Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Apr. 2011 - X ZB 1/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdewert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
- 1
- I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des deutschen Patents 197 57 493 (Streitpatents), das am 23. Dezember 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität einer koreanischen Anmeldung vom 23. Dezember 1996 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft einen modularen Fernseher und ein Steuerungsverfahren dafür. Die Patentansprüche 1 und 2 lauten wie folgt: "1. Modularer Fernseher, der umfasst: - einen Mikrocomputer (4; 20) zur Steuerung von Funktionskarten (1219 ), die in dem modularen Fernseher angebracht sind, und zur Überprüfung , ob die Funktionskarten in Übereinstimmung mit abgespeicherten Modultypdaten angebracht sind, - einen Speicher (21), der mit dem Mikrocomputer verbunden ist, zum Speichern der Modultypdaten, welche den aktuell gewählten Modultyp kennzeichnen, und von Daten über funktionale Zustände des modularen Fernsehers und der darin enthaltenen Funktionskarten, - einen I²C-BUS (22), der die Komponenten des Fernsehers miteinander verbindet - eine Verbindungseinheit (23), über die eine externe Steuerungsvorrichtung (24) an den I²C-BUS angeschlossen werden kann, wobei mittels der externen Steuerungsvorrichtung Modultypdaten, welche den aktuell gewählten Modultyp kennzeichnen, eingegeben und in dem Speicher abgespeichert werden können.
- 2
- Die weiteren Patentansprüche sind auf Patentanspruch 2 zurückbezogen.
- 3
- Die Rechtsbeschwerdegegnerin hat gegen das Streitpatent Einspruch erhoben. Sie hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Patentinhaberin hat das Schutzrecht in erster Linie in der erteilten Fassung und hilfsweise in geänderter Fassung verteidigt.
- 4
- Das Patentgericht hat das Streitpatent mit der angefochtenen Entscheidung widerrufen. Dagegen richtet sich die nicht zugelassene Rechtsbeschwerde der Patentinhaberin, der die Einsprechende entgegentritt.
- 5
- II. Das form- und fristgerecht eingelegte Rechtsmittel ist statthaft, weil die Patentinhaberin einen Zulassungsgrund im Sinne von § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG geltend macht. Es ist jedoch unbegründet. Das Patentgericht hat den Anspruch der Patentinhaberin auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
- 6
- 1. Der Rechtsbeschwerdegrund des § 100 Abs. 3 Nr. 3 PatG trägt der Bedeutung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) für ein rechtsstaatliches Verfahren Rechnung, in dem jeder Verfahrensbeteiligte seine Rechte wirksam wahrnehmen kann. Dies setzt voraus, dass das Gericht das tatsächliche und rechtliche Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis nimmt und auf seine sachlich-rechtliche und verfahrensrechtliche Entscheidungserheblichkeit prüft und ferner keine Erkenntnisse verwertet, zu denen die Verfahrensbeteiligten sich nicht äußern konnten (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2007 - X ZB 6/05, BGHZ 173, 47 Rn. 30 - Informationsübermittlungsverfahren II; Beschluss vom 22. September 2009 - Xa ZB 36/08, GRUR 2010, 87 Rn. 12 - Schwingungsdämpfer).
- 7
- Unter dem zuletzt genannten Aspekt kommt eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG insbesondere dann in Betracht, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen zu Grunde gelegt hat, zu denen ein Beteiligter nicht mehr Stellung nehmen konnte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet allerdings nicht, dass das Patentgericht darauf hinweist, welchen Offenbarungsgehalt es einer in der mündlichen Verhandlung erörterten Veröffentlichung entnimmt. Art. 103 Abs. 1 GG ist jedoch verletzt, wenn das Patentgericht die Patentfähigkeit unter Berufung auf eine zum Stand der Technik gehörende Veröffentlichung verneint, die der Einsprechende nur beiläufig in Zusammenhang mit einem (neben der fehlenden Patentfähigkeit) zusätzlich geltend gemachten Widerrufsgrund erwähnt hat, ohne zuvor den Patentinhaber darauf hinzuweisen, dass diese Veröffentlichung der Patentfähigkeit entgegenstehen könnte (BGH, Beschluss vom 8. September 2009 - X ZB 35/08, GRUR 2009, 1192 Rn. 16 - Polyolefinfolie).
