Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Juli 2017 - X ZR 17/17
vorgehend
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat 11. Juli 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Gröning, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Der Antragstellerin ist Einsicht in die gesamte Nichtigkeitsakte zu gewähren. Die von der Klägerin erhobenen Einwände im Hinblick auf Aktenteile, die Rückschluss auf parallel geführte Verletzungsverfahren zulassen oder Angaben zu dort angegriffenen Ausführungsformen enthalten, sind unbegründet.
- 2
- Die Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens ist grundsätzlich frei (§ 99 Abs. 3 Satz 1 und § 31 Abs. 1 Satz 2 PatG). Der Darlegung eines eigenen berechtigten Interesses durch den Antragsteller bedarf es nicht (BGH, Beschluss vom 16. Dezember 1971 - X ZA 1/69, GRUR 1972, 441, 442 - Akteneinsicht IX). Das gilt auch für Hinweise auf einen anhängigen Verletzungsrechtsstreit und für Kopien von Aktenteilen aus einem solchen Verfahren, die die Parteien im Nichtigkeitsverfahren eingereicht haben. Allerdings können die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens ein berechtigtes Interesse daran haben, dass eine im Verletzungsrechtsstreit angegriffene und dort technisch näher erläuterte Ausführungsform sowie damit untrennbar verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Streitpatents einem Mitbewerber nicht offenbart werden (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZR 56/05, GRUR 2007, 815 - Akteneinsicht XVIII, Beschluss vom 30. Januar 2008 - X ZR 1/07, GRUR 2008, 633 - Akteneinsicht XIX). Ein solches Interesse kann etwa bestehen, wenn Dritte durch die Einsichtnahme Kenntnisse erlangen können, die ihnen ungerechtfertigte Wettbewerbsvorteile verschaffen können (BGH GRUR 2008, 633 Rn. 3 - Akteneinsicht XIX).
- 3
- Vor diesem Hintergrund kann die Einsicht in einzelne Aktenteile nicht schon deshalb verwehrt werden, weil diese Angaben zum äußeren Verlauf oder zum Aktenzeichen des Verletzungsrechtsstreits enthalten.
- 4
- Soweit sich die Klägerin gegen die Zugänglichmachung von Aktenteilen wendet, die Angaben zu den angegriffenen Ausführungsformen enthalten, hat sie nicht dargelegt, weshalb diese Informationen besonders schutzbedürftig sind.
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 15.11.2016 - 4 Ni 42/14 -
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(1) Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren vor dem Patentgericht enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden, wenn die Besonderheiten des Verfahrens vor dem Patentgericht dies nicht ausschließen.
(2) Eine Anfechtung der Entscheidungen des Patentgerichts findet nur statt, soweit dieses Gesetz sie zuläßt.
(3) Für die Gewährung der Akteneinsicht an dritte Personen ist § 31 entsprechend anzuwenden. Über den Antrag entscheidet das Patentgericht. Die Einsicht in die Akten von Verfahren wegen Erklärung der Nichtigkeit des Patents wird nicht gewährt, wenn und soweit der Patentinhaber ein entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse dartut.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Das Deutsche Patent- und Markenamt gewährt jedermann auf Antrag Einsicht in die Akten sowie in die zu den Akten gehörenden Modelle und Probestücke, wenn und soweit ein berechtigtes Interesse glaubhaft gemacht wird. Jedoch steht die Einsicht in das Register und die Akten von Patenten einschließlich der Akten von Beschränkungs- oder Widerrufsverfahren (§ 64) jedermann frei.
(2) In die Akten von Patentanmeldungen steht die Einsicht jedermann frei,
- 1.
wenn der Anmelder sich gegenüber dem Deutschen Patent- und Markenamt mit der Akteneinsicht einverstanden erklärt und den Erfinder benannt hat oder - 2.
wenn seit dem Anmeldetag (§ 35) oder, sofern für die Anmeldung ein früherer Zeitpunkt als maßgebend in Anspruch genommen wird, seit diesem Zeitpunkt achtzehn Monate verstrichen sind
(3) Soweit die Einsicht in die Akten jedermann freisteht, steht die Einsicht auch in die zu den Akten gehörenden Modelle und Probestücke jedermann frei.
(3a) Soweit die Einsicht in die Akten jedermann freisteht, kann die Einsichtnahme bei elektronischer Führung der Akten auch über das Internet gewährt werden.
(3b) Die Akteneinsicht nach den Absätzen 1 bis 3a ist ausgeschlossen, soweit
- 1.
ihr eine Rechtsvorschrift entgegensteht, - 2.
das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person im Sinne des Artikels 4 Nummer 1 der Verordnung (EU) 679/2016 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1; L 314 vom 22.11.2016, S. 72; L 127 vom 23.5.2018, S. 2) in der jeweils geltenden Fassung offensichtlich überwiegt oder - 3.
in den Akten Angaben oder Zeichnungen enthalten sind, die offensichtlich gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen.
(4) In die Benennung des Erfinders (§ 37 Abs. 1) wird, wenn der vom Anmelder angegebene Erfinder es beantragt, Einsicht nur nach Absatz 1 Satz 1 gewährt; § 63 Abs. 1 Satz 4 und 5 ist entsprechend anzuwenden.
(5) In die Akten von Patentanmeldungen und Patenten, für die gemäß § 50 jede Veröffentlichung unterbleibt, kann das Deutsche Patent- und Markenamt nur nach Anhörung der zuständigen obersten Bundesbehörde Einsicht gewähren, wenn und soweit ein besonderes schutzwürdiges Interesse des Antragstellers die Gewährung der Einsicht geboten erscheinen läßt und hierdurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht zu erwarten ist. Wird in einem Verfahren eine Patentanmeldung oder ein Patent nach § 3 Abs. 2 Satz 3 als Stand der Technik entgegengehalten, so ist auf den diese Entgegenhaltung betreffenden Teil der Akten Satz 1 entsprechend anzuwenden.
