Bundesgerichtshof Urteil, 23. Jan. 2008 - IV ZR 169/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger, ein bundesweiter Dachverband der Verbraucherzentralen , verlangt vom Beklagten, zwei Klauseln zur Bedingungsanpassung in der privaten Krankenversicherung nicht zu verwenden. § 18 der vom Beklagten verwendeten Allgemeinen Versicherungsbedingungen (im Folgenden : AVB) entspricht wörtlich § 18 der Musterbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (MBKK 94) und lautet: (1) Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen können unter hinreichender Wahrung der Belange der Versicherten vom Versicherer mit Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders mit Wirkung für bestehende Versicherungsverhältnisse , auch für den noch nicht abgelaufenen Teil des Versicherungsjahres , geändert werden
a) bei einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens,
b) im Falle der Unwirksamkeit von Bedingungen,
c) bei Änderungen von Gesetzen, auf denen die Bestimmungen des Versicherungsvertrages beruhen,
d) bei unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der Verwaltungspraxis des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen oder Kartellbehörden. Im Fall der Buchstaben c und d ist eine Änderung nur zulässig , soweit sie Bestimmungen über Versicherungsschutz , Pflichten des Versicherungsnehmers, Sonstige Beendigungsgründe , Willenserklärungen und Anzeigen sowie Gerichtsstand betrifft. (2) Die neuen Bedingungen sollen den ersetzten rechtlich und wirtschaftlich weitestgehend entsprechen. Sie dürfen die Versicherten auch unter Berücksichtigung der bisherigen Auslegung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht nicht unzumutbar benachteiligen. ... (4) Zur Beseitigung von Auslegungszweifeln kann der Versicherer mit Zustimmung des Treuhänders den Wortlaut von Bedingungen ändern, wenn diese Anpassung vom bisherigen Bedingungstext gedeckt ist und den objektiven Willen sowie die Interessen beider Parteien berücksichtigt. Abs. 2 gilt entsprechend.
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- Der Kläger hält § 18 (1) Satz 1 Buchst. d sowie § 18 (4) AVG für unwirksam und verlangt bei Meidung von Ordnungsstrafen, dass der Beklagte diese Bestimmungen nicht mehr in Krankenversicherungsverträge einbezieht und sich bei der Abwicklung derartiger Verträge nicht mehr auf sie beruft.
- 3
- DasLandgericht hat der Klage stattgegeben; die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Beklagte die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
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- Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
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- I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil in VersR 2006, 1105 veröffentlicht ist, hält die angegriffenen Klauseln für unwirksam. Es stützt sich dafür u.a. auf folgende Erwägungen: § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB sei mit wesentlichen Grundgedanken des § 178g Abs. 3 VVG nicht vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Vorschrift erläutere nicht etwa den aus § 178g Abs. 3 VVG nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. a AVB übernommenen Begriff einer nicht nur vorübergehenden Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens, sondern gehe darüber hinaus. Nach den Bedingungen des Beklagten komme es anders als in § 178g Abs. 3 VVG auch nicht darauf an, ob die Änderung erforderlich sei. Da eine Änderung nach § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht auf Fälle einer erheblichen Störung des Äquivalenzverhältnisses beschränkt sei, sondern eine einseitige , auch durch Mitwirkung eines Treuhänders nicht ausgeglichene Schlechterstellung des Versicherten ermögliche, werde der Versicherte auch unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch § 18 (4) AVB sei unwirksam, u.a. weil sich der Beklagte damit den Folgen des § 305c Abs. 2 BGB entziehen wolle. Daher stehe dem nach §§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 UKlaG klagebefugten Kläger der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus § 1 UKlaG zu.
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- Die II. dagegen erhobenen Einwände der Revision greifen nicht durch.
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- 1. § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB weicht von § 178g Abs. 3 VVG nicht nur dem Wortlaut, sondern auch dem Sinne nach ab. Die Klausel ist daher nicht mehr mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vereinbar (§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB).
- 8
- Mit Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass sich aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen Versicherungsnehmers (vgl. BGHZ 123, 83, 85) die Bedeutung der streitigen Klausel unter Buchst. d nicht darin erschöpft, die unter Buchst. a als Grund für eine Veränderung der Versicherungsbedingungen genannte, nicht nur vorübergehende Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens zu konkretisieren. Sie steht vielmehr eigenständig neben der zu Buchst. a (und den anderen, alternativ aufgeführten Gesichtspunkten) angesprochenen Änderungsmöglichkeiten. Dafür spricht zudem, dass § 18 (1) Satz 2 AVB nur für Satz 1 Buchst. c und d, aber nicht auch für die Bestimmungen zu a und b die Änderungsbefugnis auf bestimmte Regelungen des Versicherungsvertrages beschränkt. Mithin wird durch die Bestimmung des § 18 (1) Satz 1 Buchst. d dem Versicherer bei einer unmittelbar den Versicherungsvertrag betreffenden Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Änderungsbefugnis unabhängig von den dafür in § 178g Abs. 3 VVG umschriebenen Voraussetzungen eingeräumt. Über die von § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinaus kann der Versicherer seine Krankenversicherungsbedingungen aber nicht wirksam zum Nachteil der Versicherungsnehmer ändern (§ 178o VVG, Senatsurteile vom 12. Dezember 2007 - IV ZR 130/06 - Tz. 12 a.E. und - IV ZR 144/06 - Tz. 15 a.E.). Dem damit vom Gesetzgeber vorgegebenen Leitbild wird die angegriffene Änderungsklausel in § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB nicht gerecht.
