Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Jan. 2020 - IX ZB 86/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die Richterinnen Lohmann, Möhring, die Richter Röhl und Dr. Schultz
am 28. Januar 2020
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Auf Antrag der weiteren Beteiligten zu 3 und zu 4 ist am 31. Oktober 2019 mit Beschluss des Insolvenzgerichts Düsseldorf das Insolvenzverfahren als Hauptinsolvenzverfahren im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (Neufassung) (im Folgenden nur: EuInsVO) über das Vermögen der Schuldnerin eröffnet worden. Gegen diesen Beschluss hat die weitere Beteiligte zu 2 sofortige Beschwerde eingelegt und die Aussetzung des Insolvenzverfahrens beantragt, weil ihr erhebliche Nachteile drohten. Das Insolvenzgericht hat eine einstweilige Aussetzung der Vollziehung abgelehnt. Nach Übertragung auf die Kammer hat das Landgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 9. Dezember 2019 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Die weitere Beteiligte zu 2 hat Rechtsbeschwerde eingelegt und mit der Rechtsbeschwerdebegründung den Antrag gestellt , gemäß § 575 Abs. 5, § 570 Abs. 3 ZPO die Vollziehung (Wirksamkeit) des Eröffnungsbeschlusses des Insolvenzgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober 2019 auszusetzen. Zur Begründung wird ausgeführt, gegen die Annahme der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte durch das Erst- und das Beschwerdegericht bestünden durchgreifende Bedenken. Der weiteren Beteiligten zu 2 drohten erhebliche Nachteile bei Vollzug des Eröffnungsbeschlusses. Die Maßnahmen des Insolvenzverwalters wären mit Kosten verbunden, die zulasten des Vermögens der Schuldnerin gingen. Die weitere Beteiligte zu 2 besorge dadurch eine Minderung ihrer Befriedigungsmöglichkeiten. Insbesondere bestünde die Gefahr, dass der Insolvenzverwalter durch Anfechtungsklagen ihrer neuen Finanzierungsstruktur die Grundlage entziehe. Daraus resultiere eine erhebliche Verunsicherung von Kunden, Lieferanten und Warenkreditversicherern der operativen Gesellschaften. Zur Glaubhaftmachung ist eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt worden. Eine Gefährdung der Gläubigerinteressen sei mit der beantragten Anordnung nicht zu besorgen, weil der in dem Eröffnungsverfahren ergangene Anordnungsbeschluss des Insolvenzgerichts Düsseldorf vom 9. September 2019, gegen den die weitere Beteiligte zu 2 erfolglos sofortige Beschwerde und ebenfalls Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof eingelegt hat, wirksam bliebe. Die weiteren Beteiligten zu 3 und zu 4 sind dem Antrag entgegengetreten.
II.
- 2
- Der Antrag bleibt ohne Erfolg.
- 3
- 1. Das Rechtsbeschwerdegericht hat über die beantragte Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind die Erfolgsaussichten des Rechtsmittels und die drohenden Nachteile für den Rechtsmittelführer gegeneinander abzuwägen. Die Aussetzung der Vollziehung einer erstinstanzlichen Entscheidung, die durch das Beschwerdegericht bestätigt worden ist, wird regelmäßig nur in Betracht kommen, wenn durch die (weitere) Vollziehung dem Rechtsbeschwerdeführer größere Nachteile drohen als den übrigen Beteiligten im Falle der Aufschiebung der von dem Insolvenzgericht beschlossenen Maßnahme , die Rechtslage zumindest zweifelhaft ist, und die Rechtsbeschwerde zulässig erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 21. März 2002 - IX ZB 48/02, NJW 2002, 1658 f mwN). Nach diesen Grundsätzen kommt die Aussetzung der Vollziehung der das Insolvenzverfahren eröffnenden Entscheidung des Insolvenzgerichts vorliegend nicht in Betracht.
- 4
- 2. Bereits zweifelhaft erscheint, dass der Rechtsbeschwerdeführerin bei (der weiteren) Vollziehung des Beschlusses größere Nachteile drohten als den übrigen Beteiligten. Kosten des Verfahrens, mit denen das Vermögen der Schuldnerin belastet wird, dürften die Befriedigungsmöglichkeiten aller Gläubiger und nicht nur diejenigen der Rechtsbeschwerdeführerin beeinträchtigen. Das dürfte wohl auch hinsichtlich der Kosten gelten, die durch Anfechtungsklagen entstünden, die der Insolvenzverwalter zu erheben beabsichtigt. Hätten diese Klagen keinen Erfolg, so bestünde allenfalls ein Kostenrisiko, das alle Gläubiger gleichermaßen zu tragen hätten. Wären diese Klagen aber erfolgreich , so wären der Schuldnerin die Vermögenswerte zurück zu gewähren; das Vermögen der Schuldnerin würde dadurch gemehrt und die Befriedigungsmöglichkeiten aller Gläubiger verbessert.
