Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Juni 2000 - VII ZB 5/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Beklagte ist mit Urteil des Landgerichts vom 23. August 1999 zur Zahlung von Vorschuß wegen Baumängel verurteilt worden. Sie hat gegen das am 15. Oktober 1999 zugestellte Urteil am 18. November 1999 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung der Wiedereinsetzung haben die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten glaubhaft gemacht:Für die Notierung von Berufungsfristen sei seit Jahren nur die gewissenhafte , zuverlässige Sekretärin B. zuständig. Sie habe die Aufgabe, im Fristenkalender die Berufungsfrist mit Vorfristen zu notieren, die Notierung durch einen entsprechenden Vermerk auf dem Urteil zu dokumentieren und die Sache anschließend rechtzeitig vor Fristablauf der Sekretärin des sachbearbeitenden Anwalts zur Bearbeitung vorzulegen. Ferner sei sie angewiesen, vor Verlassen des Büros die Fristen im Fristenkalender zu kontrollieren und erst zu streichen, wenn sie sich davon überzeugt habe, daß sie erledigt seien. Ausweislich des Fristenkalenders sei der Ablauf der Berufungsfrist mit zwei Notfristen vom 8. November und 12. November 1999 korrekt auf den 15. November 1999 notiert worden. Aus der Streichung der Fristen vom 8. und 11. November ergebe sich, daß B. die Sache der Anwaltssekretärin K. vorgelegt habe. Diese habe es unterlassen, die Akten dem Berufungsanwalt vorzulegen, vermutlich deswegen, weil sie wegen Ausscheidens eines Anwalts zusätzliche Arbeiten zu erledigen hatte. Dies allein habe noch nicht zur Versäumung der Berufungsfrist führen können. Hinzu komme, daß B. es weisungswidrig versäumt habe, am 15. November 1999 vor Verlassen des Büros die Frist zu kontrollieren. Im Fristenkalender sei die Berufungsfrist nicht gestrichen worden. Die Fristenkontrolle gehöre seit 1992 zu den wichtigsten Aufgaben von B.. Es sei bisher niemals zu Versäumnissen gekommen. Das einmalige Fehlverhalten von B. sei nur damit zu erklären, daß sie damals Eheprobleme gehabt habe, die ihren Vorgesetzten nicht bekannt gewesen seien. Sie habe wohl deswegen am 15. November 1999 nach Feierabend das Büro verlassen, ohne sich zuvor zu vergewissern, daß die Berufung in der vorgemerkten Frist gefertigt worden sei. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung und die Berufung "zurückgewiesen". Dagegen richtet sich die fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Beklagten.
II.
Die sofortige Beschwerde hat Erfolg. Die Beklagte war ohne Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten verhindert, die Frist zur Einlegung der Berufung einzuhalten. 1. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, es liege ein Organisationsverschulden darin, daß die Anwaltssekretärin keinen eigenen Fristenkalender führe. Es sei daher aus organisatorischen Gründen nicht ausgeschlossen, daß die Akten dem Anwalt nicht fristgerecht vorgelegt würden. Da die Durchsicht des Fristenkalenders erst abends erfolge, sei es nicht ausgeschlossen, daß die Sekretärin B. weder die Sekretärin des sachbearbeitenden Anwalts noch diesen selbst mehr erreiche. Den individuellen Fehlern der Angestellten hätten die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten entgegenwirken müssen. Die eigene Sorgfaltspflicht eines Rechtsanwalts sei erhöht, wenn Störungen in der Organisation des Büros auftreten. Bei den mitgeteilten personellen Problemen sei es notwendig gewesen , daß der Anwalt delegierte Aufgaben, wie zum Beispiel die Fristenkontrolle, wieder an sich ziehe. Unabhängig davon habe die Beklagte nicht dargetan, wann sie die Anwälte beauftragt habe, Berufung einzulegen. Wäre eine entsprechende Bitte an ihre Anwälte erfolgt, wären die Handakten außerhalb der notierten Fristen dem Anwalt vorgelegt worden, der rechtzeitig vor Fristablauf die Berufung hätte einlegen können. 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Fristversäumung beruht auf einem Fehlverhalten der Angestellten der Prozeßbevollmächtigtender Beklagten und nicht auf einem zurechenbaren Verschulden ihrer Prozeßbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO).
