Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2000 - X ZB 13/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Entscheidung, auch über die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Gründe:
I. Durch Versäumnisurteil des Landgerichts vom 24. September 1999 ist der Beklagte verurteilt worden, 132.866,60 DM nebst 9 % Zinsen seit dem 26. September 1998 an die Klägerin zu zahlen. Nach dem Inhalt der Postzustellungsurkunde vom 5. Oktober 1999 wurde ihm das Versäumnisurteil durch Niederlegung zur Post unter der Anschrift seiner Tochter, zu der seine Post
infolge eines Postnachsendeauftrages umgeleitet wurde, zugestellt. In der Urkunde ist vermerkt, daß die Benachrichtigung über die Zustellung in den Postkasten der Tochter des Beklagten eingeworfen worden sei.
Am 23. Dezember 1999 hat der Beklagte gegen das Versäumnisurteil Einspruch einlegen lassen und zugleich beantragt, ihm wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung zu gewähren. Sowohl von der zugrundeliegenden Klage als auch von dem ergangenen Versäumnisurteil habe er erst erfahren, nachdem er durch seine Bank am 10. Dezember 1999 telefonisch darauf hingewiesen worden sei, daß auf seinem Motorschiff eine Zwangshypothek zugunsten der Klägerin eingetragen worden sei, und daraufhin weitere Nachforschungen angestellt habe. Seine Tochter habe weder am 9. August 1999 noch am 5. Oktober 1999 eine Nachricht über die Niederlegung eines Schriftstückes erhalten. Im Zusammenhang mit seinem Wiedereinsetzungsantrag hat er weiter eine eidesstattliche Versicherung seiner Tochter beigefügt, nach deren Inhalt diese weder am 3. September 1999 - dem für die Zustellung der Klage ebenfalls durch Niederlegung auf der Zustellungsurkunde vermerkten Zustellungstag - noch am 5. Oktober 1999 eine Benachrichtigung über die Niederlegung eines Schriftstückes erhalten hat. Ferner hat er sich zum Beweis auf das Zeugnis seiner Tochter bezogen.
Das Landgericht hat die Tochter des Beklagten als Zeugin gehört. Mit Beschluß vom 17. Februar 2000 hat es den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Die gegen diese Entscheidung gerichtete sofortige Beschwerde ist durch den jetzt mit der weiteren sofortigen Beschwerde angefochtenen Beschluß des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen zurückgewiesen worden. Dieses hat es wie das Landgericht nicht als glaubhaft gemacht ange-
sehen, daß die Tochter des Beklagten den Benachrichtigungsschein nicht in ihrem Postkasten vorgefunden habe. Ein eventuelles Fehlverhalten seiner Tochter müsse der Beklagte aber gegen sich gelten lassen, weil sie infolge des erteilten Postnachsendeauftrages wie seine Zustellungsbevollmächtigte zu behandeln sei.
II. Die weitere sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 577, 568 a, 547 ZPO). Sie ist auch begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht. Die von diesem getroffenen Feststellungen tragen seine Auffassung nicht, der Beklagte habe nicht glaubhaft gemacht, ohne sein Verschulden an der Einhaltung der Einspruchsfrist verhindert gewesen zu sein (§§ 233, 236, 238 ZPO).
1. Nach dem Inhalt der eidesstattlichen Versicherung der Tochter des Beklagten und deren Bekundung vor dem Landgericht ist hinreichend wahrscheinlich , daß diese weder die Benachrichtigung über die Zustellung der Klage noch die über die Zustellung des Versäumnisurteils erhalten hat. Gründe, die der Glaubwürdigkeit dieser Angaben entgegenstehen könnten, haben weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht festgestellt. Zur Begründung, daß diese Angaben zur Glaubhaftmachung nicht genügten, haben sie allein angeführt, daß sie mit dem Inhalt der Postzustellungsurkunde nicht in Einklang zu bringen seien und damit ein unauflösbarer Widerspruch verbleibe; das wirke sich mit Blick auf die Beweiskraft der öffentlichen Urkunde zum Nachteil des Beklagten aus. Mit dieser Würdigung haben die Tatrichter die Anforderungen an die Glaubhaftmachung der fehlenden Sorgfaltspflichtverletzung überspannt. Allerdings begründet die Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde nach den §§ 418, 415 ZPO den Beweis für die darin beurkundeten Tatsachen, hier
also der ordnungsgemäßen Zustellung, die den Einwurf der Benachrichtigung in den Postkasten einschließt. Der insoweit mit der Urkunde zu führende Beweis kann jedoch, wie sich aus Abs. 2 des § 418 ZPO ergibt, durch einen Gegenbeweis erschüttert werden. Entsprechendes gilt für die im Rahmen der Wiedereinsetzung erforderliche Glaubhaftmachung. Für die Frage, ob den dabei zu stellenden Anforderungen genügt ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung, in der der Beweiskraft der Urkunde die der Gegenbeweismittel gegenüberzustellen und beide gegeneinander abzuwägen sind. Für diese Beweiswürdigung ist der Hinweis auf die von der Urkunde ausgehende Beweiskraft allein nicht ausreichend. Zu Recht weist die sofortige Beschwerde darauf hin, daß andernfalls der gesetzlich vorgesehene und eröffnete Gegenbeweis praktisch nicht geführt werden könnte. Im Rahmen der Würdigung ist vielmehr erforderlich eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem zum Gegenbeweis angebotenen Beweismitteln und der von ihnen ausgehenden Überzeugungskraft. Das setzt bei der Würdigung eines Zeugenbeweises insbesondere dann, wenn dessen Ergebnis wie hier mit dem Inhalt der Urkunde unvereinbar erscheint , auch eine Auseinandersetzung mit den Gegenbeweismitteln voraus, die die Tatrichter hier bisher nicht getroffen haben. Das wird nachzuholen sein.