- 5
- 3. Darüber hinaus hat die Rechtsbeschwerdeführerin zwar ihr angeblich drohende Nachteile, nicht aber das Überwiegen dieser Nachteile gegenüber den Nachteilen der übrigen Beteiligten glaubhaft gemacht.
- 6
- 4. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und nach Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens durch den Senat ist der Antrag der Rechtsbeschwerdeführerin zurückzuweisen.
III.
- 7
- Der Senat weist für das weitere Verfahren auf Folgendes hin:
- 8
- Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde könnte Bedenken begegnen, soweit die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde der weiteren Beteiligten zu 2 gegen den Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts zweifelhaft erscheint.
- 9
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO gegen einen Beschluss statthaft, wenn das Beschwerdegericht sie in dem Beschluss zugelassen hat. Der Senat könnte aber gemäß § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO an die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Landgericht nicht gebunden sein, denn die Bindungswirkung umfasst bei der Rechtsbeschwerde nur die Bejahung der in den § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO genannten Zulassungsvoraussetzungen. Die Zulassung des Rechtsmittels kann aber nicht dazu führen, dass dadurch ein gesetzlich nicht vorgesehener Instanzenzug eröffnet wird (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2012 - I ZB 7/12, NJW-RR 2013, 490 Rn. 9 f mwN). Das gilt insbesondere, wenn bereits das Rechtsmittel zu dem Beschwerdegericht nicht statthaft gewesen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 - VI ZB 59/09, DS 2010, 397 Rn. 3 mwN).
- 10
- 2. Art. 5 Abs. 1 EuInsVO statuiert die Möglichkeit einer Anfechtung der Entscheidung, ein Hauptinsolvenzverfahren zu eröffnen. Sowohl der Schuldner als auch jeder Gläubiger kann mit einem Rechtsbehelf gegen die Eröffnungsentscheidung vorgehen und die Annahme der internationalen Zuständigkeit durch das eröffnende Gericht überprüfen lassen (vgl. Gruber/Schulz in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Anh. II Art. 5 EuInsVO nF Rn. 1). In Mitgliedstaaten, deren Insolvenzrecht wie in Deutschland ein vorläufiges Insolvenzverfahren kennt, soll bereits die erste gerichtliche Sicherungsmaßnahme , etwa die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, als Eröffnungsentscheidung nach Art. 2 Nr. 7 EuInsVO anzusehen sein (vgl. Madaus in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand: Oktober 2019, Art. 2 EuInsVO 2015 Rn. 19). Die Anordnung eines vorläufigen Insolvenzverfahrens reiche aus, wenn ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt würde (vgl. Gruber/Schulz in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, Insolvenzrecht, 3. Aufl., Anh. I Art. 3 EuInsVO aF Rn. 74). Würde die Anordnung getroffen, dass Verfügungen des Schuldners nur noch mit der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien, gelte nichts anderes (vgl. Gruber/Schulz in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, aaO Rn. 75 mwN). Gegenstand des Rechtsmittels des Art. 5 Abs. 1 EuInsVO sei nach dessen Wortlaut nur "die Entscheidung zur Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens" , also eine, genauer die erste Eröffnungsentscheidung, nicht aber deren Bestätigung (vgl. Madaus in Kübler/Prütting/Bork, InsO, Stand: Oktober 2019, Art. 5 EuInsVO 2015 Rn. 6 mwN). Ein Recht, die internationale Zuständigkeit eines Mitgliedstaats mehrfach durch Einlegung von Rechtsmitteln überprüfen zu lassen, sei Art. 5 Abs. 1 EuInsVO nicht zu entnehmen (vgl. Dey- da, ZInsO 2018, 221, 228 f; Smid, ZInsO 2018, 766, 767; Brinkmann, FS Schilken , 2015, 631, 643).
- 11
- 3. Den Beteiligten wird eine Stellungnahme zu dem Hinweis des Senats anheimgestellt.
Röhl Schultz
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 31.10.2019 - 501 IN 150/19 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 09.12.2019 - 25 T 664/19 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung der Entscheidung, gegen die die Rechtsbeschwerde gerichtet wird und - 2.
die Erklärung, dass gegen diese Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit die Entscheidung des Beschwerdegerichts oder des Berufungsgerichts angefochten und deren Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge), - 2.
in den Fällen des § 574 Abs. 1 Nr. 1 eine Darlegung zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 574 Abs. 2, - 3.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Beschwerde- und die Begründungsschrift anzuwenden. Die Beschwerde- und die Begründungsschrift sind der Gegenpartei zuzustellen.
(5) Die §§ 541 und 570 Abs. 1, 3 gelten entsprechend.
(1) Die Beschwerde hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels zum Gegenstand hat.
(2) Das Gericht oder der Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, kann die Vollziehung der Entscheidung aussetzen.
(3) Das Beschwerdegericht kann vor der Entscheidung eine einstweilige Anordnung erlassen; es kann insbesondere die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung aussetzen.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.