Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Nov. 2002 - VI ZB 54/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers in Anspruch. Das ihre Klage abweisende Urteil des Landgerichts ist ihrer Prozeßbevollmächtigten am 5. September 2001 zugestellt worden. Am 1. November 2001 hat die Klägerin Berufung eingelegt und beantragt, ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie eidesstattlich versichert, sie sei seit 01. April 2001 als Assistenzärztin in Magdeburg tätig. Der Umzug dorthin sei am 14. April 2001 erfolgt. Zuvor sei ihr erster Wohnsitz in
A. /B. gewesen, der zweite Wohnsitz in E. . Sie habe Anfang April 2001 bei der Post einen Nachsendeantrag von ihrer Anschrift in A. /B. an ihre neue Anschrift in M. gestellt. Daß dieser Antrag nach sechs Monaten automatisch ablaufen würde, sei ihr nicht bekannt gewesen. Darüber hinaus habe sie in der mündlichen Verhandlung vom 2. Juli 2001, wo sie aufgrund einer Verhinderung ihrer Prozeßbevollmächtigten anwaltlich nicht vertreten gewesen sei, dem Gericht - ohne daß dies im Terminsprotokoll oder in den Akten vermerkt ist - ihre neue Anschrift in M. mitgeteilt. Das klageabweisende landgerichtliche Urteil habe ihre Prozeßbevollmächtigte der Korrespondenzanwältin übersandt, der es am 21. September 2001 zugegangen sei. Dieser sei lediglich die Anschrift in A. /B. bekannt gewesen , wobei an diese Anschrift gerichtete Korrespondenz nicht zurückgekommen sei. Anrufe der Rechtsanwältin in A. /B. seien erfolglos geblieben. Sie, die Klägerin, sei auch nicht über ihr Mobiltelefon erreichbar gewesen. Dieses sei zwar Anfang Oktober 2001 noch einschaltbar gewesen, bei Anruf der Mailbox habe sich jedoch das Mobiltelefon abgeschaltet, so daß sie die hierauf gesprochene Nachricht ihrer Korrespondenzanwältin über den drohenden Ablauf der Berufungsfrist gegen das ergangene Urteil nicht habe abhören können. Auf ihre fernmündliche Anfrage beim Landgericht habe sie am 19. Oktober 2001 erstmals von der Existenz eines Urteils und der bereits abgelaufenen Berufungsfrist erfahren. Nach einem entsprechenden Schreiben des Landgerichts vom 22. Oktober 2001, zugegangen am 25. Oktober 2001, mit einem Hinweis auf die Möglichkeit eines Wiedereinsetzungsantrages habe sie sich am selben Tage an ihre Prozeßbevollmächtigte gewandt mit der Bitte, ihr bei der Suche eines beim Berufungsgericht zugelassenen Anwalts behilflich zu sein. Diese habe das Schreiben an die Korrespondenzanwältin weitergeleitet, die in diesem Zusammenhang am 30. Oktober 2001 erstmals von der neuen Anschrift der Klägerin erfahren habe.
Das Berufungsgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe gegen die ihr als Prozeßpartei obliegende Sorgfalt verstoßen, indem sie nicht sichergestellt habe, für ihre Prozeßbevollmächtigten erreichbar zu sein. Dies gelte insbesondere auch im Hinblick darauf, daß sie nach Durchführung der Beweisaufnahme, an der sie persönlich teilgenommen habe, in absehbarer Zeit mit dem Erlaß eines Urteils habe rechnen müssen. Tatsächlich sei sie aber für ihre Korrespondenzanwältin weder auf dem Postwege noch telefonisch erreichbar gewesen. Es habe nicht ausgereicht, daß die Klägerin ihre Mobilfunknummer mitgeteilt habe. Neben der Mitteilung einer Telefonnummer sei in jedem Fall auch die Mitteilung einer Anschrift erforderlich, unter der der Betreffende postalisch zu erreichen sei. Auch sei die Telekommunikation über Mobilfunk generell unsicherer als diejenige über das Festnetz, da das Mobilfunknetz teilweise nicht flächendeckend und die Geräte anfälliger seien. So sei im vorliegenden Fall das Mobiltelefon defekt gewesen , so daß ein Abhören der Mailbox unmöglich gewesen sei. Die Klägerin könne sich auch nicht darauf berufen, dem Gericht am 2. Juli 2001 in Abwesenheit ihrer Prozeßbevollmächtigten mündlich ihre neue Anschrift mitgeteilt zu haben. Die Mitteilung der Anschrift an das Gericht ersetze nicht deren Mitteilung an die Prozeßbevollmächtigten, zumal Ansprechpartner des Gerichts im Anwaltsprozeß nicht die Partei selbst, sondern deren Prozeßbevollmächtigte seien und deshalb die Anschrift der Partei eine untergeordnete Rolle spiele. Ob weitere Sorgfaltspflichtverletzungen auf Seiten der Anwälte der Klägerin vorlägen, könne in Anbetracht der eigenen Sorgfaltspflichtverletzungen der Klägerin dahinstehen , zumal sie sich diejenigen ihrer Anwälte nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen müsse.
II.
