Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Feb. 2014 - XII ZB 614/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Betroffene wendet sich gegen die betreuungsgerichtliche Genehmigung der Verlängerung ihrer Unterbringung.
- 2
- Für die Betroffene besteht eine Betreuung unter anderem mit den Aufgabenkreisen der Sorge für die Gesundheit und der Aufenthaltsbestimmung einschließlich der Entscheidung über eine Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen. Die Betroffene, die seit ihrem 12. Lebensjahr an Epilepsie leidet, wurde in den letzten Jahren wegen psychiatrischer Auffälligkeiten mehrfach stationär behandelt. Nach dem Inhalt der am 17. August 2012, 28. März 2013, 18. Juli 2013 und 23. August 2013 erstellten Sachverständigengutachten des Leitenden Oberarztes der Klinik für spezielle Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie des Klinikums S. leidet die Betroffene an einer organischen Wesensveränderung und an einer organischen wahnhaften Störung im Rahmen einer therapierefraktären Epilepsie.
- 3
- Durch Beschluss des Amtsgerichts vom 7. September 2012 wurde die durch die Betreuerin angeordnete Unterbringung in einem geschlossenen Pflegeheim für Psychiatrie bis längstens zum 6. September 2013 betreuungsgerichtlich genehmigt.
- 4
- Auf den Antrag der Betreuerin genehmigte das Amtsgericht durch Beschluss vom 3. September 2013 die weitere geschlossene Unterbringung der Betroffenen durch die Betreuerin bis längstens zum 2. September 2014. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen zurückgewiesen. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
- 6
- 1. Nach § 1906 Abs. 2 Satz 1 BGB bedarf die Unterbringung eines Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, grundsätzlich der Genehmigung durch das Betreuungsgericht. Die Genehmigung kann nur erteilt oder aufrechterhalten werden, wenn und solange die Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 BGB zulässig ist. Nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist die Unterbringung unter anderem zulässig, solange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Erkrankung oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Auch eine Un- terbringung zur Verhinderung einer Selbstschädigung setzt voraus, dass der Betreute auf Grund seiner psychischen Krankheit oder seiner geistigen oder seelischen Behinderung seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschlüsse vom 13. Januar 2010 - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Rn. 13 und vom 17. August 2011 - XII ZB 241/11 - FamRZ 2011, 1725 Rn. 12). Dieses Erfordernis lässt sich dem Gesetz zwar nicht unmittelbar entnehmen, ergibt sich aber aus der Erwägung, dass der Staat von Verfassungs wegen nicht das Recht hat, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder daran zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BayObLG FamRZ 1993, 600; OLG München FamRZ 2005, 1196, 1197 mwN).
- 7
- 2. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht seine Feststellungen zur fehlenden Willensbestimmungsfreiheit nicht rechtsfehlerfrei getroffen hat.
- 8
- a) Die Ausführungen des Beschwerdegerichts dazu, dass die Betroffene "nicht in der Lage sei, ihre eigene Situation zu erfassen", stehen - ebenso wie die Ausführungen des Amtsgerichts, dass die Betroffene "zu keiner freien Willensbestimmung zumindest hinsichtlich der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erkrankung" imstande sei - im Widerspruch zu den vom Sachverständigen in seinem Gutachten vom 23. August 2013 gezogenen Schlussfolgerungen. Denn dieser hatte der Betroffenen im Rahmen der Beantwortung der ihm im Beweisbeschluss gestellten Beweisfragen ausdrücklich bescheinigt, zu "einer freien Willensbestimmung im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Unterbringung in der Lage" zu sein.
- 9
- b) Das Gericht ist zwar nicht gehindert, eine vom Ergebnis des Gutachtens abweichende Bewertung - auch zur Frage der freien Willensbestimmung - vorzunehmen, wenn sich aus dem Gutachten genügend Anknüpfungstatsachen für eine abweichende Bewertung ergeben (vgl. OLG München FGPrax 2007, 267, 268). Will der Tatrichter allerdings einem Sachverständigengutachten nicht folgen, muss er eine von dem eingeholten Sachverständigengutachten abweichende Beurteilung in seiner Entscheidung sachkundig und ausführlich begründen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 14. November 2012 - XII ZB 344/12 - FamRZ 2013, 284 Rn. 10 und vom 14. Dezember 2011 - XII ZB 171/11 - FamRZ 2012, 441 Rn. 12; Prütting/Helms/Roth FamFG 3. Aufl. § 321 Rn. 6; Keidel/Budde FamFG 18. Aufl. § 280 Rn. 28; MünchKommFamFG/Schmidt-Recla 2. Aufl. § 280 Rn. 7).
- 10
- c) Diesen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Sie lässt bereits nicht erkennen, ob sich das Beschwerdegericht des Umstandes bewusst war, dass seine Entscheidung in Bezug auf die Beurteilung der Willensbestimmungsfreiheit vom Ergebnis des Gutachtens abweicht. Selbst wenn das Beschwerdegericht davon ausgegangen sein sollte, dass die vom Sachverständigen zur Willensbestimmungsfreiheit mitgeteilte Schlussfolgerung mit Blick auf die von ihm im Gutachten festgestellten Tatsachen zur psychischen Erkrankung der Betroffenen auf einem Schreibfehler oder einem sonstigen Irrtum beruhen müsse, hätte es dem im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) durch ergänzende Befragung des Sachverständigen nachgehen müssen.
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- 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Vorinstanzen:
AG Stuttgart-Bad Cannstatt, Entscheidung vom 03.09.2013 - 7 XVII 220/13 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 02.10.2013 - 2 T 323/13 -
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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.