Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Jan. 2011 - VIII ZR 27/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Beklagten waren Mieter einer Wohnung der Klägerin. Die Klägerin macht restliche Mietansprüche und Nebenkostennachforderungen geltend. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 1.068,19 € nebst Verzugszinsen verurteilt; die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die Beklagten eine Ermäßigung der ausgesprochenen Verurteilung um 671,37 € auf 396,82 €.
- 2
- Nach Zustellung der Revisionsbegründung der Beklagten vom 10. Mai 2010 und der Terminsladung des Senats auf den 3. November 2010 an den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat Rechtsanwältin B. mit Schriftsatz vom 13. Juli 2010 die Vertretung der Klägerin angezeigt. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2010 hat sie die Niederlegung des Mandats mitgeteilt und angekündigt, für die Klägerin werde im Termin niemand erscheinen. Der Verhandlungstermin ist später auf den 8. Dezember 2010 verlegt worden. Hierzu ist die Klägerin über Rechtsanwältin B. (im Folgenden : ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin) geladen worden, die die Terminsladung mit Empfangsbekenntnis vom 12. Oktober 2010 bestätigt hat.
- 3
- Am 8. Dezember 2010 hat der Senat durch Versäumnisurteil in der Sache entschieden. Von der Geschäftsstelle ist am 16. Dezember 2010 die Zustellung des Urteils an die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin verfügt worden. Diese hat das Urteil nicht entgegen genommen, sondern es mit Schreiben vom 29. Dezember 2010 zusammen mit dem nicht vollzogenen Empfangsbekenntnis unter Hinweis auf einen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1965 (V ZB 112/64) zurückgegeben. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat mit Schreiben vom 4. Januar 2011 erneut die Zustellung des Versäumnisurteils an die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin veranlasst und diese darauf hingewiesen, dass sie im vorliegenden Anwaltsprozess trotz Mandatsniederlegung gemäß § 172 ZPO nach wie vor Zustellungsadressatin sei, weil sich für die Klägerin noch kein neuer Prozessbevollmächtigter gemeldet habe. Mit Schreiben vom 11. Januar 2011 hat die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin frist- und formgerecht Erinnerung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 573 Abs. 1, 3 ZPO) eingelegt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat der Erinnerung nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
- 4
- Die zulässige Erinnerung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht die Zustellung des Versäumnisurteils vom 8. Dezember 2010 an die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin veranlasst.
- 5
- 1. Nach § 172 ZPO sind Zustellungen an den für den Rechtzug bestellten Prozessbevollmächtigten einer Partei zu bewirken. Diese Empfangszuständigkeit endet in Anwaltsprozessen nicht bereits mit der Niederlegung des Mandats, sondern erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts (§ 87 Abs. 1 ZPO). Bis ein neuer Prozessbevollmächtigter für den Rechtszug bestellt ist, haben im Anwaltsprozess Zustellungen zwingend an den bisherigen Prozessbevollmächtigten zu erfolgen (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 5. November 1974 - VI ZR 239/73, NJW 1975, 120 unter II 1, 2; Beschluss vom 10. Juli 1985 - IVb ZB 102/84, VersR 1985, 1185; vgl. ferner Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl., § 87 Rn. 4; MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 172 Rn. 8). Einen neuen Prozessbevollmächtigten für die Revisionsinstanz hat die Klägerin nicht bestellt.
- 6
- Zu Unrecht beruft sich die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Februar 1965 (V ZB 12/64, BGHZ 43, 135 = NJW 1965, 1019). Anders als sie meint, hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung nicht zum Ausdruck gebracht, dass einem ehemaligen Prozessbevollmächtigten im Anwaltsprozess auch bei Zustellungen die Möglichkeit offen stünde, diese anzunehmen oder abzulehnen. Vielmehr hat er in dem genannten Beschluss ausgeführt, dass die Frage, ob ein ehemaliger Prozessbevollmächtigter noch als Vertreter der Partei anzusehen ist, nicht allgemein entschieden werden kann, sondern vom Sinn und Zweck der jeweils in Frage stehenden Einzelbestimmung abhängt. Maßgebend ist dabei insbesondere, ob die Interessen des (ehemaligen) Mandanten oder die des Gegners im Vordergrund stehen. Ausgehend von diesen Überlegungen ist ein Anwalt im Anwaltsprozess auch nach Mandatsniederlegung noch als Prozessbevollmächtigter im Sinne von § 176 ZPO (heute § 172 ZPO) anzusehen (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 1965 - V ZB 12/64, aaO S. 138).