- 8
- 2. Im Streitfall ist das Patentgericht den sich daraus ergebenden Anforderungen gerecht geworden.
- 9
- a) Das Patentgericht war gehalten, die Patentinhaberin darauf hinzuweisen , dass der Gegenstand des Streitpatents durch die US-Patentschrift 5 274 455 nahegelegt sein könnte. Die Einsprechende hatte diese Entgegenhaltung zwar als Anlage D3 in das Verfahren eingeführt und auch im Zusammenhang mit dem Widerrufsgrund der fehlenden Patentfähigkeit erwähnt, ihre Argumentation aber im Wesentlichen auf andere Entgegenhaltungen gestützt.
- 10
- Dieser Hinweispflicht hat das Patentgericht genügt, indem es, wie beide Beteiligten übereinstimmend vortragen, zu Beginn der mündlichen Verhandlung über den Einspruch darauf hingewiesen hat, dass es gegenüber der Entgegenhaltung D3 keine erfinderische Tätigkeit sehe.
- 11
- b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Patentgericht nicht gehalten, einen Hinweis dieses Inhalts bereits vor der mündlichen Verhandlung zu erteilen.
- 12
- Ein in der mündlichen Verhandlung erteilter Hinweis ist zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör allerdings nicht ausreichend, wenn der Beteiligte keine angemessene Möglichkeit hat, im Rahmen der Verhandlung zu dem Hinweis Stellung zu nehmen. Hat das Gericht in solchen Konstellationen den Hinweis nicht bereits in angemessenem zeitlichem Abstand vor der mündlichen Verhandlung erteilt, ist es von Verfassungs wegen gehalten, die Verhandlung zu vertagen oder dem Beteiligten ein Schriftsatzrecht einzuräumen (BVerfG, Beschluss vom 18. August 2010 - 1 BvR 3268/07, LKV 2010, 468 Rn. 28 ff.).
- 13
- Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall indes nicht vor. Die Patentinhaberin hatte in der mündlichen Verhandlung auch ohne einen schon im Vorfeld erteilten Hinweis ausreichend Gelegenheit, zum Offenbarungsgehalt der Entgegenhaltung D3 und den sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents Stellung zu nehmen. Die genannte Entgegenhaltung wird in der Beschreibung des Streitpatents ausdrücklich erwähnt (Abs. 21) und ist ausweislich des Vermerks auf der ersten Seite der Streitpatentschrift im Erteilungsverfahren für die Beurteilung der Patentfähigkeit in Betracht gezogen worden. Auch die Einsprechende hat diese Veröffentlichung in ihrer Einspruchsbegründung als eine von vier Entgegenhaltungen aufgeführt. Vor diesem Hintergrund durfte das Patentgericht davon ausgehen , dass die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung auch ohne vorherigen Hinweis zu dieser Entgegenhaltung Stellung nehmen kann. Besondere Umstände, die zu einer anderen Beurteilung führen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch von der Rechtsbeschwerde nicht geltend gemacht.
- 14
- c) Ob die Einsprechende die Entgegenhaltung D3 zusammen mit der Einspruchsbegründung in Kopie zur Gerichtsakte gereicht hat und ob eine Abschrift davon an die Patentinhaberin übermittelt worden ist, bedarf keiner Aufklärung. Selbst wenn diese Entgegenhaltung anders als alle übrigen Veröffentlichungen , auf die die Einsprechende Bezug genommen hatte, nicht als Anlage eingereicht worden wäre, war die Patentinhaberin ohne weiteres in der Lage, auf diese Patentschrift zuzugreifen, sofern sie ihr nicht ohnehin noch aus dem Erteilungsverfahren zur Verfügung stand. Das Patentgericht brauchte sich vor diesem Hintergrund im Vorfeld der mündlichen Verhandlung nicht eigens zu vergewissern, ob der Patentinhaberin eine Kopie der Entgegenhaltung übermittelt worden war.
- 15
- III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 51 Abs. 1 GKG.
- 16
- IV. Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich gehalten (§ 107 Abs. 1 Halbsatz 2 PatG).
