Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2015 - VIII ZR 162/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Dezember 2015 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Milger, den Richter Dr. Schneider, die Richterin Dr. Fetzer sowie die Richter Dr. Bünger und Kosziol beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Die Klägerin, die als regionales Gasversorgungsunternehmen in ihrem Netzgebiet die Grundversorgung von Haushaltskunden mit Erdgas durchführt, beliefert den Beklagten seit 1979 leitungsgebunden mit Erdgas.
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- Die Klägerin erhöhte den Arbeitspreis einseitig jeweils zum 1. Januar der Jahre 2003, 2005, 2006 und 2007. Der Beklagte beanstandete erstmals mit Schreiben vom 8. Juli 2005 die Preiserhöhung zum 1. Januar 2005 und kündigte an, den erhöhten Preis nicht zu zahlen. Der Preiserhöhung zum 1. Januar 2006 sowie künftigen Preiserhöhungen widersprach der Beklagte mit Schreiben vom 28. Juli 2006.
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- Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Zahlung rückständiger Entgeltforderungen in Höhe von zuletzt 398,10 € begehrt. Der Beklagte hat im Wege der Widerklage die Feststellung begehrt, dass die von der Klägerin in der Zeit vom 24. Mai 2002 bis zum 1. Januar 2007 vorgenommenen Preisbestimmungen unbillig und unwirksam sowie die auf den Erdgasverbrauch in dem vorgenannten Zeitraum bezogenen Jahresendabrechnungen der Klägerin vom 24. Juni 2003, vom 2. Juni 2004, vom 2. Juni 2005, vom 30. Juni 2006 und vom 5. Juni 2007 unbillig und nicht fällig seien. Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seine Widerklage und sein Klageabweisungsbegehren weiter.
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- Der Senat hat das vorliegende Verfahren mit Beschluss vom 27. Juni 2012 gemäß § 148 ZPO analog im Hinblick auf das beim Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: Gerichtshof) damals aufgrund des Vorlagebeschlusses des Senats gemäß Art. 267 AEUV im Verfahren VIII ZR 71/10 anhängige Verfahren C-359/11 ausgesetzt. In diesem Verfahren ist am 23. Oktober 2014 die Entscheidung des Gerichtshofs ergangen (C-359/11 und C-400/11, NJW 2015, 849 - Schulz und Egbringhoff).
II.
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- 1. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht mehr.
- 6
- a) Das Berufungsgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO), da klärungsbedürftig sei, ob § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV und § 5 Abs. 2 GasGVV (in der ab dem 8. November 2006 geltenden Fassung vom 26. Oktober 2006, BGBl. I S. 2391; im Folgenden: GasGVV aF) unionsrechtskonform seien und ob im Rahmen der Prüfung der Billigkeit der Preiserhöhungen (§ 315 Abs. 3 BGB) auf die einzelne Preiserhöhung, auf das Gaswirtschaftsjahr oder auf den gesamten Zeitraum der verfahrensgegenständlichen Preiserhöhungen, abzustellen sei.
- 7
- b) Der Senat hat - nach Erlass des Berufungsurteils - die grundsätzlichen Rechtsfragen, die sich im Anschluss an das oben genannte Urteil des Gerichtshofs für das Tarifkundenverhältnis (jetzt: Grundversorgungsverhältnis) in der Gasversorgung stellten, mit den am 28. Oktober 2015 verkündeten Urteilen (VIII ZR 158/11, ZIP 2015, 2226, zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen, und VIII ZR 13/12, juris) entschieden.
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- 2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
- 9
- a) Das Berufungsgericht hat richtig entschieden, dass der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Gaslieferungsvertrag der Parteien der mit der Klage geltend gemachte Betrag von 398,10 € nebst Zinsen als restliche Vergütung für die Erdgaslieferungen im Lieferzeitraum vom 21. Mai 2005 bis zum 31. Mai 2007 zusteht.
