Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Aug. 2019 - V ZB 83/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 21. August 2019 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, den Richter Dr. Kazele, die Richterin Haberkamp und den Richter Dr. Hamdorf
beschlossen:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Amtsgerichts Trier vom 9. Februar 2017 den Betroffenen bis zum 28. März 2017 in seinen Rechten verletzt hat.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Stadt Trier auferlegt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein marokkanischer Staatsangehöriger, reiste Anfang 2016 unerlaubt nach Deutschland ein und erklärte Ende Juli 2016 gegenüber der Aufnahmeeinrichtung für Asylbegehrende in Diez, um die Gewährung von Asyl nachsuchen zu wollen. Er erhielt daraufhin am 26. Juli 2016 einen Ankunftsnachweis , stellte in der Folgezeit jedoch nicht den angekündigten Asylantrag , sondern erklärte vielmehr mehrfach, einen solchen nicht anbringen zu wollen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte ein dort anhängiges Asylverfahren des Betroffenen ein, nachdem dieser bei seiner Anhörung durch das Bundesamt am 2. Januar 2017 erklärt hatte, kein Asyl beantragen zu wollen.
- 2
- Gegen den Betroffenen wurden bei mehreren Staatsanwaltschaften Ermittlungsverfahren geführt. Die Staatsanwaltschaft Trier erwirkte gegen ihn am 15. Oktober 2016 einen Haftbefehl wegen Verdachts der räuberischen Erpressung , aufgrund dessen er bis zu seiner Verurteilung am 9. Februar 2017 in Untersuchungshaft genommen wurde.
- 3
- Am gleichen Tag hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung von dessen Abschiebung nach Marokko bis zum 5. Mai 2017 angeordnet. Auf die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht die Haft unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels auf den 31. März 2017 verkürzt. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, nach seiner Abschiebung nach Marokko am 30. März 2017 mit dem Antrag festzustellen, dass er durch die Anordnung und Aufrechterhaltung der Haft in seinen Rechten verletzt worden ist. Die beteiligte Behörde tritt dem Rechtsmittel entgegen.
II.
- 4
- Das Beschwerdegericht geht davon aus, dass die beteiligte Behörde in erster Linie ein Hauptsacheverfahren mit dem Antrag, gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 5. Mai 2017 anzuordnen, hat einleiten wollen. Der zusätzliche Antrag, im Wege der einstweiligen Anordnung gegen den Betroffenen vorläufige Sicherungshaft bis zum 23. März 2017 anzuordnen, sei nur für den Fall gestellt worden, dass eine Entscheidung in der Hauptsache aus der Sicht des Amtsgerichts nicht möglich sei. Der Haftantrag werde nach seiner durch die beteiligte Behörde im Beschwerdeverfahren vorgenommenen Ergänzung mit Schriftsatz vom 27. März 2017 den gesetzlichen Anforderungen gerecht. Die erforderlichen Einvernehmenserklärungen der beteiligten Staatsanwaltschaften lägen nunmehr vor. Der von der Behörde geltend gemachte Haftgrund der Fluchtgefahr sei gegeben. Die Behörde habe das Verfahren auch mit der gebotenen Beschleunigung betrieben.
III.
- 5
- Das Rechtsmittel des Betroffenen hat im wesentlichen Erfolg.
- 6
- 1. Die Haftanordnung des Amtsgerichts war rechtswidrig.
- 7
a) Das ergibt sich allerdings entgegen der Auffassung des Betroffenen nicht daraus, dass das Amtsgericht über die Sicherungshaft ohne einen entsprechenden Antrag der beteiligten Behörde im Hauptsacheverfahren statt im Verfahren der einstweiligen Anordnung entschieden hat.
- 8
- aa) Es trifft zwar zu, dass über die Sicherungshaft gegen einen Betroffenen nicht im Hauptsacheverfahren entschieden werden darf, wenn die beteiligte Behörde eine Entscheidung im Verfahren der einstweiligen Anordnung beantragt hat. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 51 Abs. 1 Satz 1, § 427 FamFG steht nämlich einem Antrag auf Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren nicht gleich und ist deshalb keine geeignete Grundlage für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren (Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 11-13, vom 16. September 2015 - V ZB 40/15,InfAuslR 2016, 55 Rn. 7 a.E. und vom 17. Oktober 2018 - V ZB 38/18, juris Rn. 13).
- 9
- bb) So liegt es hier aber nicht. Die beteiligte Behörde hat nämlich, was das Beschwerdegericht zutreffend gesehen hat, in erster Linie die Anordnung von Sicherungshaft bis zum 5. Mai 2017 im Hauptsacheverfahren und nur für den Fall der Erfolglosigkeit dieses Antrags die Anordnung von Sicherungshaft bis zum 23. März 2017 im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt. Die beiden Anträge werden zu Beginn der Antragsschrift zwar ohne konkrete Angabe dazu angeführt, in welchem Verhältnis sie zueinander stehen. Aus der Begründung des Antrags ergibt sich aber, dass die beantragte Haft nicht nur bis zu dem Abschluss der Personenfeststellung des Betroffenen, sondern bis zur Abschiebung endgültig und im Wege der Hauptsacheentscheidung gelten sollte. Nur für den Fall, dass eine Hauptsacheentscheidung nicht im Sinne der Behörde getroffen werden konnte, sollte eine einstweilige Anordnung beantragt wer- den. Die Entscheidung über die Sicherungshaft ist deshalb in der richtigen Verfahrensart , nämlich im Hauptsacheverfahren, getroffen worden.