Die gemäß §§ 519b, 546, 577 ZPO a.F. zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Im Ergebnis mit Recht hat das Oberlandesgericht der Klägerin die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Aus dem Sachvortrag der Klägerin ergibt sich nämlich nicht, daß sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO). 1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Prozeßpartei bei einer Änderung ihres Aufenthaltsortes, insbesondere bei einem Umzug, Sorge tragen muß, daß sie für ihren Prozeßbevollmächtigten - insbesondere wenn mit dem Erlaß einer rechtsmittelfähigen Entscheidung zu rechnen ist - erreichbar bleibt (vgl. etwa BGH, Beschluß vom 24. Juli 2000 - II ZB 22/99 - NJW 2000, 3143; vom 19. Dezember 1994 - II ZR 174/94 - VersR 1995, 810, 811; vom 8. Juni 1988 - IVb ZB 68/88 - VersR 1988, 1055 f. m.w.N.). Auf dieser Grundlage entlastet es die Klägerin im Hinblick auf das Gebot prozessualer Sorgfalt nicht, daß sie sich auf einen Nachsendeauftrag verlassen hat, ohne sich - insbesondere im Hinblick auf die seit ihrem Umzug verstrichene Zeit - über dessen Laufzeit zu informieren. Entsprechendes gilt für ihr Vorbringen, dem Gericht im Termin vom 2. Juli 2001 mündlich ihre neue Anschrift mitgeteilt zu haben. Das Berufungsgericht hat insoweit mit Recht darauf hingewiesen, daß die Mitteilung der neuen Anschrift gegenüber dem Gericht nicht deren Mitteilung an die Prozeßbevollmächtigten ersetzt. Im Anwaltsprozeß ist Zustellungsadressat für das Gericht grundsätzlich nicht die Partei selbst, sondern ihr Prozeßbevollmächtigter (vgl. § 176 ZPO a.F.).2. Dem Berufungsgericht kann allerdings im Hinblick auf die prozessua- len Anforderungen an die Erreichbarkeit einer Partei für ihren Prozeßbevollmächtigten nicht darin beigetreten werden, diesem gegenüber sei neben der Mitteilung einer Telefonnummer in jedem Fall auch die Mitteilung einer Anschrift erforderlich, unter welcher die Partei postalisch zu erreichen sei. Eine solche Anforderung läßt sich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entnehmen. Insbesondere nach dem Beschluß vom 24. Juli 2000 - II ZB 22/99 - (aaO) reicht die Möglichkeit einer telefonischen Kontaktaufnahme aus, die allerdings - wie noch auszuführen sein wird - zuverlässig gesichert sein muß. Deshalb kann das Erfordernis einer ständigen postalischen Erreichbarkeit der Partei für ihren Prozeßbevollmächtigten allenfalls dann in Betracht kommen, wenn eine andere Kommunikationsmöglichkeit nicht besteht. Dies war hier jedoch grundsätzlich der Fall, da die Klägerin ihre Mobilfunknummer mitgeteilt hatte. Für die Auffassung des Berufungsgerichts, die Telekommunikation über Mobilfunk sei generell unsicherer als diejenige über das Festnetz, fehlt es an tatsächlichen Feststellungen. Selbst wenn das Mobilfunknetz teilweise nicht flächendeckend sein sollte, dürfte - wie auch sonst - die dadurch verursachte vorübergehende Nichterreichbarkeit des Teilnehmers regelmäßig nur dazu führen , daß ein Anruf auf die sogenannte Mailbox umgeleitet wird und dort später abgehört werden kann. 3. Es muß jedoch im Ergebnis zu Lasten der Klägerin gehen, daß sie im vorliegenden Fall für ihre Prozeßbevollmächtigten tatsächlich telefonisch nicht erreichbar war. Zwar würde allein der technische Defekt des Mobiltelefons der Klägerin nicht zum Verschulden im Sinne des §§ 233 ZPO gereichen, zumal nicht davon ausgegangen werden kann, daß Mobiltelefone generell störungsanfälliger sind als Festnetztelefone mit Anrufbeantworter. Indessen ist dem Vorbringen der
Klägerin zu entnehmen, daß sie seinerzeit den Defekt ihres Mobiltelefons erkannt hat. Das stellt auch die Beschwerdebegründung nicht in Abrede. Bei dieser Sachlage hätte der von ihr festgestellte Defekt ihres Mobiltelefons die Klägerin im Hinblick auf die zu erwartende Entscheidung des Landgerichts jedenfalls dazu veranlassen müssen, von sich aus Kontakt mit ihren Prozeßbevollmächtigten aufzunehmen, um sich gegebenenfalls über den Inhalt der Entscheidung und eine etwa bereits laufende Rechtsmittelfrist zu informieren (vgl. BGH, Beschluß vom 19. Dezember 1994 - II ZR 174/94 - VersR 1995, 810, 811). Da sie insoweit untätig geblieben ist, hat sie nicht die prozessuale Sorgfalt aufgewendet, die in der konkreten Situation von ihr erwartet werden konnte. Das Berufungsgericht hat ihr mithin im Ergebnis mit Recht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist verweigert und ihre Berufung als unzulässig verworfen.
Müller Wellner Diederichsen Stöhr Zoll
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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
Das Recht ist verletzt, wenn eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.
(1) Ein Schriftstück kann durch Einschreiben mit Rückschein zugestellt werden. Zum Nachweis der Zustellung genügt der Rückschein.
(2) Wird die Post, ein Justizbediensteter oder ein Gerichtsvollzieher mit der Zustellung eines Schriftstücks beauftragt oder wird eine andere Behörde um die Zustellung ersucht, so übergibt die Geschäftsstelle das zuzustellende Schriftstück in einem verschlossenen Umschlag und ein vorbereitetes Formular einer Zustellungsurkunde. Die Zustellung erfolgt nach den §§ 177 bis 181.
War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.