2. Die vom Oberlandesgericht getroffene, im Ergebnis das Wiedereinsetzungsgesuch zurückweisende Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand kann im Verfahren der weiteren Beschwerde mangels hinreichender tatrichterlicher Feststellungen von einer fehlenden Glaubwürdigkeit der Tochter des Beklagten nicht ausgegangen werden. Aufgrund der bisherigen Beweislage ist in diesem Verfahren daher zugrunde zu legen, daß sie von den Benachrichtigungen keine Kenntnis erlangt hat, zumal auch im Hinblick auf die getroffenen Siche-
rungsmaßnahmen der Einwurf einer Benachrichtigung nicht zwangsläufig bedeutet , daß er auch zur Kenntnis der Tochter des Beklagten gelangt sein muß. Auch bei völlig einwandfreier Empfangsorganisation ist es gelegentlich unvermeidbar , daß ein hinterlassener Benachrichtigungszettel verlorengeht. So kann er etwa auch zwischen Werbematerial geraten, mit dem schon bei Privathaushalten zu rechnen ist und das nicht immer sorgfältig durchgesehen wird, ohne daß dies dem Empfänger vorzuwerfen ist.
Eine damit nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand allenfalls festzustellende Unkenntnis der Tochter des Beklagten von dem Benachrichtigungsschein verletzt die von einer Prozeßpartei zu fordernde Sorgfalt allein noch nicht, wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat (Beschl. v. 15.06.1994 - IV ZB 6/94, MDR 1994, 1035 = NJW 1994, 2898). Insoweit bedarf es vielmehr des Hinzutretens weiterer Umstände, die hier nicht festgestellt sind. Da nach ihren - im gegenwärtigen Stadium des Verfahrens nicht zu widerlegenden - Angaben bereits die Zustellung der Klage die Tochter des Beklagten nicht erreicht hat, bestand auf ihrer Seite kein Anlaß, in verstärktem Umfang mit der Zustellung entsprechender Schriftstücke zu rechnen, wobei hier noch hinzukam, daß zwischen den Parteien des Rechtsstreits bereits ein Beweissicherungsverfahren anhängig war, vor dessen Hintergrund es aus ihrer Sicht verständlich war, wenn sie annahm, daß auch die weitere Korrespondenz mit dem für dieses Verfahren bestellten Anwalt geführt würde. Die für die Sicherung des Zuganges von Schriftstücken erforderlichen Maßnahmen hat die Tochter des Klägers getroffen. Nach ihren Angaben, auf die das Oberlandesgericht nicht weiter eingegangen ist, war der Briefkasten verschlossen und ihrem minderjährigen Kind nicht zugänglich. Anhaltspunkte dafür, daß sie mit einem Zugriff Dritter auf ihre Post hat rechnen müssen, sind weder geltend ge-
macht noch festgestellt worden. Sonstige fehlerhafte Vorkehrungen zum Empfang von Postsendungen sind der Tochter des Beklagten nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht vorzuwerfen. Bei dieser Sachlage kann allein in der Unkenntnis eine Sorgfaltspflichtverletzung auf seiten der Tochter des Beklagten nicht gesehen werden; für eine Sorgfaltspflichtverletzung durch den Beklagten selbst fehlt es an jedem Anhaltspunkt.
3. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht Gelegenheit, der Frage nachzugehen, ob eine Zustellung durch Niederlegung unter der Nachsendeadresse nach § 182 ZPO zulässig war.
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Urkunden, die von einer öffentlichen Behörde innerhalb der Grenzen ihrer Amtsbefugnisse oder von einer mit öffentlichem Glauben versehenen Person innerhalb des ihr zugewiesenen Geschäftskreises in der vorgeschriebenen Form aufgenommen sind (öffentliche Urkunden), begründen, wenn sie über eine vor der Behörde oder der Urkundsperson abgegebene Erklärung errichtet sind, vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges.
(2) Der Beweis, dass der Vorgang unrichtig beurkundet sei, ist zulässig.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Zum Nachweis der Zustellung nach den §§ 171, 177 bis 181 ist eine Urkunde auf dem hierfür vorgesehenen Formular anzufertigen. Für diese Zustellungsurkunde gilt § 418.
(2) Die Zustellungsurkunde muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Person, der zugestellt werden soll, - 2.
die Bezeichnung der Person, an die der Brief oder das Schriftstück übergeben wurde, - 3.
im Falle des § 171 die Angabe, dass die Vollmachtsurkunde vorgelegen hat, - 4.
im Falle der §§ 178, 180 die Angabe des Grundes, der diese Zustellung rechtfertigt und wenn nach § 181 verfahren wurde, die Bemerkung, wie die schriftliche Mitteilung abgegeben wurde, - 5.
im Falle des § 179 die Erwähnung, wer die Annahme verweigert hat und dass der Brief am Ort der Zustellung zurückgelassen oder an den Absender zurückgesandt wurde, - 6.
die Bemerkung, dass der Tag der Zustellung auf dem Umschlag, der das zuzustellende Schriftstück enthält, vermerkt ist, - 7.
den Ort, das Datum und auf Anordnung der Geschäftsstelle auch die Uhrzeit der Zustellung, - 8.
Name, Vorname und Unterschrift des Zustellers sowie die Angabe des beauftragten Unternehmens oder der ersuchten Behörde.
(3) Die Zustellungsurkunde ist der Geschäftsstelle in Urschrift oder als elektronisches Dokument unverzüglich zurückzuleiten.