- 7
- 2. Die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin macht weiter geltend , die Zustellung des Versäumnisurteils sei bereits deswegen nicht an sie zu bewirken, weil die Klägerin in einem Schreiben vom 9. September 2010 erklärt habe, der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte habe sie ohne Zustimmung der Klägerin mit deren Vertretung beauftragt. Dieser Einwand ist jedoch bereits deswegen unbeachtlich, weil die dem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten erteilte Prozessvollmacht nach § 81 ZPO auch die Befugnis einschließt, einen Prozessbevollmächtigten für die höhere Instanz zu bestellen. Dass die genannte Vollmacht ausnahmsweise im Außenverhältnis beschränkt worden ist (vgl. hierzu Zöller/Vollkommer, aaO § 81 Rn. 3 mwN), ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Zudem hängt die Anwendbarkeit des § 172 ZPO nicht davon ab, dass eine Prozessvollmacht tatsächlich erteilt worden ist; vielmehr reicht es aus, wenn sich der Parteivertreter zumindest durch schlüssiges Handeln zum Prozessbevollmächtigten bestellt hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Mai 1986 - VIII ZB 17/86, VersR 1986, 993 unter 1; vom 28. November 2006 - VIII ZB 52/06, NJW-RR 2007, 356 Rn. 7; jeweils mwN).
- 8
- Somit hat die Zustellung des Versäumnisurteils vom 8. Dezember 2010 an die ehemalige Prozessbevollmächtigte der Klägerin zu erfolgen. Ihre Erinne- rung gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ist daher zurückzuweisen. Ball Dr. Frellesen Dr. Milger Dr. Fetzer Dr. Bünger
AG Bergheim, Entscheidung vom 22.04.2009 - 24 C 489/08 -
LG Köln, Entscheidung vom 14.01.2010 - 6 S 171/09 -
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(1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, einer Rüge nach § 321a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ersten Rechtszug.
(2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozessbevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug bestellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat.
(1) Gegen die Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen die Entscheidung des Gerichts beantragt werden (Erinnerung). Die Erinnerung ist schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle einzulegen. § 569 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 und die §§ 570 und 572 gelten entsprechend.
(2) Gegen die im ersten Rechtszug ergangene Entscheidung des Gerichts über die Erinnerung findet die sofortige Beschwerde statt.
(3) Die Vorschrift des Absatzes 1 gilt auch für die Oberlandesgerichte und den Bundesgerichtshof.
(1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, einer Rüge nach § 321a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ersten Rechtszug.
(2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozessbevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug bestellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat.
(1) Dem Gegner gegenüber erlangt die Kündigung des Vollmachtvertrags erst durch die Anzeige des Erlöschens der Vollmacht, in Anwaltsprozessen erst durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Anwalts rechtliche Wirksamkeit.
(2) Der Bevollmächtigte wird durch die von seiner Seite erfolgte Kündigung nicht gehindert, für den Vollmachtgeber so lange zu handeln, bis dieser für Wahrnehmung seiner Rechte in anderer Weise gesorgt hat.
(1) Ein Schriftstück kann durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein.
(2) Wird die Post, ein Justizbediensteter oder ein Gerichtsvollzieher mit der Zustellung eines Schriftstücks beauftragt oder wird eine andere Behörde um die Zustellung ersucht, so übergibt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereitetes Formular einer Zustellungsurkunde. Die Zustellung erfolgt nach den §§ 177 bis 181.
(1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, einer Rüge nach § 321a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ersten Rechtszug.
(2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozessbevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug bestellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat.
Die Prozessvollmacht ermächtigt zu allen den Rechtsstreit betreffenden Prozesshandlungen, einschließlich derjenigen, die durch eine Widerklage, eine Wiederaufnahme des Verfahrens, eine Rüge nach § 321a und die Zwangsvollstreckung veranlasst werden; zur Bestellung eines Vertreters sowie eines Bevollmächtigten für die höheren Instanzen; zur Beseitigung des Rechtsstreits durch Vergleich, Verzichtleistung auf den Streitgegenstand oder Anerkennung des von dem Gegner geltend gemachten Anspruchs; zur Empfangnahme der von dem Gegner oder aus der Staatskasse zu erstattenden Kosten.
(1) In einem anhängigen Verfahren hat die Zustellung an den für den Rechtszug bestellten Prozessbevollmächtigten zu erfolgen. Das gilt auch für die Prozesshandlungen, die das Verfahren vor diesem Gericht infolge eines Einspruchs, einer Aufhebung des Urteils dieses Gerichts, einer Wiederaufnahme des Verfahrens, einer Rüge nach § 321a oder eines neuen Vorbringens in dem Verfahren der Zwangsvollstreckung betreffen. Das Verfahren vor dem Vollstreckungsgericht gehört zum ersten Rechtszug.
(2) Ein Schriftsatz, durch den ein Rechtsmittel eingelegt wird, ist dem Prozessbevollmächtigten des Rechtszuges zuzustellen, dessen Entscheidung angefochten wird. Wenn bereits ein Prozessbevollmächtigter für den höheren Rechtszug bestellt ist, ist der Schriftsatz diesem zuzustellen. Der Partei ist selbst zuzustellen, wenn sie einen Prozessbevollmächtigten nicht bestellt hat.