Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2013 - V ZB 96/13

published on 21/11/2013 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2013 - V ZB 96/13
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Previous court decisions
Amtsgericht Saarbrücken, 7 XIV 24/13, 08/05/2013
Landgericht Saarbrücken, 5 T 199/13, 11/06/2013

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 96/13
vom
21. November 2013
in der Zurückschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zweifel an dem Vorliegen einer Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung
bestehen nicht, wenn die Haftanordnung als einstweilige Anordnung überschrieben
und/oder ihr Ausspruch als Anordnung im Wege der einstweiligen Anordnung bezeichnet
wird. Ob die Entscheidung in dieser Verfahrensart hätte ergehen dürfen, ist
für die Staathaftigkeit der Rechtsbeschwerde unerheblich.
BGH, Beschluss vom 21. November 2013 - V ZB 96/13 - LG Saarbrücken
AG Saarbrücken
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. November 2013 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth und die Richterin Dr. Brückner

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Wassermann bewilligt. Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken vom 11. Juni 2013 wird auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahren beträgt 1.500 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene, ein tunesischer Staatsangehöriger, reiste am 8. Mai 2013 ohne gültige Reisedokumente aus Luxemburg nach Deutschland ein und wurde von Beamten der beteiligten Behörde festgenommen. Eine Abfrage der Behörde in der EURODAC-Datei ergab, dass er Asylanträge in Rumänien und in der Schweiz gestellt hatte, die abgelehnt worden waren. Die beteiligte Behörde verfügte die Zurückschiebung in die Schweiz. Der Betroffene stellte bei dem zuständigen deutschen Bundesamt einen Asylantrag. Dieses erwirkte bei den Schweizer Behörden eine Rücknahmezusage, die am 12. Juni 2013 vollzogen werden sollte.
2
Das Amtsgericht hat am 8. Mai 2013 mit einem als einstweilige Anordnung bezeichneten Beschluss die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung gegen den Betroffenen bis zum 18. Juni 2013 angeordnet. Unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen hat das Landgericht auf die Beschwerde des Betroffenen die Haft aufgehoben, soweit sie für eine Dauer von mehr als drei Wochen angeordnet war, und die sofortige Freilassung des Betroffenen angeordnet. Mit der Rechtsbeschwerde strebt der Betroffene die Feststellung an, dass die Haftanordnung des Amtsgerichts auch in dem aufrechterhaltenen Umfang rechtswidrig war.

II.

3
Das Beschwerdegericht hält die Haftanordnung für grundsätzlich rechtmäßig. Ihr habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Haftanordnung hätten auch vorgelegen. Allerdings habe im Wege der einstweilige Anordnung Sicherungshaft nicht über drei Wochen hinaus angeordnet werden dürfen.

III.

