Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2013 - XII ZB 429/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Betreuerin) ist seit dem Jahr 2010 als Mitarbeiterin des Beteiligten zu 3, eines Betreuungsvereins, als Berufsbetreuerin der Betroffenen bestellt. Die Betreuung für die unter Altersdepression und Morbus Parkinson leidende Betroffene umfasst unter anderem die Aufgabenkreise der Gesundheits- und der Vermögenssorge sowie der Aufenthaltsbestimmung und der Wohnungsangelegenheiten.
- 2
- Die Betreuerin erwarb im Jahr 1982 in der ehemaligen DDR den Hochschulabschluss als Diplomlehrerin für die Fachkombination Russisch und Ge- schichte und erhielt damit die Lehrbefähigung zur Erteilung des entsprechenden Fachunterrichts an den allgemeinbildenden polytechnischen Oberschulen der DDR. Im Jahr 1992 schloss sie zudem eine Ausbildung an einer Fachschule für Sozialpädagogik zur staatlich anerkannten Erzieherin ab.
- 3
- Für den Abrechnungszeitraum vom 20. Juli 2012 bis zum 19. Oktober 2012 hat die Betreuerin für ihre Tätigkeit die Festsetzung einer Betreuervergütung für sechs Stunden in Höhe von 264 € beantragt, der sie im Hinblick auf ihre Ausbildung einen Stundensatz nach der höchsten Vergütungsstufe von 44 € zugrunde gelegt hat.
- 4
- Das Amtsgericht hat dem Antrag stattgegeben und die Beschwerde zugelassen. Die Beschwerde der Staatskasse (Beteiligter zu 1), mit der diese unter Berücksichtigung des Abschlusses der Betreuerin als staatlich anerkannte Erzieherin geltend gemacht hat, eine Abrechnung auf der Basis eines Stundensatzes in Höhe von 33,50 € sei zutreffend, hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Staatskasse ihr Beschwerdebegehren weiter.
II.
- 5
- Die vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 70 Abs. 1 FamFG) und auch im Übrigen zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
- 6
- 1. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betreuerin habe im Rahmen ihres Studiums psychologische und pädagogische Kenntnisse erworben, die für die ihr übertragene Betreuung nutzbar seien. Sie könnten hilfreich sein, aus der Erkrankung der Betroffenen folgende Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden. Neben den Fächern Pädagogik und Psychologie einschließlich des Vertiefungsfachs Diagnostik der Schülerpersönlichkeit sei auch die Methodik des Unterrichts teilweise betreuungsrelevant. Die entsprechende Ausbildung sei nicht lediglich bei Gelegenheit des Studiums erfolgt, sondern habe angesichts der praktischen Bedeutung für den geplanten späteren Beruf und des zeitlichen und inhaltlichen Umfangs sowie der Prüfungsrelevanz Anteil am Kernbereich des Studiums.
- 7
- 2. Diese Ausführungen sind rechtlich nicht zu beanstanden.
- 8
- a) Die Frage, unter welchen Umständen ein Berufsbetreuer im Einzelfall die Voraussetzungen erfüllt, die gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG die Bewilligung einer erhöhten Vergütung rechtfertigen, obliegt einer wertenden Betrachtung des Tatrichters. Dessen Würdigung kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nur eingeschränkt darauf überprüft werden, ob er die maßgebenden Tatsachen vollständig und fehlerfrei festgestellt und gewürdigt, Rechtsbegriffe verkannt oder Erfahrungssätze verletzt und die allgemein anerkannten Maßstäbe berücksichtigt und richtig angewandt hat (Senatsbeschlüsse vom 22. August 2012 - XII ZB 319/11 - NJW-RR 2012, 1475 Rn. 9 und vom 4. April 2012 - XII ZB 447/11 - NJW-RR 2012, 774 Rn. 13).
- 9
- b) Einer solchen Überprüfung hält die tatrichterliche Würdigung des Beschwerdegerichts stand, wonach die abgeschlossene Hochschulausbildung der Betreuerin besondere, für die Führung der Betreuung nutzbare Kenntnisse vermittelt hat.
