Bundesgerichtshof Urteil, 13. Mai 2003 - 1 StR 529/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten A. K. - unter Freisprechung im übrigen - wegen schweren sexuellen Mißbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen in drei Fällen und wegen Körperverletzung in fünf Fällen, in zwei der Fälle in Tateinheit mit Freiheitsberaubung , zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die Angeklagte S. T. hat das Landgericht wegen schweren se- xuellen Mißbrauchs von Kindern in drei Fällen sowie wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auch sie wurde im übrigen freigesprochen.
Außerdem wurden die Angeklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Nebenkläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,-- nsen über dem Basiszinssatz seit dem 14. Juni 2002 zu bezahlen.
Die auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten haben keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat festgestellt:Der im Januar 1993 geborene Nebenkläger J. K. ist Sohn des seit 1998 von der Mutter des Kindes geschiedenen Angeklagten A. K. . Seit Mai 2000 lebte dieser mit der Angeklagten S. T. zusammen und zwar vom 16. Juli 2000 bis 24. Juni 2001 in einer Wohnung in E. . J. K. besuchte seinen damals gemeinsam mit der Mutter sorgeberechtigten Vater regelmäßig in der Wohnung der Angeklagten. Dort wurde das Kind in der Zeit von Sommer 2000 bis Ende Juni 2001 von den Angeklagten körperlich mißhandelt und sexuell mißbraucht. An im einzelnen nicht mehr genau feststellbaren Tagen - "die letzte solche Handlung geschah in den bayerischen Pfingstferien 2001" - ereignete sich zumindest folgendes:
Zweimal steckte der Angeklagte A. K. einen Finger in den Anus seines Sohnes, der hierzu von der - insoweit nicht angeklagten - S. T. auf dem Bett der Angeklagten festgehalten wurde, und "popelte darin herum". Ein weiteres Mal machte dies der Angeklagte A. K. in Abwesenheit der Angeklagten. Einmal geschah dies durch die Angeklagte S. T. , während A. K. Zigaretten holte. An zwei anderen Tagen nahm die Angeklagte S. T. den Penis des Kindes in den Mund und lutsche daran, während der insoweit nicht angeklagte A. K. diesem die Augen zuhielt. Außerdem fesselten die Angeklagten J. K. mindestens zwei Mal mit Ketten - sie hingen an der Wand des Schlafzimmers - an Armen und Füßen sowie über den Bauch an einen Stuhl, verbanden ihm mit einem Tuch die Augen und ließen ihn so jeweils etwa eine Stunde lang alleine sitzen. J. verspürte Angst und Schmerzen. An drei weiteren Tagen schlug der Angeklagte A. K. dem Kind in der Küche mit einer stets auf dem Eßtisch bereit liegenden Schöpfkelle - Gedächtniskeule genannt - kräftig schmerzhaft auf den Kopf.
Mit Ausnahme eines vom Angeklagten A. K. eingeräumten Schlages mit der Schöpfkelle bestreiten die Angeklagten die Tatvorwürfe. Insbesondere stellen sie jeglichen sexuellen Mißbrauch in Abrede. Die Strafkammer stützt sich bei Ihren Feststellungen zum Tatgeschehen im wesentlichen auf die "glaubhaften und unbefangenen" Angaben von J. K. .
II.
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den vom Generalbundesanwalt zutreffend dargelegten Gründen erfolglos.
2. Auch die Überprüfung des Urteils des Landgerichts aufgrund der Sachrüge deckt bei beiden Angeklagten keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu deren Nachteil auf. Insbesondere genügt die Beweiswürdigung den Anforderungen , die an die Bewertung der Glaubhaftigkeit der Aussage eines Hauptbelastungszeugen zu stellen sind, wenn im wesentlichen Aussage gegen Aussage steht, objektive Beweisanzeichen fehlen und die Strafkammer im Hinblick auf ihre Aufklärungspflicht die Zuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen für geboten erachtet hat (vgl. dazu BGHSt 45, 164; BGH, Urteil vom 23. Oktober 2002 - 1 StR 274/02). Die Strafkammer würdigt - wenn auch knapp - alle hier in Betracht kommenden Gesichtspunkte, die gegen einen fehlenden Erlebnishintergrund der Angaben des Kindes sprechen (Unwahrhypothese ). Sie setzt sich ebenso mit der Aussagegenese auseinander, wie mit wechselnden Darstellungen, Fehlerinnerungen und Widersprüchen in den Angaben des kindlichen Zeugen. Dabei stützt sich die Strafkammer nicht nur auf das Sachverständigengutachten - deren Anknüpfungstatsachen und sonstige zum Verständnis und zur Beurteilung der Schlüssigkeit notwendigen Aspekte sie im hier gebotenen Umfang mitteilt - einer Psychologin sowie ergänzend auf die sachverständigen Darlegungen eines Kinderarztes und Psychologen , sondern auch auf die Beobachtungen des behandelnden Kinderarztes und der Lehrerin des Kindes sowie weiterer sachkundiger Zeugen, die dieses betreuten oder behandelten. Die Strafkammer erkennt in J. K. schließlich "ein aufgewecktes, frisches und auch kontaktfreudiges, örtlich und zeitlich orientiertes, aussagetüchtiges" - und schon gar nicht geisteskrankes - Kind, das sich in der Hauptverhandlung ohne Scheu zunächst spontan, bei Rückfragen überlegt äußerte und dessen Aussage im Kernbereich von Kon-
stanz und Detailreichtum geprägt ist und insoweit tatsächlich Erlebtes wiedergibt.
