Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2010 - V ZB 121/10

published on 07/05/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Mai 2010 - V ZB 121/10
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Amtsgericht Idar-Oberstein, 9 XIV 9/10 B, 25/02/2010
Landgericht Bad Kreuznach, 1 T 74/10, 23/04/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

Beschluss
V ZB 121/10
vom
7. Mai 2010
in der Abschiebehaftsache
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 7. Mai 2010 durch den Vorsitzenden
Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

beschlossen:
Dem Betroffenen wird für die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 23. April 2010 Verfahrenskostenhilfe bewilligt. Ihm wird Rechtsanwalt Wassermann beigeordnet. Die Vollziehung der durch Beschluss des Amtsgerichts IdarOberstein vom 25. Februar 2010 angeordneten und mit Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 23. April 2010 aufrechterhaltenen Abschiebungshaft wird einstweilen ausgesetzt.

Gründe:


I.

1
Der Betroffene, ein georgischer Staatsangehöriger, reiste mithilfe einer Schleuserorganisation im Jahr 2000 in das Bundesgebiet ein. Er gab vor, irakischer Staatsangehöriger zu sein und stellte unter Angabe falscher Personalien einen Antrag auf Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nachfolgend Bundesamt) lehnte den Asylantrag am 29. November 2000 als offensichtlich unbegründet ab und drohte die Abschiebung in den "Herkunftsstaat" an. In dem Bescheid weist das Bundesamt darauf hin, dass die Abschiebung auch in einen Staat erfolgen könne, in den der Betroffene einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Der Betroffene kam dem nicht freiwillig nach und war über einen längeren Zeitraum unbekannten Aufenthalts im Bundesgebiet.
2
Auf Antrag des Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 25. Februar 2010 die Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zum 19. Mai 2010 angeordnet. Hiergegen hat sich der Betroffene mit der sofortigen Beschwerde gewandt. Eine für den 13. April 2010 geplante Abschiebung hat das Verwaltungsgericht vorläufig nach § 123 VwGO untersagt und zur Begründung ausgeführt, dass es an einer hinreichend bestimmten Abschiebungsandrohung fehle. Die in dem Bescheid des Bundesamts vom 29. November 2000 enthaltene Abschiebungsandrohung sei zu unbestimmt, weil ein konkreter Zielstaat nicht genannt werde und die Ausländerbehörde eine Abschiebungsandrohung unter Bestimmung eines konkreten Zielstaats bislang nicht erlassen habe. Daraufhin erließ der Beteiligte zu 2 am 13. April 2010 eine Abschiebungsandrohung und bestimmte Georgien zum Zielstaat. Die Abschiebung des Betroffenen ist nunmehr für den 18. Mai 2010 vorgesehen.
3
Die gegen die Haftanordnung gerichtete sofortige Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Er beantragt, die Aussetzung des Vollzugs der Haftentscheidung bis zur Entscheidung über die Rechtsbeschwerde anzuordnen.

II.

4
Das Beschwerdegericht hat seine Entscheidung u.a. damit begründet, dass der Beteiligte zu 2 zwischenzeitlich wirksam den Zielstaat der Abschie- bung bestimmt habe. Ein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot liege nicht vor. Zwar sei es dem Beteiligten möglich gewesen, die erforderliche Abschiebungsandrohung so rechtzeitig nachzuholen, dass die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung hätte durchgeführt werden können. Dass der Betroffene nunmehr erst am 18. Mai 2010 abgeschoben werden könne, sei mit dem Allgemeininteresse an einer tatsächlichen Abschiebung noch zu rechtfertigen, zudem bleibe die Verlängerung der Freiheitsentziehung noch in einem vertretbaren Rahmen, zumal der Betroffene jahrelang über seine Identität getäuscht und so die umfangreichen Nachforschungen verursacht habe.

III.

