Bundesgerichtshof Urteil, 15. Mai 2002 - IV ZR 100/01

published on 15/05/2002 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 15. Mai 2002 - IV ZR 100/01
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 100/01 Verkündet am:
15. Mai 2002
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
MB/KT 94 § 15 lit. a
Sind nach den Bedingungen einer Krankentagegeldversicherung nur erwerbstätige
Personen versicherungsfähig, so erlischt die Versicherungsfähigkeit eines in
abhängiger Stellung tätigen Versicherten nicht schon mit der (Eigen- oder Fremd
)
Kündigung seines Arbeitsverhältnisses (Fortführung von BGH, Urteile vom
19. Dezember 1975 - IV ZR 107/74 - VersR 1976, 431 und vom 9. Juli 1997 - IV
ZR 253/96 - VersR 1997, 1133).
BGH, Urteil vom 15. Mai 2002 - IV ZR 100/01 - KG Berlin
LG Berlin
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Richter
Seiffert als Vorsitzenden, den Richter Dr. Schlichting, die Richterin Ambrosius
und die Richter Wendt und Felsch auf die mündliche Verhandlung
vom 15. Mai 2002

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Kammergerichts vom 9. März 2001 aufgehoben.
II. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 1. August 2000 wie folgt abgeändert: 1. Es wird festgestellt, daß die Krankentagegeldversicherung Nr. 31 (0) 244 23875 über den 31. Dezember 1999 hinaus unverändert fortbesteht und nicht in eine Anwartschaftsversicherung umgewandelt ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 31. Juli 2000 80.940 DM Krankentagegeld nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskont-Überleitungs -Gesetzes seit dem 1. August 2000 sowie für den Zeitraum vom 1. August 2000 bis zum 28. Februar 2001 weitere 80.560 DM Krankentagegeld nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 1. März 2001 zu zahlen.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung geltend.
Der Versicherungsvertrag sieht bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit die Leistung von 380 DM pro Kalendertag vor. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (RB/KT 94) zugrunde. Deren § 19 (1) a, der inhaltsgleich mit § 15 lit. a MB/KT 94 ist, lautet:
"(1) Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen
a) bei Wegfall einer im Tarif bestimmten Voraussetzung für die Versicherungsfähigkeit (insbesondere Aufgabe der Erwerbstätigkeit ) zum Ende des Monats, in dem die Voraussetzung weggefallen ist. "

In dem vom Kläger gewählten Tarif TN heißt es unter "1. Versicherungsfähigkeit" :
"Versicherungsfähig nach Tarif TN sind erwerbstätige Personen."
Der Kläger war seit Juni 1996 als Leiter der B. Geschäftsstelle eines Versicherungsdienstes angestellt. Seit dem 28. Mai 1997 ist er u.a. wegen Hüftgelenkserkrankungen, chronischer Bronchitis, therapieresistenter Gastritis und reaktiver Depression arbeitsunfähig krank; ein Ende der Arbeitsunfähigkeit ist derzeit nicht abzusehen. Mitte 1998 wurde der Kläger als schwerbehindert anerkannt. Im Dezember 1998 stellte er bei der BfA einen Antrag auf Berufsunfähigkeitsrente, der bestandskräftig abgewiesen wurde. Im August 1999 beantragte die Arbeitgeberin des Klägers bei der zuständigen Hauptfürsorgestelle für Schwerbehinderte deren Zustimmung zur Kündigung wegen der Erkrankung und wegen der zum 30. September 1999 geplanten Schließung des Geschäftsbetriebes. Gleichzeitig bot die Arbeitgeberin dem Kläger vergleichsweise eine Einigung dahin an, ihm bei freiwilliger Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Abfindung entsprechend dem anläßlich der Geschäftsaufgabe aufgestellten Sozialplan zu zahlen, aus dem der Kläger im Falle einer wirksamen krankheitsbedingten Kündigung der Arbeitgeberin keinen Anspruch gehabt hätte. Der Kläger sprach daraufhin mit Schreiben vom 12. August 1999 selbst die Kündigung seines Anstellungsvertrages zum 30. September 1999 aus und machte seinen Abfindungsanspruch aus dem Sozialplan geltend.

