Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Juli 2019 - V ZR 77/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 18. Juli 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Gründe:
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- Die Anhörungsrüge ist unbegründet. Der Senat hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt (vgl. § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO).
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- 1. Soweit die Anhörungsrüge beanstandet, dass der Senat die ergänzende Vertragsauslegung nicht hätte selbst vornehmen dürfen, weil im Hinblick auf die Bemessung des Ablösebetrages noch Feststellungen des Berufungsgerichts zu erwarten gewesen und die beiden Problemkreise „miteinander verzahnt“ seien, verkennt sie, dass die Parteien in dem notariellen Kaufvertrag vom 17. September 1996 nur ein Wiederkaufsrecht geregelt haben; ein Ablösungsrecht des Klägers ist in dem Vertrag dagegen nicht vorgesehen. Die Möglichkeit , die Ausübung des Wiederkaufsrechts durch Zahlung eines Ablösebetrages abzuwenden, beruhte auf einem Angebot der beklagten Stadt, nachdem der Kläger diese im Jahr 2013 über seine Verkaufsabsichten informiert hatte. Da die Parteien in dem notariellen Vertrag aus dem Jahr 1996 weder ein Ablösungsrecht des Klägers noch einen Ablösebetrag vereinbart hatten, ist die - von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vertretene - Auffassung unzutreffend, dass die Höhe des 17 Jahre nach Vertragsschluss von der beklagten Stadt angebotenen Ablösebetrages für die ergänzende Vertragsauslegung von Bedeutung sei. Die aufgrund der Unwirksamkeit der 30-jährigen Ausübungsfrist für das Wiederkaufsrecht entstandene Vertragslücke ist nach dem objektivierten hypothetischen Parteiwillen zu schließen (vgl. Senat, Urteil vom 16. April 2010 - V ZR 175/09, NJW 2010, 3505 Rn. 27). Der von der beklagten Stadt nachträglich angebotene Ablösebetrag lässt aber keine Rückschlüsse darauf zu, welche Laufzeit die Parteien im Falle des Erkennens der Vertragslücke bei einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als redliche Vertragspartner für die Ausübung des Wiederkaufsrechts vereinbart hätten.
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- Unzutreffend ist auch die Auffassung der Anhörungsrüge, die Sache hätte deswegen an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden müssen, weil bei der ergänzenden Vertragsauslegung noch in den Vorinstanzen gehaltener Vortrag des Klägers hätte berücksichtigt werden müssen. Danach habe der Kläger vorinstanzlich darauf hingewiesen, dass die Beklagte im Oktober 2016 Baugrundstücke bei einem Kaufpreisnachlass von 20 % mit einer Bindungsfrist von 15 Jahren angeboten habe; außerdem habe der damalige Leiter des Liegenschaftsamtes dem Gartenverein im Mai 1995 ausdrücklich zugesagt, die beklagte Stadt werde nach 10 bis 15 Jahren gegenüber den Käufern bei einem Weiterverkauf an Dritte keine Forderungen mehr stellen. Für den Senat bestand keine Grundlage für eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dass der Kläger vorinstanzlich den erwähnten Vortrag gehalten hat, lässt sich weder dem Berufungsurteil noch dem von dem Berufungsgericht in Bezug genommenen landgerichtlichen Urteil noch der Revisionserwiderung entnehmen (vgl. § 559 Abs. 1 ZPO). Auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Prozessbevollmächtigte nicht dargelegt, dass entsprechender Vortrag gehalten wurde. Da somit keine Anhaltspunkte bestanden, dass noch weitere für die ergänzende Vertragsauslegung bedeutsame Feststellungen zu erwarten waren, kam eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht nicht in Betracht.
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- 2. Die von dem Senat vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung, dass die Vereinbarung über das Wiederkaufsrecht nicht unwirksam ist, sondern die Ausübungsfrist auf 20 Jahre herabgesetzt wird, stellt auch nicht einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt dar, auf den der Kläger hätte hingewiesen und zu dem ihm Gelegenheit zu neuem Sachvortrag vor dem Berufungsgericht hätte gegeben werden müssen. Die Frage der Herabsetzung der Ausübungsfrist auf 20 Jahre war ein zentraler rechtlicher Aspekt in den Vorinstanzen und hat nicht erst im Revisionsverfahren Bedeutung erlangt. Wie sich aus dem Tatbestand des Berufungsurteils und des von ihm in Bezug genommenen landgerichtlichen Urteils ergibt, vertrat die beklagte Stadt die Auffassung, dass die vereinbarte 30-jährige Ausübungsfrist auf 20 Jahre zu reduzieren sei. Dementsprechend haben sich das Landgericht und das Berufungsgericht in ihren Entscheidungen mit der Frage einer Herabsetzung der Ausübungsfrist auseinandergesetzt. Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter musste daher damit rechnen, dass eine Herabsetzung der Ausübungsfrist auf 20 Jahre in Betracht kam, und durfte sich nicht darauf verlassen, dass sich der Senat der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts anschließen würde.
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- 3. Eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht kam auch nicht zum Zwecke einer Überprüfung der Höhe des von der beklagten Stadt verlangten Ablösebetrags in Betracht. Zwar unterliegt die beklagte Stadt bei der Geltendmachung ihrer vertraglichen Rechte im Hinblick auf den verfolgten öffentlichen Zweck einer besonderen Ausübungskontrolle und muss nicht nur die Grundrechte beachten, sondern auch das Übermaßverbot einhalten (Senat, Urteil vom 13. Oktober 2006 - V ZR 33/06, NJW-RR 2007, 962 Rn. 16 und 19). Dass der Kläger unabhängig von der Laufzeit des Wiederkaufsrechts auch die Bemessung des Ablösebetrages beanstandet hatte, lässt sich weder dem Berufungsurteil noch dem erstinstanzlichen Urteil noch dem Vorbringen der Revisionserwiderung entnehmen. Hierauf hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers auch nicht in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen. Wie die Anhörungsrüge zwar zutreffend darlegt, hatte dieser in der mündlichen Verhandlung den Standpunkt vertreten, dass die Preisgestaltung im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung berücksichtigt werden müsse, weil der Wert des Wiederkaufsrechts in direktem Zusammenhang zur Dauer der Bindungsfrist stehe und daher ein Ausübungsrecht für die Dauer von 15 Jahren eine angemessene Lösung sei. Dieses Vorbringen legte aber nicht nahe, dass zwischen den Parteien auch die Angemessenheit des von dem Kläger gezahlten Ablösebetrages als solche in Streit ist.
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 23.11.2016 - 23 O 130/16 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.03.2018 - I-18 U 157/16 -
Annotations
(1) Auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Dem Gegner ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist erhoben ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies auf Grund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. § 343 gilt entsprechend. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.
(1) Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegt nur dasjenige Parteivorbringen, das aus dem Berufungsurteil oder dem Sitzungsprotokoll ersichtlich ist. Außerdem können nur die in § 551 Abs. 3 Nr. 2 Buchstabe b erwähnten Tatsachen berücksichtigt werden.
(2) Hat das Berufungsgericht festgestellt, dass eine tatsächliche Behauptung wahr oder nicht wahr sei, so ist diese Feststellung für das Revisionsgericht bindend, es sei denn, dass in Bezug auf die Feststellung ein zulässiger und begründeter Revisionsangriff erhoben ist.