- 10
- aa) Dass die Betreuerin über eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG verfügt, wird von der Rechtsbeschwerde zu Recht nicht in Zweifel gezogen.
- 11
- bb) Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde dagegen, dass das Beschwerdegericht das Vorliegen auch der weiteren Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VBVG angenommen hat.
- 12
- (1) Besondere und für die Betreuung nutzbare Kenntnisse im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG sind solche, die über das jedermann zu Gebote stehende Wissen hinausgehen und den Betreuer in die Lage versetzen, seine Aufgaben zum Wohl des Betreuten besser und effektiver zu erfüllen. Angesichts der Pflichten des Betreuers, auf den Willen des Betreuten einzugehen, um seine Wünsche zu erkennen und ihnen weitgehend zu entsprechen (§ 1901 Abs. 2, Abs. 3 BGB), sind unter anderem Fachkenntnisse, die den Umgang mit und das Verständnis für die besondere Situation von psychisch Kranken oder Behinderten fördern, als für die Betreuung nutzbar anzusehen.
- 13
- Nach Sinn und Zweck des § 4 Abs. 1 Satz 2 VBVG ist ein erhöhter Stundensatz jedoch nicht bereits gerechtfertigt, wenn die Ausbildung gleichsam am Rande auch die Vermittlung betreuungsrelevanter Kenntnisse zum Inhalt hat. Erforderlich ist vielmehr, dass sie in ihrem Kernbereich hierauf ausgerichtet ist. Davon ist auszugehen, wenn ein erheblicher Teil der Ausbildung auf die Vermittlung solchen Wissens gerichtet und dadurch das erworbene betreuungsrelevante Wissen über ein Grundwissen deutlich hinausgeht (Senatsbeschluss vom 22. August 2012 - XII ZB 319/11 - NJW-RR 2012, 1475 Rn. 16 ff. mwN).
- 14
- (2) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das Beschwerdegericht zu Recht das Vorliegen besonderer und für die Betreuung nutzbarer Kenntnisse der Betreuerin bejaht.
- 15
- (a) Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts absolvierte die Betreuerin im zweiten Studienjahr ein dreiwöchiges pädagogisch-psychologisches Praktikum und im vierten Studienjahr ein 13-wöchiges "Großes Schulpraktikum". Ab dem fünften Semester belegte sie vertiefend das Fach Psychologie /Lehrgebiet Diagnostik der Schülerpersönlichkeit mit 188 Stunden. Weitere 116 der insgesamt 3.056 vorgesehenen Stunden entfielen auf Psychologie, 134 Stunden auf Pädagogik und 250 Stunden auf Methodik des Unterrichts. Gegenstand der von der Betreuerin absolvierten Abschlussprüfung waren unter anderem Pädagogik, Psychologie sowie Methodik des Haupt- und Nebenfachs. Im Abschlusszeugnis sind als "Abschlussprüfungen und Belege" unter anderem die Fächer "Diagnostik d. Schülerpersönlichkeit" und "Päd. psych. Praktikum" aufgeführt.
- 16
- (b) Ohne Rechtsfehler ist die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die durch das Studium vermittelten pädagogischen und psychologischen Kenntnisse für die Führung der Betreuung nutzbar sind. Denn sie können für die Betreuerin die Grundlage darstellen, um aus der Erkrankung der Betroffenen resultierende Schwierigkeiten im persönlichen Kontakt zu überwinden, die Bedürfnisse der Betroffenen zu erkennen und auf sie in sinnvoller Weise einzuwirken (vgl. KG FGPrax 2008, 60, 62; OLG Hamm NJW-RR 2002, 654, 655; OLG Zweibrücken FGPrax 2002, 21, 22; BayObLG FamRZ 2001, 306, 307; OLG Dresden FamRZ 2000, 847, 848; vgl. auch OLG Frankfurt Beschluss vom 21. Januar 2008 - 20 W 378/05 - juris Rn. 5; MünchKommBGB/Fröschle 6. Aufl. § 4 VBVG Rn. 11; Knittel Betreuungsrecht [Stand: 1.9.2011] § 4 VBVG Rn. 26; BtKomm/Dodegge 3. Aufl. Teil F Rn. 118). Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch für das Fach Diagnostik der Schülerpersönlichkeit.