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- Abgesehen davon hat der Senat in seinen Urteilen vom 12. Dezember 2007 (aaO) geklärt, dass der Versicherer zu einer Änderung der Krankenversicherungsbedingungen nach § 178g Abs. 3 VVG nicht allein deswegen berechtigt ist, weil eine Klausel von der Rechtsprechung in einer dem Verwender ungünstigen Weise ausgelegt wird. Auch insofern ist § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht vereinbar.
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- 2. Die Bestimmung des § 18 (1) Satz 1 Buchst. d AVB benachteiligt den Versicherungsnehmer darüber hinaus auch ihrem Inhalt nach unangemessen: Abweichend von § 178g Abs. 3 Satz 1 VVG soll es nicht darauf ankommen, ob eine Änderung der Versicherungsbedingungen zur hinreichenden Wahrung der Belange der Versicherten erforderlich erscheint; vielmehr soll ausreichen, dass deren Belange hinreichend gewahrt sind. So wird die Eingriffsschwelle gegenüber der gesetzlichen Regelung zum Nachteil des Versicherungsnehmers herabgesetzt (Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 18 MBKK 94 Rdn. 3).
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- (2) § 18 AVB erlaubt die Ersetzung unwirksamer Bedingungen durch neue Bedingungen bis zur Grenze einer unzumutbaren Benachteiligung des Versicherungsnehmers, mutet dem Versicherungsnehmer also "einfache" Benachteiligungen gegenüber dem bisher Vereinbarten zu. Dass die Änderungsbefugnis von der Zustimmung eines Treuhänders abhängt, ändert daran nichts. Den Bedingungen lässt sich nämlich nicht entnehmen, dass der Treuhänder einer Änderung etwa nicht zustimmen dürfe, wenn sie über die von § 178g Abs. 3 VVG gezogenen Grenzen hinausgeht.
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- Im Übrigen hat der Senat bereits zu einer entsprechenden Anpassungsklausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ 141, 153, 154 ff.), dass sie den Versicherungsnehmer unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 BGB), weil er schlechter gestellt werden könnte, als er bei Abschluss des Vertrages stand. Insofern ist diese Entscheidung durchaus auf Krankenversicherungsverträge übertragbar.
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- 3. Auch die Bestimmung des § 18 (4) AVB ist unwirksam. Sie entspricht nicht dem Leitbild, das der Gesetzgeber in § 305c Abs. 2 BGB für Zweifelsfragen bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen aufstellt. Die Unwirksamkeit der Klausel folgt mithin aus § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Auch das hat der Senat bereits für eine entsprechende Klausel in der Rechtsschutzversicherung entschieden (BGHZ aaO 159).
Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Lüneburg, Entscheidung vom 14.12.2005 - 2 O 174/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 15.06.2006 - 8 U 26/06 -
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(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.
(1) Die in den §§ 1 bis 2 bezeichneten Ansprüche auf Unterlassung, auf Widerruf und auf Beseitigung stehen zu:
- 1.
den qualifizierten Einrichtungen, die in der Liste nach § 4 eingetragen sind, oder den qualifizierten Einrichtungen aus anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die in dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Artikel 4 Absatz 3 der Richtlinie 2009/22/EG eingetragen sind, - 2.
den qualifizierten Wirtschaftsverbänden, die in die Liste nach § 8b des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb eingetragen sind, soweit ihnen eine erhebliche Zahl von Unternehmern angehört, die Waren und Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben, und die Zuwiderhandlung die Interessen ihrer Mitglieder berührt, - 3.
den Industrie- und Handelskammern, den nach der Handwerksordnung errichteten Organisationen und anderen berufsständischen Körperschaften des öffentlichen Rechts sowie den Gewerkschaften im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben bei der Vertretung selbstständiger beruflicher Interessen.
(2) Die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bezeichneten Stellen können die folgenden Ansprüche nicht geltend machen:
- 1.
Ansprüche nach § 1, wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen gegenüber einem Unternehmer (§ 14 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder einem öffentlichen Auftraggeber (§ 99 Nummer 1 bis 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen) verwendet oder wenn Allgemeine Geschäftsbedingungen zur ausschließlichen Verwendung zwischen Unternehmern oder zwischen Unternehmern und öffentlichen Auftraggebern empfohlen werden, - 2.
Ansprüche nach § 1a, es sei denn, eine Zuwiderhandlung gegen § 288 Absatz 6 des Bürgerlichen Gesetzbuchs betrifft einen Anspruch eines Verbrauchers.
Wer in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bestimmungen, die nach den §§ 307 bis 309 des Bürgerlichen Gesetzbuchs unwirksam sind, verwendet oder für den rechtsgeschäftlichen Verkehr empfiehlt, kann auf Unterlassung und im Fall des Empfehlens auch auf Widerruf in Anspruch genommen werden.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil.
(2) Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen gehen zu Lasten des Verwenders.
(1) Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich auch daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist.
(2) Eine unangemessene Benachteiligung ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung
- 1.
mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist oder - 2.
wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrags ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist.
(3) Die Absätze 1 und 2 sowie die §§ 308 und 309 gelten nur für Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. Andere Bestimmungen können nach Absatz 1 Satz 2 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 unwirksam sein.