Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juni 2008 - IX ZB 80/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Auf Antrag der weiteren Beteiligten zu 1 vom 1. Oktober 1999 wurde über das Vermögen des Schuldners am 17. März 2000 das (Regel-)Insolvenzverfahren eröffnet, in dem der Schuldner Restschuldbefreiung begehrt. Das Insolvenzgericht hat den Antrag auf Restschuldbefreiung mit Beschluss vom 5. Dezember 2005 durch einen im Schlusstermin in Abwesenheit des Schuldners verkündeten Beschluss als unzulässig zurückgewiesen, weil der Schuldner zwei Aufforderungen des Gerichts vom 24. Mai und 2. August 2005, die noch fehlende Abtretungserklärung nachzureichen, nicht nachgekommen sei. Gegen diesen dem Schuldner nach der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 12. Dezember 2005 durch Einwurf in den Briefkasten oder eine ähnliche Vorrichtung zugestellten Beschluss hat der Schuldner mit Schriftsatz seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 8. Februar 2007 Beschwerde eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt. Zur Begründung hat er ausgeführt, erst durch ein am 7. Februar 2007 zugestelltes Schreiben der A. vom 23. Januar 2007 von der Zurückweisung des Antrags auf Restschuldbefreiung etwas erfahren zu haben. Die vom Insolvenzgericht vermisste Abtretungserklärung sei schon dem im Januar 2000 gestellten Restschuldbefreiungsantrag beigefügt gewesen.
- 2
- Mit Beschluss vom 20. März 2007 hat das Beschwerdegericht den Antrag des Schuldners auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und seine Beschwerde als unzulässig verworfen, denn der Schuldner habe nicht innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des angefochtenen Beschlusses die sofortige Beschwerde eingelegt. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zurückzuweisen, weil der Schuldner seine den Wiedereinsetzungsantrag begründenden Tatsachen nicht glaubhaft gemacht habe. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts vom 20. März 2007 und die Änderung des Beschlusses des Amtsgerichts vom 5. Dezember 2005 beantragt wird, macht geltend, das Landgericht habe bei seiner Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag des Schuldners zu Unrecht eine am 21. März 2007 beim Gericht eingegangene eidesstattliche Versicherung des Schuldners, in der dieser bestritten hat, am 12. Dezember 2005 den Beschluss vom 5. Dezember 2005 bekommen zu haben, unberücksichtigt gelassen. Da es sich um einen nicht verkündeten Beschluss gehandelt habe, hätte das Landgericht bei seiner Entscheidung auch noch den vor Herausgabe des Beschlusses am 21. März 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 19. März 2007 mit der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners berücksichtigen müssen.
II.
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- Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§§ 7, 6 Abs. 1, 289 Abs. 2 Satz 1 InsO, §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist jedoch nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie keinen Zulässigkeitsgrund aufdeckt.
- 4
- Auf die Rüge, das Beschwerdegericht hätte die bei ihm am 21. März 2007 eingegangene eidesstattliche Versicherung des Schuldners, mit der er glaubhaft gemacht habe, den Beschluss vom 5. Dezember 2005 am 12. Dezember 2005 nicht erhalten zu haben, zu Unrecht unberücksichtigt gelassen, kommt es nicht an.
- 5
- Das Beschwerdegericht hat dem Schuldner mit Recht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versagt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , die von den übrigen Obergerichten geteilt wird und die auch mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Einklang steht, kann die Beweiskraft einer Zustellungsurkunde, die gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen erbringt, nur durch die substantiierte Darlegung und den Nachweis des Gegenteils zerstört werden; die nur pauschale Behauptung, das zugestellte Schriftstück nicht bekommen zu haben, entkräftet die Richtigkeit der Zustellungsurkunde nicht (vgl. BGH, Urt. v. 10. November 2005 - III ZR 104/05, NJW 2006, 150; BSG, Beschl. v. 27. Januar 2005 - B 7a/7 AL 194/04 B; BFH, BFH/NV 2004, 509 Rn. 10; BVerfG NJW-RR 2002, 1008 Rn. 3 f; Hk-ZPO/Eichele, 2. Aufl. § 418 Rn. 4; Musielak/Huber, ZPO 6. Aufl. § 418 Rn. 5; Zöller/Geimer, ZPO 26. Aufl. § 418 Rn. 4).