Grabinski Bacher
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 03.03.2010 - 20 W(pat) 339/05 -
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Annotations
(1) Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Patentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 73 oder über die Aufrechterhaltung oder den Widerruf eines Patents nach § 61 Abs. 2 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat die Rechtsbeschwerde in dem Beschluß zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.
(3) Einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse der Beschwerdesenate des Patentgerichts bedarf es nicht, wenn einer der folgenden Mängel des Verfahrens vorliegt und gerügt wird:
- 1.
wenn das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
wenn bei dem Beschluß ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
wenn der Beschluß auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
wenn der Beschluß nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Gegen die Beschlüsse der Beschwerdesenate des Patentgerichts, durch die über eine Beschwerde nach § 73 oder über die Aufrechterhaltung oder den Widerruf eines Patents nach § 61 Abs. 2 entschieden wird, findet die Rechtsbeschwerde an den Bundesgerichtshof statt, wenn der Beschwerdesenat die Rechtsbeschwerde in dem Beschluß zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu entscheiden ist oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordert.
(3) Einer Zulassung zur Einlegung der Rechtsbeschwerde gegen Beschlüsse der Beschwerdesenate des Patentgerichts bedarf es nicht, wenn einer der folgenden Mängel des Verfahrens vorliegt und gerügt wird:
- 1.
wenn das beschließende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war, - 2.
wenn bei dem Beschluß ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war, - 3.
wenn einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war, - 4.
wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, sofern er nicht der Führung des Verfahrens ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat, - 5.
wenn der Beschluß auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder - 6.
wenn der Beschluß nicht mit Gründen versehen ist.
(1) Sind an dem Verfahren über die Rechtsbeschwerde mehrere Personen beteiligt, so kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Kosten, die zur zweckentsprechenden Erledigung der Angelegenheit notwendig waren, von einem Beteiligten ganz oder teilweise zu erstatten sind, wenn dies der Billigkeit entspricht. Wird die Rechtsbeschwerde zurückgewiesen oder als unzulässig verworfen, so sind die durch die Rechtsbeschwerde veranlaßten Kosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen. Hat ein Beteiligter durch grobes Verschulden Kosten veranlaßt, so sind ihm diese aufzuerlegen.
(2) Dem Präsidenten des Deutschen Patent- und Markenamts können Kosten nur auferlegt werden, wenn er die Rechtsbeschwerde eingelegt oder in dem Verfahren Anträge gestellt hat.
(3) Im übrigen gelten die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen entsprechend.
(1) In Rechtsmittelverfahren des gewerblichen Rechtsschutzes (§ 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 14) und in Verfahren über Ansprüche nach dem Patentgesetz, dem Gebrauchsmustergesetz, dem Markengesetz, dem Designgesetz, dem Halbleiterschutzgesetz und dem Sortenschutzgesetz ist der Wert nach billigem Ermessen zu bestimmen.
(2) In Verfahren über Ansprüche nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und nach dem Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(3) Ist die Bedeutung der Sache für den Beklagten erheblich geringer zu bewerten als der nach Absatz 2 ermittelte Streitwert, ist dieser angemessen zu mindern. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts hinsichtlich des Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruchs keine genügenden Anhaltspunkte, ist insoweit ein Streitwert von 1 000 Euro anzunehmen. Dieser Wert ist auch anzunehmen, wenn die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Zuwiderhandlung angesichts ihrer Art, ihres Ausmaßes und ihrer Folgen die Interessen von Verbrauchern, Mitbewerbern oder sonstigen Marktteilnehmern in nur unerheblichem Maße beeinträchtigt. Der nach Satz 2 oder Satz 3 anzunehmende Wert ist auch maßgebend, wenn in den dort genannten Fällen die Ansprüche auf Beseitigung und Unterlassung nebeneinander geltend gemacht werden.
(4) Im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist der sich aus den Absätzen 2 und 3 ergebende Wert in der Regel unter Berücksichtigung der geringeren Bedeutung gegenüber der Hauptsache zu ermäßigen.
(5) Die Vorschriften über die Anordnung der Streitwertbegünstigung (§ 12 Absatz 3 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, § 144 des Patentgesetzes, § 26 des Gebrauchsmustergesetzes, § 142 des Markengesetzes, § 54 des Designgesetzes, § 22 des Gesetzes zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen) sind anzuwenden.