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Dem Antrag der Antragsteller auf Gewährung von Akteneinsicht in das vorliegende Patentnichtigkeitsverfahren ist zu entsprechen.
- 2
- Die Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens ist grundsätzlich frei. Es bedarf - entgegen der Auffassung der Beklagten - in der Regel weder der Geltendmachung eines eigenen berechtigten Interesses seitens des Antragstellers noch der Darlegung, für wen um Akteneinsicht nachgesucht wird (§ 99 Abs. 3, Sätze 2, 3 PatG; Sen.Beschl. v. 17.10.2000 - X ZR 4/00, GRUR 2001, 143 - Akteneinsicht XV).
- 3
- Der Gewährung der Akteneinsicht steht auch nicht entgegen, dass die Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Einsicht in das aus dem parallelen Patentverletzungsprozess stammende Dokument D 16 (Schriftsatz der Beklagtenvertreter im Verletzungsprozess) nicht dargelegt haben. Hinweise auf ein laufendes Verletzungsverfahren sowie Kopien von Aktenteilen eines Verletzungsprozesses , die von den Parteien im Nichtigkeitsverfahren eingereicht worden sind, unterliegen grundsätzlich der freien Akteneinsicht. Allerdings kann der Nichtigkeitskläger ein schutzwürdiges Interesse daran haben, dass eine im Verletzungsprozess angegriffene und dort technisch näher erläuterte Ausführungsform einem Wettbewerber nicht durch eine uneingeschränkte Akteneinsicht offenbart wird; untrennbar damit verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Klagepatents können ebenfalls von der Akteneinsicht ausgenommen werden (Sen.Beschl. v. 10.10.2006 - X ZR 133/05, GRUR 2007, 133; Benkard /Schäfers, PatG u. GebrMG, 10. Aufl., § 99 PatG Rdn. 18; Busse/Schuster/ Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 99 PatG Rdn. 38 jeweils m.w.N.). In diesem Sinne schutzwürdige Interessen, die einer Akteneinsicht der Antragsteller auch in dieses Dokument entgegenstehen könnten, hat die Beklagte nicht dargelegt, sondern sich allgemein darauf berufen, dass der Prozessstoff im Verletzungsprozess stets der Regelung des § 299 Abs. 2 ZPO unterliege. Das trifft auf die Akteneinsicht in die Akten von Patentnichtigkeitsverfahren nicht zu. Die freie Akteneinsicht nach § 99 Abs. 3 Sätze 2 und 3 PatG umfasst grundsätzlich die gesamten Akten des Patentnichtigkeitsverfahrens einschließlich in dieses Verfahren eingeführter Aktenteile aus Patentverletzungsverfahren, solange nicht ein der Akteneinsicht auch in solche Aktenteile entgegenstehendes schutzwürdiges Interesse geltend gemacht ist.
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.02.2005 - 4 Ni 37/03 -
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- Dem Antrag des Antragstellers auf Gewährung von Akteneinsicht in das vorliegende Patentnichtigkeitsverfahren ist mit der ausgesprochenen Einschränkung zu entsprechen.
- 2
- Die Einsicht in die Akten des Nichtigkeitsverfahrens ist grundsätzlich frei. Es bedarf in der Regel weder der Geltendmachung eines eigenen berechtigten Interesses seitens des Antragstellers noch der Darlegung, für wen um Akteneinsicht nachgesucht wird (Sen.Beschl. v. 17.10.2000 - X ZR 4/00, GRUR 2001, 143 - Akteneinsicht XV).
- 3
- Soweit die Beklagte geltend gemacht hat, durch die Gewährung von Akteneinsicht könnten Dritte Einblick in die im Beschlusstenor genannten Anlagen erhalten und sich bei öffentlichen Ausschreibungen von Kommunen und Gemeinden einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschaffen, steht der Umstand, dass ein Verletzungsverfahren geführt wird, der Gewährung von Akteneinsicht nicht schlechthin entgegen. Hinweise auf ein laufendes Verletzungsverfahren sowie Kopien von Aktenteilen eines Verletzungsprozesses, die von den Parteien im Nichtigkeitsverfahren eingereicht worden sind, unterliegen grundsätzlich der freien Akteneinsicht (Sen.Beschl. v. 27.6.2007 - X ZR 56/05, Akteneinsicht XVIII, GRUR 2007, 133). Die Parteien des Nichtigkeitsverfahrens können jedoch ein berechtigtes Interesse daran haben, dass eine im Verletzungsprozess angegriffene und dort technisch näher erläuterte Ausführungsform einem Wettbewerber nicht durch eine uneingeschränkte Akteneinsicht offenbart wird; untrennbar damit verbundene Ausführungen zum Schutzumfang des Klagepatents können ebenfalls von der Akteneinsicht ausgenommen werden (vgl. Benkard/Schäfers, PatG u. GebrMG, 10. Aufl., § 99 PatG Rdn. 18; Busse/Schuster/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 99 PatG Rdn. 38 jeweils m.w.N.). Wie die Beklagte dargelegt hat, handelt es sich bei den Ausführungen in dem von der Akteneinsicht ausgenommenen Schriftsatz und den genannten Anlagen um eine Sonderform eines Schachtbauelements, so dass dem Interesse , die Ausführungen in dem Schriftsatz und die Zeichnungen der genannten Anlagen von der Akteneinsicht auszunehmen, die Berechtigung nicht abgesprochen werden kann (vgl. auch Sen.Beschl. v. 27.6.2006, aaO).
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 02.11.2006 - 3 Ni 31/05 -