a) Der Beklagten kann nicht angelastet werden, daß im Büro ihrer Prozeßbevollmächtigten nicht zwei Fristenkalender geführt wurden. Es ist ausreichend , zur Beachtung der Fristen einen Fristenkalender zu führen. Der Fristenkalender wurde hier auch ordnungsgemäß geführt. Die Wahrung der Fristen ist dadurch doppelt abgesichert, daß Vorfristen und Ablauffristen eingetragen werden und die allein zuständige Sekretärin B. angewiesen ist, diese Fristen nur zu streichen, wenn sie sich persönlich überzeugt hat, daß der fristgebundene Vorgang erledigt ist.
b) Das Berufungsgericht mißt dem Vortrag der Beklagten falsche Bedeutung zu, die Sekretärin B. sei angewiesen, sich vor Verlassen des Büros zu vergewissern, daß alle im Fristenkalender vermerkten Fristen erledigt seien; denn damit wird nicht, worauf die Beklagte zulässig in der Begründung der sofortigen Beschwerde hinweist, zum Ausdruck gebracht, daß die Fristenkontrolle nur zum Ende der täglichen Dienstzeit erstmalig vorgenommen wird. Der Vortrag ist vielmehr dahin zu verstehen, daß für die Sekretärin die Weisung bestand , den Fristenkalender vor ihrem Dienstschluß (um 17 Uhr) noch einmal durchzugehen, um zu kontrollieren, ob keine Frist übersehen wurde. Unzutreffend ist auch, daß zu diesem Zeitpunkt kein zur Abfassung einer Berufung bereiter Rechtsanwalt mehr erreichbar wäre. Denn nach dem Beschwerdevorbringen verlassen die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten das Büro üblicherweise nicht vor 19 Uhr. Ein Berufungsanwalt kann jederzeit verständigt werden.
c) Nicht gefolgt werden kann der auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (Beschluß vom 26. August 1999 - VII ZR 12/99, NJW 1999, 3783 =
EBE 1999, 338 = MDR 1999, 1411) gestützten Ansicht, die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten habe wegen des Ausscheidens eines Rechtsanwalts und privater persönlicher Probleme der Sekretärin eine erhöhte Sorgfaltspflicht getroffen. Von den privaten Problemen der Sekretärin B. haben diese erst erfahren , als B. nach Versäumung der Berufungsfrist zur Rede gestellt wurde. Die Beklagte hat das Fehlverhalten der Angestellten auch nicht damit begründet, daß das Personal drastisch reduziert oder chronisch überlastet war. Sie hat nur die Vermutung geäußert, daß die Anwaltssekretärin K. wegen des Ausscheidens eines Kollegen mehr als üblich belastet war. Insofern handelte es sich nach der Begründung der sofortigen Beschwerde um eine Mehrbelastung, die nicht über die in einer Anwaltskanzlei urlaubs- und saisonbedingt üblicherweise auftretenden Schwankungen des Arbeitsausfalls hinausgeht. Besondere organisatorische Maßnahmen waren daher nicht erforderlich. Das Versehen der Anwaltssekretärin hätte zudem nicht zur Fristversäumung geführt, wenn die Sekretärin B. die Fristenkontrolle bei Ablauf der Berufungsfrist am 15. November 1999 ordnungsgemäß vorgenommen hätte.
d) Ohne Bedeutung ist, daß die Beklagte nicht dargelegt hat, zu welchem Zeitpunkt sie ihren Anwälten den Auftrag erteilt hat, die Berufung gegen das landgerichtliche Urteil einzulegen. Dies steht in keinem kausalen Zusammenhang zur Fristversäumung, weil die Prozeßbevollmächtigten der Beklagten unabhängig vom Zeitpunkt der Beauftragung die Frist bis zum letzten Tag ausnutzen konnten. Thode Hausmann Kuffer Kniffka Wendt
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.