5
1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64 Abs. 3 FamFG statthaft (vgl. Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10 Rdn. 3 - juris; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 3 - juris).
6
2. Er ist auch begründet.
7
Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte einstweilige Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Betroffenen gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer Freiheitsentziehung , die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird danach regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn das Rechtsmittel Aussicht auf Erfolg hat oder die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist (Senat, Beschl. v. 21. Januar 2010, V ZB 14/10, Rdn. 5 - juris; Beschl. v. 30. März 2010, V ZB 79/10, Rdn. 5 - juris; ferner Senat, Beschl. v. 31. Oktober 2007, V ZB 114/07, WuM 2008, 95, 96). Die Rechtsbeschwerde bietet jedenfalls insoweit Aussicht auf Erfolg, als sie sich gegen die Aufrechterhaltung der Sicherungshaft richtet.
8
a) Die Auffassung des Beschwerdegerichts, dass die Fortdauer der Haft noch dem im Rahmen der Prüfung des Haftgrundes zu beachtenden verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht, begegnet erheblichen rechtlichen Bedenken.
9
Nach der gesetzlichen Wertung, wie sie in § 62 Abs. 2 Satz 5 AufenthG zum Ausdruck kommt (vgl. Entwurf v. 23. April 2007 eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU, BT-Drucks. 16/5065, S. 188), verliert die Haftanordnung ihre Wirksamkeit mit der konkreten Abschiebungsmaßnahme (vgl. OLG Frankfurt FGPrax 2009, 188, 189; OLG München OLGR 2006, 674). Dies gilt auch im Falle eines von dem Ausländer nicht zu vertretenden Scheiterns der Abschiebung (vgl. OLG Frankfurt, aaO; Hailbronner, AusIR, Stand: 68. Aktualisierung April 2010, § 62 AufenthG Rdn. 67). Schlägt diese ausschließlich wegen eines Fehlers der Ausländerbehörde fehl, ist die weitere Inhaftierung des Ausländers auf der Grundlage der ursprünglichen Haftanordnung nicht zu rechtfertigen (vgl. OLG Hamm OLGR 2009, 639 f.).
10
Davon dürfte hier auszugehen sein. Das Verwaltungsgericht hat die für den 13. April 2010 geplante Abschiebung einstweilen untersagt und dies mit dem Fehlen einer wirksamen Abschiebungsandrohung begründet. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ist der Nachprüfung durch die Zivilgerichte entzogen und daher als Tatsache zu berücksichtigen und nicht auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen (vgl. BGH, Urt. v. 15. Juni 2007, I ZR 125/04, NVwZ-RR 1008, 154, 155). Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts hätte die Freiheitsentziehung mit der am 13. April 2010 durchzuführenden Abschiebung enden können, wenn der Beteiligte zu 2 rechtzeitig dem Betroffenen die Abschiebung nach Georgien angedroht hätte. Dies wäre dem Beteiligten zu 2 nach sorgfältiger Prüfung der Voraussetzungen der Abschiebung auch möglich gewesen. Keinesfalls ist die Untersagung der Abschiebung durch das Verwaltungsgericht dem Betroffenen anzulasten.
11
Der neue Sachvortrag des Beteiligten zu 2, dass er dem Betroffenen bereits am 25. Februar 2010 mündlich mitgeteilt habe, nach Georgien abgeschoben zu werden, kann im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht berücksichtigt werden (vgl. Keidel/Meyer-Holtz, FamFG, 16. Aufl., § 74 Rdn. 35 m.w.N.).
12
b) Die Aufrechterhaltung der Freiheitsentziehung durfte das Beschwerdegericht schließlich nicht mit dem Allgemeininteresse an einer wirksamen Abschiebung oder damit rechtfertigen, dass die Verlängerung sich in einem "vertretbaren Rahmen" halte. Dem Freiheitsgrundrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) kommt - je länger eine Haft andauert - ein immer größeres Gewicht gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften zu (BVerfG, NVwZ 1996, Beilage 3, S. 17 f.). Zudem muss die Behörde, schon wenn vorhersehbar ist, dass die Abschiebung erforderlich wird, alle notwendigen Anstrengungen unternehmen, damit der Vollzug der Haft auf eine möglichst kurze Zeit beschränkt werden kann (vgl. Senat, BGHZ 133, 235, 239; Beschl. v. 25. März 2010, V ZA 9/10, Rdn. 22 - juris).
Krüger Klein Stresemann
Czub Roth

Vorinstanzen:
AG Idar-Oberstein, Entscheidung vom 25.02.2010 - 9 XIV 9/10 B -
LG Bad Kreuznach, Entscheidung vom 23.04.2010 - 1 T 74/10 -
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Annotations

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten wird. Anträge auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde sind bei dem Gericht einzulegen, dessen Beschluss angefochten werden soll.

(2) Die Beschwerde wird durch Einreichung einer Beschwerdeschrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt. Die Einlegung der Beschwerde zur Niederschrift der Geschäftsstelle ist in Ehesachen und in Familienstreitsachen ausgeschlossen. Die Beschwerde muss die Bezeichnung des angefochtenen Beschlusses sowie die Erklärung enthalten, dass Beschwerde gegen diesen Beschluss eingelegt wird. Sie ist von dem Beschwerdeführer oder seinem Bevollmächtigten zu unterzeichnen.

(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere anordnen, dass die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses auszusetzen ist.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.