Die Beklagte zahlte dem Kläger das vereinbarte Krankentagegeld bis zum Ende des Jahres 1999. Weitere Leistungen lehnte sie ab, weil die Versicherungsfähigkeit des Klägers weggefallen sei. Sie führt die Versicherung seit dem 1. Januar 2000 als Anwartschaftsversicherung weiter.
Der Kläger begehrt die Feststellung, daû seine bei der Beklagten unterhaltene Krankentagegeldversicherung über den 31. Dezember 1999 hinaus fortbesteht und nicht in eine Anwartschaftsversicherung umgewandelt ist, sowie die Zahlung rückständigen Krankentagegeldes für die Zeit vom 1. Januar 2000 bis 28. Februar 2001.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist vom Oberlandesgericht zurückgewiesen worden. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe:


Die Revision hat Erfolg. Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, daû eine Krankentagegeldversicherung für Erwerbstätige durch die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres beendet wird, sondern daû dies nur unter zusätzlichen Voraussetzungen der Fall ist, an denen es hier fehlt.

I. Das Berufungsgericht meint, durch die Kündigung des Klägers sei seine Versicherungsfähigkeit weggefallen; denn versicherungsfähig seien nach den Versicherungsbedingungen nur erwerbstätige Personen. Ob die Kündigung des Klägers als "Aufgabe" seiner Erwerbstätigkeit anzusehen sei, habe keine rechtliche Bedeutung, weil in der Bedingungsklausel diese Wendung nur beispielhaft gebraucht werde. Die Regelung, wonach mit der Erwerbstätigkeit zugleich die Versicherungsfähigkeit ende , sei auch nicht unwirksam; sie sei weder überraschend im Sinne des § 3 AGBG noch führe sie zu einer unangemessenen Benachteiligung des Versicherungsnehmers im Sinne des § 9 AGBG. Schwerpunktmäûig hat das Berufungsgericht dann weiter ausgeführt, daû und weshalb der Kläger sich auch nicht darauf berufen könne, er habe lediglich gekündigt, um einer berechtigten Kündigung seiner Arbeitgeberin wegen Krankheit zuvorzukommen.
II. Der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, das Versicherungsverhältnis - bis auf die Anwartschaftsversicherung - sei durch die eigene Kündigung des Klägers beendet worden, hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Klausel des § 19 (1) a RB/KT 94 i.V. mit Ziff. 1 des Tarifs TN kann nicht dahin ausgelegt werden, daû eine Kündigung ohne weiteres die Erwerbstätigkeit des Versicherten beendet und damit den Wegfall seiner Versicherungsfähigkeit herbeiführt.
1. Für Bedingungsklauseln in der Krankentagegeldversicherung, nach denen eine selbständige Berufs- bzw. Erwerbstätigkeit Voraussetzung der Versicherungsfähigkeit war, hat der Bundesgerichtshof bereits

entschieden, wenn ein Versicherter aus irgendwelchen wirtschaftlichen Erwägungen eine bestimmte gewerbliche Tätigkeit aufgegeben habe, so bedeute dies noch nicht das Ende seiner selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen. In einem solchen Fall muû vielmehr, wenn nicht besondere Umstände auf das Gegenteil hindeuten, davon ausgegangen werden, daû der Versicherte ohne die Erkrankung alsbald wieder auf andere Weise eine selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt hätte und daû er daran nur durch seine Krankheit gehindert worden ist. Das Gegenteil kann nur angenommen werden, wenn der Versicherer konkrete Tatsachen vorträgt und gegebenenfalls beweist, aus denen sich ergibt, daû der Versicherte nicht mehr gewillt war, nach Wiederherstellung seiner Gesundheit eine selbständige Erwerbstätigkeit auf eine andere Weise auszuüben, oder daû ihm dieses nicht möglich gewesen wäre (Urteile vom 19.12.1975 - IV ZR 107/74 - VersR 1976, 431 unter III und vom 9. Juli 1997 - IV ZR 253/96 - VersR 1997, 1133 unter II 2 a; so auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 26. Aufl. MB/KT 94 § 15 Rdn. 9 ff.).
2. Für unselbständig Beschäftigte kann nichts anderes gelten. Ebenso wie die Versicherungsfähigkeit eines Selbständigen nicht allein durch die Aufgabe seiner bisherigen Tätigkeit erlischt, endet bei einem Arbeitnehmer die Versicherungsfähigkeit nicht schon durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses, sei sie nun vom Arbeitgeber oder vom Versicherungsnehmer ausgesprochen worden, sondern erst in dem Zeitpunkt , in dem der Versicherungsnehmer auch bei einer Gesundung von einer neuen Tätigkeit Abstand genommen hätte oder seine Bemühungen um die Aufnahme einer solchen Tätigkeit gescheitert wären.

