Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juni 2000 - 2 StR 123/00

published on 20/06/2000 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 20. Juni 2000 - 2 StR 123/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 123/00
vom
20. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
20. Juni 2000, an der teilgenommen haben:
Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
Dr. Jähnke
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Rothfuß
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 9. Dezember 1999
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß der Angeklagte des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen sowie des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig ist und
b) im Strafausspruch im Falle 11 der Anklage und im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Das Landgericht hat den Angeklagten "wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Haschisch) in drei Fällen, jeweils in nicht geringer Menge, und Verstoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt" und angeordnet, daß "die unter Ta-
gebuch-Nr. 779/99 sichergestellten Schlagstöcke und die Doppelflinte Nr. 38927 sowie das unter gleicher ZK-Nr. 779/99 sichergestellte Rauschgift eingezogen" werden. Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, soweit der Angeklagte wegen des dritten Falles des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und tatmehrheitlichen Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt wurde (Ziffer 11 der Anklage). Die Staatsanwaltschaft rügt die Verletzung materiellen Rechtes. Sie ist der Auffassung, es sei von einem unerlaubten bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auszugehen, zu dem das Waffendelikt in Tateinheit stehe. Der Senat hat insoweit in der Hauptverhandlung die Verfolgung der Tat mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft auf den Vorwurf des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge beschränkt (§ 154 a Abs. 2 StPO). Die Revision der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg.

II.

Das Landgericht hat für diesen Fall des Betäubungsmittelhandels folgende Feststellungen getroffen: Bei einer für den Angeklagten überraschenden Durchsuchung seiner Wohnung durch die Polizei am 9. März 1999 öffnete er auf das Klingeln hin die Tür. Er trug eine Art Jogginghose und hielt eine Hand in der Tasche. Die Be-
amten fanden in dieser Hosentasche einen Teleskopschlagstock. Bei der Wohnungsdurchsuchung wurden ein zweiter Schlagstock, sowie eine Flinte (ohne Munition) mit abgesägten Läufen und abgesägtem Schaft gefunden. Die Schlagstöcke hatte der Anklagte in Besitz, um sich gegen Überfälle aus der Szene zu sichern. Weiter fanden die Beamten 18.440 DM aus Rauschgifterlösen und 2.567 g Haschisch mit einem mittleren THC-Gehalt von 17,4 %. Der Angeklagte hatte am 5./6. März 1999 von M. 3 kg Haschisch zum gewinnbringenden Weiterverkauf erworben und einen Teil davon schon veräußert. Die Strafkammer hat die Verwirklichung des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG angenommen und insoweit eine Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verhängt. Die Anwendung des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG hat sie abgelehnt , da der Angeklagte im Verhältnis zu den Beamten das Rauschgift bloß besessen und nicht gehandelt habe. Tatmehrheitlich habe er durch Erwerb und Besitz der Waffen gegen das Gesetz verstoßen (Einzelstrafe ein Jahr).

III.

Die Verurteilung in den beiden ersten Fällen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu Freiheitsstrafen von jeweils einem Jahr wird von der Staatsanwaltschaft nicht angegriffen. Die Revision ist insoweit wirksam beschränkt. Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist der Angeklagte darüber hinaus hinsichtlich der unter Ziffer 11 angeklagten Tat des unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig.
Der Angeklagte hat mit den zum gewinnbringenden Verkauf bestimmten 3 kg Haschisch unerlaubt Handel getrieben und dabei sonstige Gegenstände mit sich geführt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Dies liegt hinsichtlich der griffbereiten Schlagstöcke auf der Hand (vgl. BGHR BtMG § 30 a Abs. 2 - Gegenstand 2). Die Gefahr, der § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG begegnen will, ist jedenfalls dann stets gegeben, wenn der Täter Betäubungsmittel und Schußwaffen zugleich verfügungsbereit hat (vgl. Sen.Urt. v. 28. Februar 1997 - 2 StR 556/96 = BGHSt 43, 8, 13; zustimmend BGH, Beschl. v. 13. April 1999 - 1 ARs 3/99; BGH, Beschl. v. 25. Juni 1999 - 3 StR 372/98 = StV 1999, 650 und BGH, Urt. v. 11. Januar 2000 - 5 StR 444/99). Das Schutzgut der Volksgesundheit ist besonders gefährdet, wenn sich der Täter mittels des gefährlichen Gegenstandes in Besitz des zum Verkauf bestimmten Rauschgifts halten kann (vgl. BGHSt 43, 8, 14). Deshalb schützt diese Vorschrift natürlich auch die Polizeibeamten, die das unerlaubte Handeltreiben unterbinden wollen. Denn die Gefahr des Einsatzes des gefährlichen Gegenstandes besteht gerade auch ihnen gegenüber. Soweit die Strafkammer für ihre Auffassung, es liege kein bewaffnetes Handeltreiben vor, weiter anführt: "die Argumentation des 2. Strafsenates des Bundesgerichtshofes (BGH StV 97, 305 f.), der Besitz sei hier bewußt ausgenommen , weil minder gefährlich, übersieht, daß zum Besitz jedenfalls auch das 'sich verschaffen' gehört und diese Deliktsform fällt wieder unter § 30 a II Nr. 2 BtMG", kann dem nicht gefolgt werden. Die Gefahr des Einsatzes des gefährlichen Gegenstandes ist beim "Sichverschaffen" erheblich höher als beim bloßen Besitz, da das "Sichver-
schaffen" wesentlich häufiger Kontakt mit anderen Personen voraussetzt, als der bloße Besitz, der zudem mittelbar sein kann. Deshalb ist der Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG hier objektiv erfüllt. Für die subjektive Seite genügt das Bewußtsein über den gefährlichen Gegenstand jederzeit verfügen zu können. Der Wille des Täters, die Waffe gegebenenfalls einzusetzen, ist nicht erforderlich (vgl. u.a. BGHSt 43, 8, 14). Daß der Angeklagte zumindest einen gefährlichen Gegenstand hier bewußt gebrauchsbereit bei sich hatte, liegt schon im Hinblick auf den in seiner Hosentasche befindlichen Teleskopschlagstock auf der Hand. Daher hat im vorliegenden Fall der Angeklagte objektiv und subjektiv den Tatbestand des § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verwirklicht. Da andere - für den Angeklagten günstigere - Feststellungen nicht zu erwarten sind, hat der Senat selbst den Schuldspruch entsprechend geändert. § 265 StPO steht dem nicht entgegen; der nunmehrige Schuldspruch entspricht hinsichtlich dieser Tat der Anklage. Die Ä nderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung der Einzelstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten für das Betäubungsmitteldelikt; die Einzelstrafe von einem Jahr für den Verstoß gegen das Waffengesetz ist durch
die Beschränkung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO weggefallen. Dies zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe nach sich. Die zugehörigen Feststellungen sind vom Rechtsfehler jedoch nicht betroffen und können - genauso wie die Einziehungsanordnung - bestehenbleiben. Jähnke Detter Bode Otten Rothfuß
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(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

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Annotations

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.