Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2005 - 4 StR 119/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 13 Fällen, des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 68 Fällen sowie des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 14 Fällen schuldig gesprochen und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den Verfall von Wertersatz in Höhe von 10.000 Euro angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend ausgeführt hat - keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Auch der Rechtsfolgenausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
1. Zu Unrecht rügt die Revision, das Landgericht habe bei der gemäß § 31 Nr. 1 BtMG vorgenommenen Strafmilderung nicht berücksichtigt, daß der Angeklagte durch die freiwillige Offenbarung seines Wissens über weitere geplante Betäubungsmittelstraftaten, die schließlich zur Sicherstellung von 8 kg Haschisch und 100 g Kokain geführt hat, auch die Voraussetzungen des § 31 Nr. 2 BtMG erfüllt hat. Liegen sowohl die Voraussetzungen des § 31 Nr. 1 BtMG als auch die des § 31 Nr. 2 BtMG vor, so hat der Tatrichter unter Berücksichtigung beider Strafmilderungsgründe im Wege einer einheitlichen Ermessensentscheidung darüber zu befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Weise und Umfang er von der Milderungsmöglichkeit nach § 49 Abs. 2 StGB Gebrauch macht. Dem hat das Landgericht entsprochen. Zwar hat es die Bestimmung des § 31 Nr. 2 BtMG nicht explizit genannt; es hat jedoch den Gesichtspunkt , daß durch den Hinweis des Angeklagten auf einen Rauschgifthändler die genannten Betäubungsmittel sichergestellt werden konnten, bei seiner Entscheidung nach § 31 BtMG ausdrücklich berücksichtigt.
2. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts unterliegt der Strafausspruch auch nicht deshalb der Aufhebung, weil sich die Urteilsgründe nicht zu einer (möglichen) rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) verhalten.
Nach nunmehr übereinstimmender Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs muß ein Revisionsführer, der das Vorliegen einer Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzenden Verfahrensverzögerung geltend machen will, grundsätzlich eine Verfahrensrüge erheben (vgl. BGH, Beschluß vom 11. November 2004 – 5 StR 376/03, NJW 2005, 518 in Erledigung des Anfragebe-
schlusses vom 13. November 2003, NStZ 2004, 639). Eine solche liegt jedoch nicht vor.
Wird lediglich - wie hier - die Verletzung sachlichen Rechts gerügt, so unterliegt die Frage, ob ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK vorliegt, nur dann der revisionsrechtlichen Überprüfung, wenn sich entweder die Verfahrensverzögerung aus den Urteilsgründen - gegebenenfalls unter Heranziehung der vom Revisionsgericht von Amts wegen zur Kenntnis zu nehmenden Verfahrenstatsachen - ergibt oder aber die Urteilsgründe jedenfalls ausreichende Anhaltspunkte enthalten, die das Tatgericht zur Prüfung einer solchen Verfahrensverzögerung drängen mußten (vgl. BGH aaO). Keine dieser Voraussetzungen ist hier gegeben.
Den Urteilsgründen kann zum Verfahrensgang lediglich entnommen werden, daß der Angeklagte unmittelbar nach Begehung der letzten Tat am 23. Januar 2002 festgenommen worden ist und bei einer polizeilichen Vernehmung mit umfassenden Angaben zu den Tatbeiträgen von insgesamt fünf weiteren Tätern zu bedeutenden Aufklärungserfolgen beigetragen hat. Er wurde nicht in Haft genommen. Am 14. Oktober 2004 erfolgte die Anklageerhebung wegen der verfahrensgegenständlichen 95 Taten. Am 12. November 2004 wurde die Anklage zugelassen, am 7. Dezember 2004 erging nach einer eintägigen Hauptverhandlung das angefochtene Urteil.
Diese Feststellungen belegen für sich gesehen nicht bereits das Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Bei einer Gesamtverfahrensdauer von etwas über zwei Jahren und zehn Monaten liegt hier ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK auch unter Berücksichtigung des Um-
standes, daß der Angeklagte den Schuldvorwurf - zu einem in den Urteilsgründen nicht konkret festgestellten Zeitpunkt - eingeräumt hat, nicht einmal nahe. Die Urteilsgründe zeigen auch keine Umstände auf, die das Landgericht zur Prüfung der Frage einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung drängen mußten. Nach den Urteilsfeststellungen kommen mannigfache Gründe in Betracht , die - selbst im Falle eines umfassenden Geständnisses des Angeklagten unmittelbar nach seiner Festnahme - eine längere Verfahrensdauer erklären können. Insbesondere sind die der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalte nicht einfach gelagert. Vielmehr verteilen sich die festgestellten 95 Einzeltaten auf einen Tatzeitraum von ca. 1 ½ Jahren sowie auf sieben unterschiedlich beschaffene Tatkomplexe mit jeweils wechselnden Tatbeteiligten. Es liegt daher nahe, daß - auch bei einem Geständnis des Angeklagten - weitere, unter Umständen zeitaufwendige Ermittlungen zur Aufklärung der Einbindung des Angeklagten in den ihm angelasteten Drogenhandel durchzuführen waren. Ersichtlich ist dies auch geschehen, da dem Urteil entnommen werden kann, daß es infolge der Angaben des Angeklagten zu rechtskräftigen Verurteilungen weiterer Tatbeteiligter gekommen ist. Diese Ermittlungen haben sich schließlich auch zu Gunsten des Angeklagten ausgewirkt, denn das Landgericht hat dem Angeklagten gerade den durch seine Angaben bewirkten weiteren Aufklärungserfolg nach § 31 BtMG in erheblichem Umfang strafmildernd zugute gebracht.
3. Das Urteil läßt auch im übrigen zum Rechtsfolgenausspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler erkennen. Zwar hat das Landgericht nicht bedacht , daß - teilweise - eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung zwischen den Taten zu II. 14 bis 59 der Urteilsgründe (Tatzeitraum Juli 2000 bis 22. Mai 2001) mit der in den Urteilsgründen angesprochenen Verurteilung des Ange-
klagten durch das Amtsgericht Rostock "im Jahr 2000 wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe" in Betracht kam. Der Senat kann eine entsprechende Prüfung auch nicht selbst vornehmen, da dem Urteil weder das genaue Datum der Vorverurteilung entnommen werden kann noch dieses Aufschluß darüber gibt, ob die verhängte Strafe vor Erlaß des landgerichtlichen Urteils im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB noch nicht erledigt war. Er kann jedoch nach Sachlage ausschließen , daß der Angeklagte durch die (möglicherweise) unterbliebene nachträgliche Gesamtstrafenbildung, die aufgrund der Zäsurwirkung der Vorverurteilung die Verhängung von zwei Gesamtfreiheitsstrafen nach sich gezogen hätte, beschwert ist.
Maatz Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible
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Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Das Gericht kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 des Strafgesetzbuches mildern oder, wenn der Täter keine Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren verwirkt hat, von Strafe absehen, wenn der Täter
- 1.
durch freiwilliges Offenbaren seines Wissens wesentlich dazu beigetragen hat, daß eine Straftat nach den §§ 29 bis 30a, die mit seiner Tat im Zusammenhang steht, aufgedeckt werden konnte, oder - 2.
freiwillig sein Wissen so rechtzeitig einer Dienststelle offenbart, daß eine Straftat nach § 29 Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 die mit seiner Tat im Zusammenhang steht und von deren Planung er weiß, noch verhindert werden kann.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.