Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Okt. 2010 - V ZR 30/10

published on 21/10/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Okt. 2010 - V ZR 30/10
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Landgericht Dortmund, 6 O 240/08, 22/07/2009
Oberlandesgericht Hamm, 22 U 105/09, 01/02/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZR 30/10
vom
21. Oktober 2010
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. Oktober 2010 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke, Dr. SchmidtRäntsch
und Dr. Roth und die Richterin Dr. Brückner

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger wird das Urteil des 22. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 1. Februar 2010 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde , an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 55.239,80 €.

Gründe:

I.

1
Die Kläger verlangen von den Beklagten Schadensersatz nach einem Hauskauf und stützen dies auf arglistig verschwiegene Feuchtigkeitsmängel.
2
Die Beklagten waren Eigentümer eines mit einem Haus bebauten Grundstücks. Von 2002 bis 2005 bewohnten sie die Erdgeschosswohnung des Hauses selbst und vermieteten sie anschließend vom 1. Oktober 2005 bis zum 30. Juli 2006. Im März 2006 rügten die Mieter über den Mieterschutzverein, dass sich im Wohnzimmer und im Arbeitszimmer Feuchtigkeit und Schimmel gebildet hätten. Es folgte eine wechselseitige Korrespondenz mit dem Mieterschutzverein. Der Beklagte zu 2 führte Maßnahmen zur Schadensbehebung durch.
3
Mit Vertrag vom 21. Dezember 2006 erwarben die Kläger das Hausgrundstück zum Preis von 187.000 € von den Beklagten unter Ausschluss der Haftung für offene und verborgene Sachmängel.
4
Das Landgericht hat die zunächst auf Ersatz geschätzter Sanierungskosten von 12.185 € netto gerichtete Klage nach Vernehmung des beurkundenden Notars abgewiesen. In der Berufungsinstanz haben die Kläger die Klage erweitert und verlangen nunmehr Ersatz der Kosten für Wärmedämmung von 33.000 € netto und für Schimmelsanierung von 13.420 € netto.
5
Das Oberlandesgericht hat die Berufung nach Anhörung der Parteien zurückgewiesen. Die Revision hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II.


6
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es sei zwar von einem Sachmangel in Gestalt von Feuchtigkeitsschäden im Wohnzimmer und konstruktiv bedingten Wärmedämmungsmängeln auszugehen. Es fehle jedoch an dem Nachweis der Kenntnis der Beklagten von diesem Mangel. Im Hinblick auf die Zeit, in der die Beklagten das Objekt selbst bewohnt hätten, sei ihnen nicht zu widerlegen, dass sich keine Feuchtigkeit gezeigt habe. Für ihre gegenteilige Behauptung hätten die Kläger keinen Beweis angetreten, so dass es auf die Vernehmung der von den Beklagten benannten Gegenzeugen nicht ankomme. Dass die Beklagten von einem falschen Lüftungsverhalten ausgegangen seien und die Ursache durch den Auszug der Mieter und die von dem Beklagten zu 2 durchgeführten Maßnahmen für beseitigt gehalten hätten, sei ihnen auch angesichts der Korrespondenz mit dem Mieterschutzverein nicht zu widerlegen.

III.


7
Das angefochtene Urteil ist nach § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Kläger auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es einen Beweisantritt der Kläger übersehen hat.
8
Die Kläger haben in der Berufungsschrift behauptet, es sei ausgeschlossen , dass während der Zeit, in der die Beklagten selbst das Objekt bewohnt hätten, keine Feuchtigkeitsschäden aufgetreten seien. Zum Beweis dieser Tatsache haben sie sich auf das sachverständige Zeugnis des in dem selbstständigen Beweisverfahren tätigen Gutachters und eines Privatgutachters bezogen sowie die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens beantragt. Hierzu hat das Berufungsgericht ausgeführt, den Beklagten sei nicht zu widerlegen , dass weder Feuchtigkeit noch Schimmelbildung in ihrer Besitzzeit aufgetreten seien. Es fehle insoweit an einem Beweisantritt der Kläger, so dass es auf die Vernehmung der von den Beklagten benannten Gegenzeugen nicht ankomme.
9
Das Übergehen des Beweisantritts ist rechtsfehlerhaft, weil es die Kläger in ihrem Verfahrensgrundrecht aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in der unterlassenen Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG, BVerfGE 69, 141; NJW 2009, 1585 = WM 2009, 672). Davon ist hier auszugehen.
10
Das Beweisangebot war erheblich. Sofern bereits zu der Zeit, in der die Beklagten selbst das Objekt bewohnten, Feuchtigkeitsschäden aufgetreten wären , hätten die Beklagten von einem Baumangel ausgehen müssen und hätten die von den Mietern bemängelte Feuchtigkeit nicht auf falsches Wohnverhalten zurückführen können.
11
Der Beweisantritt genügte auch den Anforderungen an die Substantiierung. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihren Substantiierungspflichten, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht zu begründen (Senat, Beschluss vom 2. April 2009 – V ZR 177/08, NJW-RR 2009, 1236; Beschluss vom 12. Juni 2008 – V ZR 221/07, WM 2008, 2068 mwN). Dabei ist unerheblich, wie wahrscheinlich die Darstellung ist und ob sie auf eigenem Wissen oder auf einer Schlussfolgerung aus Indizien beruht. Die Kläger waren mangels eigener Wahrnehmung auf Schlussfolgerungen angewiesen. Diese waren im Übrigen nicht von der Hand zu weisen, nachdem schon kurz nach der Übergabe der Immobilie an die Kläger Schäden auftraten, die nach den Feststellungen des Berufungsgerichts mit den zuvor von den Mietern gerügten Schäden vergleichbar waren.
12
Das Übergehen des Beweisantrags stand auch nicht deshalb mit der Prozessordnung in Einklang, weil die Kläger die unter Beweis gestellte Behauptung erstmals in der Berufungsinstanz aufgestellt haben. Denn das Berufungsgericht ist in seinem Urteil auf den neuen Sachvortrag inhaltlich eingegangen und hat ihn nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Ob die Voraussetzungen des § 531 ZPO überhaupt vorlagen – was unter anderem eine vorherige Anhörung der Parteien erfordert hätte –, bedarf keiner Entscheidung, weil das Revisionsgericht an die Zulassung des Vorbringens gebunden ist (Senat, Beschluss vom 22. Januar 2004 – V ZR 187/03, NJW 2004, 1458).

13
Die weiteren mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Zulassungsgründe greifen nicht durch. Von einer näheren Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Roth Brückner

Vorinstanzen:
LG Dortmund, Entscheidung vom 22.07.2009 - 6 O 240/08 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 01.02.2010 - I-22 U 105/09 -
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen. (2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie1.einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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Annotations

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Angriffs- und Verteidigungsmittel, die im ersten Rechtszuge zu Recht zurückgewiesen worden sind, bleiben ausgeschlossen.

(2) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel sind nur zuzulassen, wenn sie

1.
einen Gesichtspunkt betreffen, der vom Gericht des ersten Rechtszuges erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten worden ist,
2.
infolge eines Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurden oder
3.
im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht worden sind, ohne dass dies auf einer Nachlässigkeit der Partei beruht.
Das Berufungsgericht kann die Glaubhaftmachung der Tatsachen verlangen, aus denen sich die Zulässigkeit der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel ergibt.