Bundesgerichtshof Beschluss, 29. Apr. 2004 - V ZB 33/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 150.000.- €
Gründe:
I.
Die Beklagten sind in erster Instanz zur Herausgabe eines Grundstücks verurteilt worden. Gegen das ihnen am 21. März 2003 zugestellte Urteil haben sie am 10. April 2003 Berufung eingelegt und zugleich beantragt, die Berufungsbegründungsfrist um einen Monat zu verlängern. Mit Beschluß vom 28. Mai 2003 hat das Oberlandesgericht die Berufung mit der Begründung als unzulässig verworfen , sie sei nicht rechtzeitig begründet worden. Aus einem Vermerk des Vorsitzenden vom 12. Juni 2003 geht hervor, daß er den Verlängerungsantrag in der Berufungsschrift übersehen hatte. Die Beklagte zu 1 hat ihre Berufung mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2003 zurückgenommen. Mit der Rechtsbeschwerde verlangen die Beklagten die Aufhebung des Verwerfungsbeschlusses.
II.
1. a) Die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig, weil die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde darlegt, daß das Berufungsgericht das Recht des Beklagten zu 2 aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt habe (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt 2 ZPO; vgl. Senat, BGHZ 154, 288).b) Die Rechtsbeschwerde ist schließlich begründet. Das Gebot rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozeßbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie nicht aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise außer Betracht bleiben müssen oder können. Diesen Anforderungen wird der Verwerfungsbeschluß nicht gerecht, weil das Berufungsgericht den Antrag der Beklagten auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist übersehen, mithin nicht zur Kenntnis genommen hat. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem Gehörsverstoß, da eine Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist grundsätzlich nur dann als unzulässig verworfen werden darf, wenn der Antrag des Rechtsmittelführers auf Verlängerung dieser Frist abgelehnt worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 5. April 2001, VII ZB 37/00, NJW-RR 2001, 931; Beschl. v. 31. Oktober 1985, V ZB 5/85, VersR 1986, 166). Daß inzwischen nicht nur der beantragte Verlängerungszeitraum, sondern auch die absolute Frist für die Berufungsbegründung (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO) ohne Eingang einer Berufungsbegründung verstrichen ist, steht der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nicht entgegen. Der Beklagte zu 2 war an der Erstellung der Berufungsbegründung bislang ohne sein Verschulden gehindert, weil die von ihm zur Vorbereitung der Berufungsbegründung erbetene Akteneinsicht noch nicht gewährt worden ist. Nach Beseitigung dieses Hindernisses besteht für ihn die Möglichkeit, innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO einen Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu stellen und die Berufungsbegründung nachzuholen (§ 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
c) Das Berufungsgericht wird daher zunächst dem Antrag des Beklagten zu 2 auf Gewährung von Akteneinsicht zu entsprechen und seine weiteren Anträge abzuwarten haben. 2. Die Rechtsbeschwerde der Beklagten zu 1 ist ebenfalls statthaft, mangels Rechtschutzbedürfnisses aber unzulässig. Durch ihre Berufungsrücknahme ist ein Fall der sogenannten verfahrensrechtlichen Überholung eingetreten (vgl. BGH, Beschl. v. 18. Januar 1995, IV ZB 22/94A, NJW-RR 1995, 765). Nachdem sich das Berufungsverfahren durch die Berufungsrücknahme erledigt hat, fehlt der Beklagten zu 1 ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Eine Entscheidung über die Rechtsbeschwerde könnte ihre Rechtsstellung nicht verbessern. Das gilt auch hinsichtlich der in dem angefochtenen Beschluß getroffenen Kostenentscheidung, denn die Rücknahme der Berufung führt ebenso wie ihre Verwerfung zur Verpflichtung des Berufungsführers , die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen (§ 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
Da die Beklagte zu 1 ihre Rechtsbeschwerde nicht für erledigt erklärt und damit auf den Kostenpunkt beschränkt hat, war diese mit der zwingenden Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
Wenzel Tropf Lemke Schmidt-Räntsch Stresemann
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.
(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
(1) Der Berufungskläger kann die Berufung bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen.
(2) Die Zurücknahme ist dem Gericht gegenüber zu erklären. Sie erfolgt, wenn sie nicht bei der mündlichen Verhandlung erklärt wird, durch Einreichung eines Schriftsatzes.
(3) Die Zurücknahme hat den Verlust des eingelegten Rechtsmittels und die Verpflichtung zur Folge, die durch das Rechtsmittel entstandenen Kosten zu tragen. Diese Wirkungen sind durch Beschluss auszusprechen.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)