- 10
- b) Die Haftanordnung, die das Amtsgericht getroffen hat, war aber rechtswidrig, weil es an einem zulässigen Haftantrag fehlte.
- 11
- aa) Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen , zu der Erforderlichkeit der Haft, zu der Durchführbarkeit der Abschiebung und zu der notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des Haftantrags knapp gehalten sein, sie müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen. Fehlt es daran, darf die beantragte Sicherungshaft nicht angeordnet werden (st. Rspr., Senat, Beschlüsse vom 10. Mai 2012 - V ZB 246/11, InfAuslR 2012, 328 Rn. 10, vom 6. Dezember 2012 - V ZB 118/12, juris Rn. 4 und vom 31. Januar 2013 - V ZB 20/12, FGPrax 2013, 130 Rn. 15, jeweils mwN).
- 12
- bb) Diesen Anforderungen genügte der Haftantrag nicht, weil er, wie das Beschwerdegericht richtig gesehen hat, die erforderlichen Angaben zum Einvernehmen der Staatsanwaltschaften nicht enthielt. Wenn sich aus dem Haftantrag oder - wie hier - den beigefügten Unterlagen ergibt, dass gegen den Betroffenen nicht offensichtlich zustimmungsfreie Strafverfahren anhängig sind, muss nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Haftantrag mitgeteilt werden , welche Staatsanwaltschaft für welches Verfahren das - ggf. auch generelle - Einvernehmen erteilt hat bzw. aufgrund welcher Überlegungen ein Einvernehmen entbehrlich ist (vgl. Senat, Beschlüsse vom 20. Januar 2011 - V ZB 226/10, FGPrax 2011, 144 Rn. 9, vom 9. Februar 2017 - V ZB 129/16, juris Rn. 5 und vom 13. September 2018 - V ZB 145/17, juris Rn. 15). Daran fehlte es hier. Der Haftantrag enthielt nur die Angabe, dass die Staatsanwaltschaft Trier ihr Einvernehmen erteilt hat. Zu dem Einvernehmen der anderen Staatsanwaltschaften , bei denen nach den Angaben in der dem Haftantrag beigefügten Ausweisungsverfügung der beteiligten Behörde vom 7. Februar 2017 Ermittlungsverfahren gegen den Betroffenen anhängig waren, verhielt sich der Haftantrag dagegen nicht. Er war jedenfalls deshalb unzulässig.
- 13
- 2. Dieser Mangel ist erst durch die Entscheidung des Beschwerdegerichts geheilt worden.
- 14
- Mängel des Haftantrages können zwar unter anderem durch inhaltlich ausreichenden, ergänzenden Vortrag der beteiligten Behörde und die Anhörung des Betroffenen geheilt werden (Senat, Beschluss vom 20. September 2018 - V ZB 4/17, InfAuslR 2019, 23 Rn. 14 mwN). Die Heilung tritt aber nur mit Wirkung für die Zukunft und erst mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Fortdauer der Haft ein (Senat, Beschluss vom 25. Januar 2018 - V ZB 71/17, FGPrax 2018, 136 Rn. 6). Das war hier der 29. März 2017. Die bis dahin vollzogene Haft bleibt rechtswidrig, was hier bereits vom Beschwerdegericht festzustellen gewesen wäre.
- 15
- 3. Die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Fortdauer der Haft ist nicht zu beanstanden.
- 16
- 4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Haberkamp Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Trier, Entscheidung vom 09.02.2017 - 35b XIV 8/17 B -
LG Mainz, Entscheidung vom 29.03.2017 - 8 T 61/17 -
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Annotations
(1) Die einstweilige Anordnung wird nur auf Antrag erlassen, wenn ein entsprechendes Hauptsacheverfahren nur auf Antrag eingeleitet werden kann. Der Antragsteller hat den Antrag zu begründen und die Voraussetzungen für die Anordnung glaubhaft zu machen.
(2) Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften, die für eine entsprechende Hauptsache gelten, soweit sich nicht aus den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergibt. Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Eine Versäumnisentscheidung ist ausgeschlossen.
(3) Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist ein selbständiges Verfahren, auch wenn eine Hauptsache anhängig ist. Das Gericht kann von einzelnen Verfahrenshandlungen im Hauptsacheverfahren absehen, wenn diese bereits im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften.
(1) Das Gericht kann durch einstweilige Anordnung eine vorläufige Freiheitsentziehung anordnen, wenn dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für die Anordnung einer Freiheitsentziehung gegeben sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden besteht. Die vorläufige Freiheitsentziehung darf die Dauer von sechs Wochen nicht überschreiten.
(2) Bei Gefahr im Verzug kann das Gericht eine einstweilige Anordnung bereits vor der persönlichen Anhörung des Betroffenen sowie vor Bestellung und Anhörung des Verfahrenspflegers erlassen; die Verfahrenshandlungen sind unverzüglich nachzuholen.
(1) Die Freiheitsentziehung darf das Gericht nur auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen.
(2) Der Antrag ist zu begründen. Die Begründung hat folgende Tatsachen zu enthalten:
- 1.
die Identität des Betroffenen, - 2.
den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Betroffenen, - 3.
die Erforderlichkeit der Freiheitsentziehung, - 4.
die erforderliche Dauer der Freiheitsentziehung sowie - 5.
in Verfahren der Abschiebungs-, Zurückschiebungs- und Zurückweisungshaft die Verlassenspflicht des Betroffenen sowie die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der Abschiebung, Zurückschiebung und Zurückweisung.
(3) Tatsachen nach Absatz 2 Satz 2 können bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz ergänzt werden.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.