- 10
- aa) Das Berufungsgericht hat das Vertragsverhältnis der Parteien als Tarifkundenvertrag eingeordnet; einen Rechtsfehler dieser Auslegung zeigt die Revision nicht auf. Entgegen der Auffassung der Revision steht es dem Versorger auch im Rahmen der Grundversorgung frei, verschiedene, von der Abnahmemenge abhängige Tarife anzubieten, und zwar auch solche, bei denen - wie hier - die Tarifeinstufung automatisch nach dem Prinzip der Bestpreisabrechnung erfolgt (st. Rspr.; Senatsurteile vom 14. Juli 2010 - VIII ZR 246/08, BGHZ 186, 180 Rn. 27; vom 11. Mai 2011 - VIII ZR 42/10, NJW 2011, 2736 Rn. 32 mwN, insoweit in BGHZ 189, 356 nicht abgedruckt; vom 31. Juli 2013 - VIII ZR 162/09, BGHZ 198, 111 Rn. 34; vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 18, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 21).
- 11
- bb) Im Ergebnis zu Recht hat das Berufungsgericht die von der Klägerin für den streitigen Lieferzeitraum begehrten Preise zugrunde gelegt.
- 12
- (1) Allerdings steht der Klägerin - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts - kein einseitiges Preisänderungsrecht aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasVV und § 5 Abs. 2 GasVV aF zu. Wie der Senat im Anschluss an die oben genannte Entscheidung des Gerichtshofs entschieden hat, kann die dahingehende bisherige Auslegung der genannten Vorschriften der nationalen Gasversorgungsverordnungen für die Zeit ab 1. Juli 2004 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Gas-Richtlinie 2003/55/EG - nicht mehr aufrecht erhalten werden , weil eine solche Auslegung nicht mit den Transparenzanforderungen der genannten Richtlinie vereinbar wäre (Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 33 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 35 ff.).
- 13
- (2) Wie der Senat weiter entschieden hat, ist die durch das von den Parteien vorausgesetzte, aber nicht bestehende Preisänderungsrecht in dem zwischen ihnen bestehenden Tarifkundenvertrag (Grundversorgungsvertrag) entstandenen Lücke im Wege der gebotenen ergänzenden Vertragsauslegung dahin zu schließen, dass der Grundversorger ihm entstandene (Bezugs-)Kostensteigerungen , soweit diese nicht durch Kostensenkungen in anderen Bereichen ausgeglichen werden, an den Tarifkunden weitergeben kann und er verpflichtet ist, bei einer Tarifanpassung Kostensenkungen ebenso zu berücksichtigen wie Kostenerhöhungen, und die wirksame Ausübung dieses Preisänderungsrechts an keine weiteren als an die in den Gasversorgungsverordnungen genannten Voraussetzungen geknüpft ist (Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 66 ff., 83, und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 68 ff., 85).
- 14
- (3) Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts beruhen die ab 1. Januar 2005 erfolgten streitgegenständlichen Preiserhöhun- gen der Klägerin allein auf entsprechenden Steigerungen der eigenen Bezugskosten. Entgegen der Auffassung der Revision ist es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht bei seiner ausführlichen Würdigung - wenn auch unter dem im Rahmen der vorbezeichneten ergänzenden Vertragsauslegung nicht maßgeblichen Blickwinkel der Billigkeit nach § 315 BGB - nicht jede einzelne Preiserhöhung isoliert betrachtet, sondern auf das Gaswirtschaftsjahr abgestellt hat (vgl. Senatsurteile vom 28. Oktober 2015 - VIII ZR 158/11, aaO Rn. 99 ff., und VIII ZR 13/12, aaO Rn. 101 ff.).
- 15
- (4) Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht auch davon ausgegangen , dass die vor dem 1. Januar 2005 erfolgten Preiserhöhungen als wirksam anzusehen sind. Für die der Preiserhöhung vom 1. Januar 2005 unmittelbar vorausgehende Preiserhöhung vom 1. Januar 2003 sowie für noch frühere Preiserhöhungen gilt insoweit folgendes: Diese Preiserhöhungen wurden vor dem Ablauf der Umsetzungsfrist für die Gasrichtlinie 2003/55/EG (1. Juli 2004) vorgenommen. Für diesen Zeitraum verbleibt es bei der bisherigen Rechtsprechung des Senats, wonach aus § 4 Abs. 1, 2 AVBGasV ein Preisänderungsrecht des Versorgers gemäß § 315 BGB im Tarifkundenverhältnis folgt (siehe nur Senatsurteile vom 13. Juni 2007 - VIII ZR 36/06, BGHZ 172, 315 Rn. 14 ff.; vom 19. November 2008 - VIII ZR 138/07, BGHZ 178, 362 Rn. 26). Ebenso bleibt es insoweit bei der Rechtsprechung des Senats, dass der erhöhte Preis zum vereinbarten Preis wird, wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung akzeptiert hat, indem er weiter Gas bezogen hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu beanstanden (Senatsurteil vom 9. Februar 2011 - VIII ZR 295/09, WM 2011, 1860 Rn. 41 mwN).