4
Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen ist unzulässig, weil sie nach § 70 Abs. 4 FamFG nicht statthaft ist. Nach dieser Vorschrift findet die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht statt. Dazu gehören auch Entscheidungen im Verfahren über einstweilige Anordnungen in Freiheitsentziehungssachen (Senat, Beschlüsse vom 11. November 2010 - V ZB 123/10 juris Rn. 3 und vom 3. Februar 2011 - V ZB 128/10, FGPrax 2011, 148 Rn. 4 f.). Anders als der Betroffene meint, liegt hier eine solche Entscheidung vor.
5
1. Richtig ist zwar, dass im Einzelfall zweifelhaft sein kann, ob die Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung oder im regulären Verfahren ergangen ist, etwa dann, wenn der einzige Hinweis auf eine Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung die Nennung (auch) des § 427 FamFG ist. Solche Zweifel sind dann aufzuklären. Anhaltspunkte für die Qualifikation als Haftanordnung im regulären Verfahren sind das Fehlen von Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung, eine abschließende, nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der für einstweilige Haftanordnungen geltenden Hafthöchstdauer von sechs Wochen (§ 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG) und die beigefügte Rechtsmittelbelehrung (Senat, Beschlüsse vom 12. Mai 2011 - V ZB 296/10, juris Rn. 8 f. und vom 26. Januar 2012 - V ZB 96/11, juris Rn. 5).
6
2. Derartige Zweifel an dem Vorliegen einer Entscheidung im Wege der einstweiligen Anordnung bestehen aber nicht, wenn die Entscheidung als solche bezeichnet ist und/oder ihren Ausspruch mit dem Hinweis auf ein Vorgehen im Wege der einstweiligen Anordnung einleitet. Hieraus folgt eindeutig, dass der Richter nicht im regulären Verfahren, sondern im Wege der einstweiligen Anordnung vorgehen will. Dafür ist es dann ohne Bedeutung, ob sich der Richter mit den Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung näher befasst oder ob er eine Entscheidung getroffen hat, die in dem gewählten Verfahren nicht oder nicht mit dem getroffenen Ausspruch hätte ergehen dürfen.
7
3. So liegt es hier. Die Richterin hat ihre Entscheidung als „einstweilige Anordnung“ überschrieben. Sie hat den Ausspruch ihrer Entscheidung, der die Hafthöchstdauer nach § 427 Abs. 1 Satz 2 FamFG von sechs Wochen auch nicht überschreitet, mit den Worten eingeleitet: „... wird im Wege der einstweili- gen Anordnung nach § 427 FamFG folgendes angeordnet: …“. Hinzu kommt, dass sich die Richterin ausweislich des Kopfs der Entscheidung nicht als ordentliche Dezernentin des Amtsgerichts Saarbrücken, sondern als Mitglied des „zentralen Bereitschaftsgerichts für das Saarland“ bei dem Amtsgericht Saar- brücken mit der Sache befasst hat, bei dem der Bereitschaftsdienst für alle Amtsgerichte des Landes durch § 1 der (Landes-) Verordnung über den gemeinsamen Bereitschaftsdienst bei den Amtsgerichten des Saarlandes vom 31. Oktober 2004 (ABl. S. 2286) konzentriert ist, und dass sie ihre Entscheidung in der Nacht des 8. Mai 2013 getroffen hat.

IV.

8
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.
9
2. Dem Betroffenen ist Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, weil der Fall eine Abgrenzungsfrage aufwirft, deren Beantwortung nicht im Verfahren über die Verfahrenskostenhilfe vorweggenommen werden darf. Stresemann Lemke Schmidt-Räntsch Roth Brückner
Vorinstanzen:
AG Saarbrücken, Entscheidung vom 08.05.2013 - 7 XIV 24/13 -
LG Saarbrücken, Entscheidung vom 11.06.2013 - 5 T 199/13 -
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedür
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat. (2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzlic

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedür
11 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 26/01/2012 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 96/11 vom 26. Januar 2012 in der Abschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. Januar 2012 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schm
published on 12/05/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 296/10 vom 12. Mai 2011 in der Abschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Mai 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die Richter Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und Dr. Roth un
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 06/03/2014 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 121/13 vom 6. März 2014 in der Abschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2014 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, den Richter Dr. Czub, die Richterinnen Dr. Brückner un
published on 20/03/2014 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 169/13 vom 20. März 2014 in der Abschiebungshaftsache Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. März 2014 durch die Richter Dr. Lemke und Dr. Roth, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und den Richter
published on 21/08/2019 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZB 13/17 vom 21. August 2019 in der Zurückweisungshaftsache ECLI:DE:BGH:2019:210819BVZB13.17.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richt
published on 20/11/2019 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS XII ZB 501/18 vom 20. November 2019 in der Betreuungssache Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja BGB § 1899 Abs. 4; FamFG §§ 300, 302 Besteht für den Betroffenen eine vorläufige Betreuung, so kann ei
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.

(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die vorläufige Freiheitsentziehung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.

(2) Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht eine einstweilige Anordnung bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen sowie vor Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers erlassen; die Verfahrenshandlungen sind unverzüglich nachzuholen.

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.