3. Auf die vom Berufungsgericht schwerpunktmäûig behandelten Rechtsfragen, ob eine krankheitsbedingte Kündigung des Arbeitgebers die Erwerbstätigkeit des Versicherten und damit das Versicherungsverhältnis nicht beendet (so OLG Hamm VersR 1985, 1131; OLG Hamburg VersR 1990, 36; OLG Hamm VersR 1992, 225) und ob gegebenenfalls das Gleiche gilt, wenn der Versicherte einer solchen Kündigung durch Eigenkündigung zuvorkommt, kam es nach alledem nicht an. Der Grundsatz , daû eine Kündigung nicht ohne weiteres die Erwerbstätigkeit des Versicherten beendet, gilt unabhängig davon, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitgebers oder um eine Eigenkündigung des Versicherten handelt.
III. Da die Überlegungen des Berufungsgerichts die Abweisung der Klage nicht zu tragen vermögen, war das Berufungsurteil aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache aufgrund des festgestellten Sachverhalts zur Endentscheidung reif war (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.; BGHZ 122, 308, 316). Es ist nämlich unstreitig , daû die oben genannten zusätzlichen Voraussetzungen, unter denen eine Kündigung im Einzelfall die Beendigung des Versicherungsverhältnisses herbeiführt, beim Kläger nicht vorliegen. Dieser hat in der Klageschrift den zutreffenden Rechtsstandpunkt eingenommen, daû seine Kündigung seine Erwerbstätigkeit nicht beendet habe, und hierzu vorgetragen, daû er den dringenden Wunsch nach Genesung und Wiedereinstieg in das Arbeitsleben hege, arbeitswillig sei und auf dem Arbeitsmarkt nur aufgrund seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit derzeit nicht zur Verfügung stehe. Nach seinem Vortrag fehlt dem Kläger

demnach weder der Arbeitswille, noch gibt es für seine Aufnahme einer neuen Arbeit ein anderes Hindernis als seine Krankheit. Diesen Vortrag des Klägers hat die Beklagte in Kenntnis der Rechtsauffassung des Klägers und seiner Anträge auf Berufsunfähigkeitsrenten nicht bestritten, so daû er als zugestanden anzusehen ist (§ 138 Abs. 3 ZPO).
Der Klage war somit den Klageanträgen entsprechend stattzugeben. Da die Versicherungsfähigkeit des Klägers nicht beendet ist, besteht seine Krankentagegeldversicherung unverändert fort und muû die Beklagte ihm auch das rückständige Tagegeld nachzahlen. Dessen Höhe ist unstreitig. Die Zinsansprüche des Klägers sind nach §§ 284 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. begründet. Die Klage ist der Beklagten am 23. März 2000, die Klageerweiterung ist ihr am 12. Januar 2001 zugestellt worden.
Seiffert Dr. Schlichting Ambrosius
Wendt Felsch
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Annotations

Die für die Berufung geltenden Vorschriften über die Anfechtbarkeit der Versäumnisurteile, über die Verzichtsleistung auf das Rechtsmittel und seine Zurücknahme, über die Rügen der Unzulässigkeit der Klage und über die Einforderung, Übersendung und Zurücksendung der Prozessakten sind auf die Revision entsprechend anzuwenden. Die Revision kann ohne Einwilligung des Revisionsbeklagten nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Revisionsbeklagten zur Hauptsache zurückgenommen werden.

(1) Die Parteien haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben.

(2) Jede Partei hat sich über die von dem Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären.

(3) Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, sind als zugestanden anzusehen, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Partei hervorgeht.

(4) Eine Erklärung mit Nichtwissen ist nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind.

Anstelle des Schadensersatzes statt der Leistung kann der Gläubiger Ersatz der Aufwendungen verlangen, die er im Vertrauen auf den Erhalt der Leistung gemacht hat und billigerweise machen durfte, es sei denn, deren Zweck wäre auch ohne die Pflichtverletzung des Schuldners nicht erreicht worden.