- 6
- In der eidesstattlichen Versicherung des Schuldners vom 13. März 2007 wird lediglich ausgeführt, dem Schuldner sei der Beschluss vom 5. Dezember 2005 über die Versagung der Restschuldbefreiung nicht am 12. Dezember 2005 zugegangen, er habe erstmals mit Schreiben der A. vom 23. Januar 2007 Kenntnis von der Versagung erhalten. Dieser Vortrag genügt nicht, um die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde zu widerlegen. Zwar kann der Beweis der Unrichtigkeit der Urkunde geführt werden (§ 418 Abs. 2 ZPO). Dafür reicht es jedoch nicht aus, wenn der Adressat der Zustellung wie hier schlicht behauptet, das Schriftstück nicht erhalten zu haben. Der Beweis der Unrichtigkeit der in der Zustellungsurkunde bezeugten Tatsachen erfordert vielmehr die substantiierte Darlegung eines anderen als des beurkundeten Geschehens. Notwendig ist der volle Beweis in der Weise, dass die Beweiswirkung der Zustellungsurkunde vollständig entkräftet und jede Möglichkeit der Richtigkeit der in ihr niedergelegten Tatsachen ausgeschlossen ist (vgl. BGH, Urt. v. 10. November 2005 aaO Rn. 12).
- 7
- Der Schuldner hat insoweit nichts vorgebracht, was nur ansatzweise diesen Anforderungen genügen könnte. Es fehlt Vortrag eines Sachverhalts, aus dem sich die Unrichtigkeit des Inhalts der Zustellungsurkunde vom 12. Dezember 2005 - deren Korrektheit im Übrigen von der Rechtsbeschwerde nicht in Frage gestellt wird - ergibt. Das Landgericht hätte deshalb die sofortige Beschwerde des Schuldners auch dann als unzulässig verwerfen müssen, wenn es den Inhalt des Schriftsatzes vom 19. März 2007 und die dem Schriftsatz angefügte eidesstattliche Versicherung des Schuldners berücksichtigt hätte. Auf die Frage, ob das Beschwerdegericht den Inhalt des Schriftsatzes noch hätte zur Kenntnis und seiner Entscheidung zugrunde legen müssen, kommt es daher nicht an.
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- Die Versagung der Restschuldbefreiung ist mangels rechtzeitiger Einlegung der sofortigen Beschwerde nicht mehr angreifbar.
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- Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).
Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 05.12.2005 - 104 IN 3329/99 -
LG Berlin, Entscheidung vom 20.03.2007 - 86 T 134/07 -
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Annotations
(1) Die Entscheidungen des Insolvenzgerichts unterliegen nur in den Fällen einem Rechtsmittel, in denen dieses Gesetz die sofortige Beschwerde vorsieht. Die sofortige Beschwerde ist bei dem Insolvenzgericht einzulegen.
(2) Die Beschwerdefrist beginnt mit der Verkündung der Entscheidung oder, wenn diese nicht verkündet wird, mit deren Zustellung.
(3) Die Entscheidung über die Beschwerde wird erst mit der Rechtskraft wirksam. Das Beschwerdegericht kann jedoch die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anordnen.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Öffentliche Urkunden, die einen anderen als den in den §§ 415, 417 bezeichneten Inhalt haben, begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen.
(2) Der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen ist zulässig, sofern nicht die Landesgesetze diesen Beweis ausschließen oder beschränken.
(3) Beruht das Zeugnis nicht auf eigener Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson, so ist die Vorschrift des ersten Absatzes nur dann anzuwenden, wenn sich aus den Landesgesetzen ergibt, dass die Beweiskraft des Zeugnisses von der eigenen Wahrnehmung unabhängig ist.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Parteien gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 575 Abs. 3 und § 574 Abs. 4 Satz 2 gerügt worden sind. § 559 gilt entsprechend.
(3) Ergibt die Begründung der angefochtenen Entscheidung zwar eine Rechtsverletzung, stellt die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen sich als richtig dar, so ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(4) Wird die Rechtsbeschwerde für begründet erachtet, ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückzuverweisen. § 562 Abs. 2 gilt entsprechend. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(5) Das Rechtsbeschwerdegericht hat in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist. § 563 Abs. 4 gilt entsprechend.
(6) Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde ergeht durch Beschluss. § 564 gilt entsprechend. Im Übrigen kann von einer Begründung abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.