- 17
- (c) In rechtlicher Hinsicht ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Beschwerdegericht darüber hinaus auch die durch das Studium vermittelten Kenntnisse in den Bereichen Didaktik und Methodik als zumindest teilweise betreuungsrelevant eingestuft hat. Denn sie können die Bewältigung der für die Kommunikation mit psychisch Kranken häufig besonders wichtigen, aber auch anspruchsvollen Aufgabe der situationsgerechten Aufbereitung und Weitergabe von Inhalten wesentlich befördern.
- 18
- (d) Schließlich hat das Beschwerdegericht zu Recht die betreuungsrelevanten Fächer dem Kernbereich des von der Betreuerin absolvierten Hochschulstudiums zugeordnet und damit als erheblichen Teil der Ausbildung angesehen.
- 19
- Dem steht nicht entgegen, dass die Ausbildung schwerpunktmäßig eine andere Zielrichtung hatte und im überwiegenden Teil der Gesamtstundenzahl auf die Wissenserlangung in den zu unterrichtenden Fächern Russisch und Geschichte ausgerichtet war. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, dass die im Rahmen des von der Betreuerin absolvierten Studiums erworbenen psychologischen und pädagogischen Kenntnisse auch in Anbetracht des prozentualen Anteils der entsprechenden Ausbildungsteile an der Gesamtstundenzahl als zentraler Teil des Lehrerstudiums anzusehen seien. Mit Blick auf den zeitlichen Umfang der insbesondere in den Bereichen Psychologie, Pädagogik und Diagnostik der Schülerpersönlichkeit absolvierten Ausbildung sowie darauf, dass das dabei vermittelte Wissen selbständiger und maßgeblicher Bestandteil der Abschlussprüfung war, ist das nicht zu beanstanden (vgl. auch OLG Hamm Beschluss vom 15. August 2006 - 15 W 139/06 - juris Rn. 11; BayObLG FamRZ 2001, 187, 188; OLG Köln FamRZ 2000, 1303, 1304; OLG Schleswig FamRZ 2000, 846, 847).
Vorinstanzen:
AG Riesa, Entscheidung vom 15.01.2013 - 4 XVII 66/10 -
LG Dresden, Entscheidung vom 12.07.2013 - 2 T 79/13 -
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(1) Die dem Betreuer nach § 1 Absatz 2 zu bewilligende Vergütung bestimmt sich nach monatlichen Fallpauschalen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt sind.
(2) Die Vergütung des Betreuers richtet sich nach Vergütungstabelle A, sofern der Betreuer über keine besonderen Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind.
(3) Verfügt der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, so richtet sich die Vergütung
- 1.
nach Vergütungstabelle B, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind; - 2.
nach Vergütungstabelle C, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.
(4) § 3 Absatz 2 gilt entsprechend. § 1 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 findet keine Anwendung.
(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Die dem Betreuer nach § 1 Absatz 2 zu bewilligende Vergütung bestimmt sich nach monatlichen Fallpauschalen, die in den Vergütungstabellen A bis C der Anlage festgelegt sind.
(2) Die Vergütung des Betreuers richtet sich nach Vergütungstabelle A, sofern der Betreuer über keine besonderen Kenntnisse verfügt, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind.
(3) Verfügt der Betreuer über besondere Kenntnisse, die für die Führung der Betreuung nutzbar sind, so richtet sich die Vergütung
- 1.
nach Vergütungstabelle B, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Lehre oder eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind; - 2.
nach Vergütungstabelle C, wenn diese Kenntnisse durch eine abgeschlossene Ausbildung an einer Hochschule oder durch eine vergleichbare abgeschlossene Ausbildung erworben sind.
(4) § 3 Absatz 2 gilt entsprechend. § 1 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 findet keine Anwendung.