Rechtsfehlerfrei gelangt die Strafkammer schließlich zu folgender Bewertung : "Die Entstehung der Aussage von J. K. deutet nicht darauf hin, daß das Kind von seiner Mutter zu einer Belastung der beiden Angeklagten beeinflußt worden wäre." Die Angaben des aussagetüchtigen Zeugen J. K. "gegenüber der Kriminalpolizei, der Sachverständigen und dem Gericht sind im Kernbereich konstant geblieben. Gegenstand der Aussage waren jeweils Schläge seines Vaters mit der Schöpfkelle, das gemeinschaftliche Fesseln im Schlafzimmer sowie der sexuelle Mißbrauch durch Oralverkehr seitens der Angeklagten T. und das Eindringen in seines Anus durch einen Finger seines Vaters." Die detailreichen Schilderungen des Jungen weisen signifikante Realkennzeichen auf mit raum-zeitlichen Verknüpfungen sowie Interaktionsschilderungen. Vor diesem Hintergrund wird - wie die Strafkammer im einzelnen überzeugend darlegt - die Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht dadurch erschüttert, daß er sich hinsichtlich der Anzahl der Tathandlungen nicht genau erinnerte, sich bei der Anordnung der Möblierung teilweise irrte, sich bezüglich des Ortes der Fesselung im Schlafzimmer und der Anzahl sowie der Länge der dabei verwendeten Ketten korrigierte, sich über die Beschädigungen an der Schlafzimmertür bei seinem - im übrigen besonders plastisch und überzeugend geschilderten - Versuch, seine Schwester, zu befreien, falsche Vorstellungen machte, und er die weitere Tathandlung der Angeklagten S. T. erst in der Hauptverhandlung benannte. Erinnerungsdefizite zu verschleiern oder zu beschönigen, versuchte er nie.
Der mangelnden Erinnerung des geschädigten Kindes an die genaue Zahl der Übergriffe der Angeklagten hat die Strafkammer in der Konsequenz zutreffend dadurch Rechnung getragen, daß sie die Verurteilung auf die zweifelsfrei sicher feststellbare Mindestzahl von Taten beschränkte und die Angeklagten im übrigen freisprach, beziehungsweise - hinsichtlich des auch bei S. T. angeklagten Vorwurf des Schlagens mit der Schöpfkelle - das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat.
III.
Die Verurteilung der Angeklagten zur Zahlung von Schmerzensgeld ist frei von Rechtsfehlern. Beide haften als Gesamtschuldner. Die Strafkammer hat zwar zur Begründung des Anspruchs auch auf den durch die einzelnen Tathandlungen - etwa die Schläge mit der Schöpfkelle allein durch den Angeklagten A. K. - unmittelbar verursachten Schmerz abgestellt. Ausschlaggebend waren jedoch die infolge aller Taten - insbesondere derjenigen des sexuellen Mißbrauchs - und deren unmittelbare Auswirkungen insgesamt verursachten länger andauernden körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen , wie Angstzustände, Alpträume, erhöhte Aggressivität und Einkoten. Dies haben beide Angeklagte gemeinsam verursacht. Für die Entschädigung hierfür (§ 847 Abs. 1 BGB) haften sie deshalb als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB) und zwar - zumindest - in den beiden Fällen der Fesselung an den Stuhl als Mittäter (§ 830 Abs. 1 BGB), im übrigen als Nebentäter (vgl. Palandt - Thomas BGB 61. Aufl. § 840 Rdn. 2).