- 16
- Nach diesen Maßstäben sind die Preiserhöhungen in dem genannten früheren Zeitraum zum vereinbarten Preis geworden. Denn der Beklagte hat diesen Preiserhöhungen nicht in angemessener Zeit widersprochen, sondern sich erst mit Schreiben vom 8. Juli 2005 gegen die Preiserhöhung vom 1. Januar 2005 gewendet.
- 17
- b) Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich zugleich, dass die Revision auch bezüglich der Widerklage keine Aussicht auf Erfolg hat, weil die von der Klägerin beanspruchten Preise und die darauf beruhenden Jahresabrechnungen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden sind.
- 18
- 3. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses. Dr. Milger Dr. Schneider Dr. Fetzer Dr. Bünger Kosziol Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss vom 26. April 2016 erledigt worden.
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 04.06.2008 - 34 O (Kart) 170/06 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.04.2011 - VI-2 U (Kart) 13/08 -
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Das Revisionsgericht weist die von dem Berufungsgericht zugelassene Revision durch einstimmigen Beschluss zurück, wenn es davon überzeugt ist, dass die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nicht vorliegen und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. § 522 Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(1) Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(2) Das Gericht kann ferner, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von Feststellungszielen abhängt, die den Gegenstand eines anhängigen Musterfeststellungsverfahrens bilden, auf Antrag des Klägers, der nicht Verbraucher ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des Musterfeststellungsverfahrens auszusetzen sei.
(1) Welche Gasart für das Vertragsverhältnis maßgebend sein soll, ergibt sich aus der Gasart des jeweiligen Gasversorgungsnetzes der allgemeinen Versorgung, an das die Anlage, über die der Kunde Gas entnimmt, angeschlossen ist. Der Brennwert mit der sich aus den Erzeugungs- oder Bezugsverhältnissen ergebenden Schwankungsbreite sowie der für die Belieferung des Kunden maßgebende Ruhedruck des Gases ergeben sich aus den ergänzenden Bestimmungen des Netzbetreibers zu den allgemeinen Netzanschlussbedingungen der Anlage, über die der Kunde Gas entnimmt.
(2) Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden jeweils zum Monatsbeginn und erst nach öffentlicher Bekanntgabe wirksam, die mindestens sechs Wochen vor der beabsichtigten Änderung erfolgen muss. Der Grundversorger ist verpflichtet, zu den beabsichtigten Änderungen zeitgleich mit der öffentlichen Bekanntgabe eine briefliche Mitteilung an den Kunden zu versenden und die Änderungen auf seiner Internetseite zu veröffentlichen; hierbei hat er den Umfang, den Anlass und die Voraussetzungen der Änderung sowie den Hinweis auf die Rechte des Kunden nach Absatz 3 und die Angaben nach § 2 Absatz 3 Satz 1 Nummer 7 in übersichtlicher Form anzugeben.
(3) Im Fall einer Änderung der Allgemeinen Preise oder ergänzenden Bedingungen hat der Kunde das Recht, den Vertrag ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zum Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Änderungen zu kündigen. Änderungen der Allgemeinen Preise und der ergänzenden Bedingungen werden gegenüber demjenigen Kunden nicht wirksam, der bei einer Kündigung des Vertrages mit dem Grundversorger die Einleitung eines Wechsels des Versorgers durch entsprechenden Vertragsschluss innerhalb eines Monats nach Zugang der Kündigung nachweist.
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.
(1) Durch den Kaufvertrag wird der Verkäufer einer Sache verpflichtet, dem Käufer die Sache zu übergeben und das Eigentum an der Sache zu verschaffen. Der Verkäufer hat dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen.
(2) Der Käufer ist verpflichtet, dem Verkäufer den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen und die gekaufte Sache abzunehmen.
(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.
(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.
(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.