten im Beru-

fungsverfahren beauftragten Rechtsanwälte hatten aufgrund ihrer Akteneinsicht noch die Möglichkeit, vor Ablauf der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 17. April 2000 davon Kenntnis zu nehmen und nach Rücksprache mit der Beklagten rechtzeitig Einspruch einzulegen. Die Beklagte befand sich damit in derselben Lage wie bei einer durch Übersendung eines Aktenauszuges einschließlich des Sitzungsprotokolls des Landgerichts vom 12. Oktober 1999 durch den Kläger erteilten Information über die Einleitung des Haftpflichtprozesses gegen den Versicherungsnehmer. Damit hätte der Kläger seine Anzeigeobliegenheit nach § 158d Abs. 2 VVG erfüllt gehabt. Wenn die Beklagte daraufhin jegliche Beteiligung am Haftpflichtprozeß unterlassen und keine Akteneinsicht genommen hätte, hätte sie sich den gesamten Akteninhalt als bekannt zurechnen lassen müssen. Das Versehen der von ihr mit der Akteneinsicht beauftragten Rechtsanwälte geht gleichermaßen zu ihren Lasten

wie ein eigener Tatsachenirrtum oder ein Rechtsirrtum über die Eintrittspflicht , der der Bindung des Haftpflichtversicherers an ein Versäumnisurteil ebenfalls nicht entgegensteht (vgl. zum Rechtsirrtum BGH, Urteil vom 11. Oktober 1956 aaO unter 5).
Terno Seiffert Ambrosius
Dr. Kessal-Wulf Felsch
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Versicherungsvertragsgesetz - VVG

(1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung während der Dauer seiner Zulassung aufrec
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Versicherungsvertragsgesetz - VVG

(1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung während der Dauer seiner Zulassung aufrec
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published on 19/03/2003 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL IV ZR 233/01 Verkündet am: 19. März 2003 Fritz Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein _____________________
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Annotations

(1) Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zur Deckung der sich aus seiner Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden abzuschließen und die Versicherung während der Dauer seiner Zulassung aufrechtzuerhalten. Die Versicherung muß bei einem im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Versicherungsunternehmen zu den nach Maßgabe des Versicherungsaufsichtsgesetzes eingereichten Allgemeinen Versicherungsbedingungen genommen werden und sich auch auf solche Vermögensschäden erstrecken, für die der Rechtsanwalt nach § 278 oder § 831 des Bürgerlichen Gesetzbuchs einzustehen hat.

(2) Der Versicherungsvertrag hat Versicherungsschutz für jede einzelne Pflichtverletzung zu gewähren, die gesetzliche Haftpflichtansprüche privatrechtlichen Inhalts gegen den Rechtsanwalt zur Folge haben könnte; dabei kann vereinbart werden, daß sämtliche Pflichtverletzungen bei Erledigung eines einheitlichen Auftrags, mögen diese auf dem Verhalten des Rechtsanwalts oder einer von ihm herangezogenen Hilfsperson beruhen, als ein Versicherungsfall gelten.

(3) Von der Versicherung kann die Haftung ausgeschlossen werden:

1.
für Ersatzansprüche wegen wissentlicher Pflichtverletzung,
2.
für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten über in anderen Staaten eingerichtete oder unterhaltene Kanzleien oder Büros,
3.
für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beratung und Beschäftigung mit außereuropäischem Recht,
4.
für Ersatzansprüche aus Tätigkeiten des Rechtsanwalts vor außereuropäischen Gerichten,
5.
für Ersatzansprüche wegen Veruntreuung durch Personal, Angehörige oder Mitgesellschafter des Rechtsanwalts.

(4) Die Mindestversicherungssumme beträgt 250 000 Euro für jeden Versicherungsfall. Die Leistungen des Versicherers für alle innerhalb eines Versicherungsjahres verursachten Schäden können auf den vierfachen Betrag der Mindestversicherungssumme begrenzt werden.

(5) Die Vereinbarung eines Selbstbehalts bis zu einem Prozent der Mindestversicherungssumme ist zulässig.

(6) Im Versicherungsvertrag ist der Versicherer zu verpflichten, der zuständigen Rechtsanwaltskammer, bei Rechtsanwälten bei dem Bundesgerichtshof auch dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, den Beginn und die Beendigung oder Kündigung des Versicherungsvertrages sowie jede Änderung des Versicherungsvertrages, die den vorgeschriebenen Versicherungsschutz beeinträchtigt, unverzüglich mitzuteilen. Die Rechtsanwaltskammer erteilt Dritten zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen auf Antrag Auskunft über den Namen und die Adresse der Berufshaftpflichtversicherung des Rechtsanwalts sowie die Versicherungsnummer, soweit der Rechtsanwalt kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Nichterteilung der Auskunft hat; dies gilt auch, wenn die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft erloschen ist.

(7) Zuständige Stelle im Sinne des § 117 Abs. 2 des Versicherungsvertragsgesetzes ist die Rechtsanwaltskammer.

(8) (weggefallen)