Das Landgericht hat der bezifferten Schmerzensgeldforderung ("minde- ! " $# %'&' ( ) * # + ', -/. %'&1032 4 %'&5 6 * stens 12.500,-- 7 8 9 * )&4 -3# . vollem Umfang, sondern nur in Höhe von 10.000,-- entsprochen. Zutreffend hat die Strafkammer davon abgesehen, die weitergehende Klage in der Urteilsformel abzuweisen, sie hat vielmehr - im Ergebnis - von einem Ausspruch über den weitergehenden Antrag abgesehen (§ 405 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. StPO). Denn im Adhäsionsverfahren kommt - entgegen den mißverständlichen Ausführungen des Landgerichts in den Urteilsgründen - eine Klageabweisung nicht in Betracht. Der Nebenkläger kann, soweit seinem Antrag nicht entsprochen wurde, sein Ziel anderweitig weiter verfolgen (§ 406 Abs. 3 Satz 2 StPO). Der Sache nach handelt es sich hier bei der Entscheidung der Strafkammer im Adhäsionsverfahren um ein Teilendurteil (vgl. LRHilger StPO 25. Aufl. § 406 Rdn. 8; Rieß, Das neue Strafverfahrensrecht, NStZ 1987, 145 [156]). Das - auch teilweise - Absehen von einer Entscheidung ist im Hinblick auf § 406 Abs. 3 Satz 2 StPO zur Verdeutlichung ausdrücklich zu tenorieren. Denn dieser Ausspruch - Absehen von einer Entscheidung - beendet die Rechtshängigkeit des vermögensrechtlichen Anspruchs (LR-Hilger StPO 25. Aufl. § 405 Rdn. 15). Der Senat hat deshalb die Formel des landgerichtlichen Urteils entsprechend ergänzt.
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Annotations
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
(weggefallen)
(1) Sind für den aus einer unerlaubten Handlung entstehenden Schaden mehrere nebeneinander verantwortlich, so haften sie als Gesamtschuldner.
(2) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 831, 832 zum Ersatz des von einem anderen verursachten Schadens verpflichtet ist, auch der andere für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der andere allein, im Falle des § 829 der Aufsichtspflichtige allein verpflichtet.
(3) Ist neben demjenigen, welcher nach den §§ 833 bis 838 zum Ersatz des Schadens verpflichtet ist, ein Dritter für den Schaden verantwortlich, so ist in ihrem Verhältnis zueinander der Dritte allein verpflichtet.
(1) Haben mehrere durch eine gemeinschaftlich begangene unerlaubte Handlung einen Schaden verursacht, so ist jeder für den Schaden verantwortlich. Das Gleiche gilt, wenn sich nicht ermitteln lässt, wer von mehreren Beteiligten den Schaden durch seine Handlung verursacht hat.
(2) Anstifter und Gehilfen stehen Mittätern gleich.
(1) Das Gericht gibt dem Antrag in dem Urteil statt, mit dem der Angeklagte wegen einer Straftat schuldig gesprochen oder gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird, soweit der Antrag wegen dieser Straftat begründet ist. Die Entscheidung kann sich auf den Grund oder einen Teil des geltend gemachten Anspruchs beschränken; § 318 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Das Gericht sieht von einer Entscheidung ab, wenn der Antrag unzulässig ist oder soweit er unbegründet erscheint. Im Übrigen kann das Gericht von einer Entscheidung nur absehen, wenn sich der Antrag auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Antragstellers zur Erledigung im Strafverfahren nicht eignet. Der Antrag ist insbesondere dann zur Erledigung im Strafverfahren nicht geeignet, wenn seine weitere Prüfung, auch soweit eine Entscheidung nur über den Grund oder einen Teil des Anspruchs in Betracht kommt, das Verfahren erheblich verzögern würde. Soweit der Antragsteller den Anspruch auf Zuerkennung eines Schmerzensgeldes (§ 253 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches) geltend macht, ist das Absehen von einer Entscheidung nur nach Satz 3 zulässig.
(2) Erkennt der Angeklagte den vom Antragsteller gegen ihn geltend gemachten Anspruch ganz oder teilweise an, ist er gemäß dem Anerkenntnis zu verurteilen.
(3) Die Entscheidung über den Antrag steht einem im bürgerlichen Rechtsstreit ergangenen Urteil gleich. Das Gericht erklärt die Entscheidung für vorläufig vollstreckbar; die §§ 708 bis 712 sowie die §§ 714 und 716 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Soweit der Anspruch nicht zuerkannt ist, kann er anderweit geltend gemacht werden. Ist über den Grund des Anspruchs rechtskräftig entschieden, so findet die Verhandlung über den Betrag nach § 304 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung vor dem zuständigen Zivilgericht statt.
(4) Der Antragsteller erhält eine Abschrift des Urteils mit Gründen oder einen Auszug daraus.
(5) Erwägt das Gericht, von einer Entscheidung über den Antrag abzusehen, weist es die Verfahrensbeteiligten so früh wie möglich darauf hin. Sobald das Gericht nach Anhörung des Antragstellers die Voraussetzungen für eine Entscheidung über den Antrag für nicht gegeben erachtet, sieht es durch Beschluss von einer Entscheidung über den Antrag ab.