Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2014 - IX ZB 63/13

published on 09/10/2014 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Okt. 2014 - IX ZB 63/13
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Amtsgericht Nürnberg, 17 C 1105/13, 25/04/2013
Landgericht Nürnberg-Fürth, 5 S 4139/13, 29/07/2013

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IX ZB63/13
vom
9. Oktober 2014
in dem Rechtsstreit
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Vill,
Prof. Dr. Gehrlein, die Richterin Lohmann, die Richter Dr. Fischer und Grupp
am 9. Oktober 2014

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 29. Juli 2013 wird auf Kosten des Beklagten als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde wird auf 1.071 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Mit Endurteil des Amtsgerichts vom 25. April 2013 wurde der Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.071 € nebst Zinsen zu zahlen; die Widerklage wurde abgewiesen.
2
Dieses Urteil wurde dem Beklagten am 4. Mai 2013 zugestellt. Mit Schreiben vom 7. Mai 2013 erklärte der Beklagte gegenüber dem Amtsgericht, die Verhandlung solle fortgeführt und hierfür ein neuer Termin anberaumt werden. Zugleich wies er darauf hin, die Sache solle nicht in Form einer Beschwerde in eine höhere Instanz gehen. Hierauf teilte ihm das Amtsgericht mit Verfü- gung vom 13. Mai 2013 mit, gegen das Endurteil gebe es keine Beschwerdemöglichkeit , sondern lediglich die Berufung zum Landgericht Nürnberg-Fürth. Diese müsse er beim Landgericht einlegen.
3
Am 18. Mai 2013 wurde dem Beklagten der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 15. Mai 2013 zugestellt, worauf er mit an das Amtsgericht gerichtetem Schreiben vom 4. Juni 2013 hiergegen und mit Bezugnahme auf sein Schreiben vom 7. Mai 2013 gegen das Endurteil Einspruch einlegte. Mit weiterem Schreiben vom 13. Juni 2013 legte der Beklagte gegen das Endurteil ausdrücklich Berufung beim Landgericht ein. Mit Schriftsatz vom 27. Juni 2013 reichte der nunmehr für die zweite Instanz bestellte Prozessbevollmächtigte des Beklagten nochmals Berufung ein und begehrte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist. Zur Begründung wurde ausgeführt, das Amtsgericht habe es versäumt, dem Beklagten mitzuteilen, dass die Berufung von einem Rechtsanwalt eingelegt werden müsse.
4
Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zurückgewiesen und seine Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und den Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.

II.


5
Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist aber nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Eine Entschei- dung des Rechtsbeschwerdegerichts ist insbesondere nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder wegen grundsätzlicher Bedeutung erforderlich.
6
1. Das Landgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe die Berufungsfrist nicht unverschuldet versäumt. Das Amtsgericht sei nicht verpflichtet gewesen, den Beklagten auf den Anwaltszwang bei einer Berufungseinlegung hinzuweisen. Der Beklagte habe in seinem Schreiben vom 7. Mai 2013 zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht, keine Entscheidung der nächst höheren Instanz zu wollen. Daher habe das Amtsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass es keine Beschwerde mit dem Ziel der Fortsetzung des erstinstanzlichen Verfahrens gebe. Eine Belehrung hinsichtlich eines vom Beklagten nicht beabsichtigten Rechtsmittels sei dagegen nicht geboten gewesen. Da zivilrechtliche Entscheidungen keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielten, habe es dem Beklagten oblegen, sich nach Form und Frist der Anfechtung zu erkundigen.
7
2. Gründe, die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung als zulässig anzusehen, zeigt die Beschwerde nicht auf.
8
Der Anspruch des Beklagten auf ein faires Verfahren (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz, Art. 20 Abs. 3 GG) ist nicht verletzt. Das Gebot des fairen Verfahrens verbietet es, einer Partei nach Versäumung einer Rechtsmittelfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht zu versagen, die nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen konnte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2002 - V ZB 16/02, BGHZ 151, 221, 227 f; vom 13. Mai 2003 - VI ZB 76/02, VersR 2003, 1458, 1459; vom 13. September 2005 - VI ZB 19/05, NJW-RR 2005, 1726, 1727). Nach ständiger Rechtsprechung war ein Zivilgericht bis zum Inkrafttreten des § 232 ZPO am 1. Januar 2014 nicht gehalten, eine nicht anwaltlich vertretene Prozesspartei nach Erlass einer für sie nachteiligen Entscheidung über die Rechtsbehelfsmöglichkeiten und deren Erfordernisse zu unterrichten. Vielmehr war es Sache der Partei, sich nach Form und Frist der Anfechtung zu erkundigen (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Beschluss vom 19. März 1997 - XII ZB 139/96, NJW 1997, 1989; vom 13. September 2005, aaO; MünchKomm -ZPO/Gehrlein, 4. Aufl., § 233 Rn. 33; Musielak/Grandel, ZPO, 11. Aufl., § 233 Rn. 43).
9
Der vom Amtsgericht mit Verfügung vom 13. Mai 2013 erteilte Hinweis war ordnungsgemäß und enthob den Beklagten nicht seiner eigenen, sich aus den vorstehenden Grundsätzen ergebenden Verantwortung. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat das Amtsgericht weder eine Rechtsmittelbelehrung noch einen Hinweis, der einer solchen gleichkommt, erteilt. Die vom Landgericht vorgenommene Würdigung des Schreibens des Beklagten vom 7. Mai 2013 ist nicht zu beanstanden; für das Amtsgericht ergab sich danach keine Verpflichtung, den Beklagten auf das Erfordernis des Anwaltszwanges bei Einlegung einer Berufung hinzuweisen.
Vill Gehrlein Lohmann
Fischer Grupp

Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 25.04.2013 - 17 C 1105/13 -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 29.07.2013 - 5 S 4139/13 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der
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Annotations

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung hat eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel, den Einspruch, den Widerspruch oder die Erinnerung sowie über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf einzulegen ist, über den Sitz des Gerichts und über die einzuhaltende Form und Frist zu enthalten. Dies gilt nicht in Verfahren, in denen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, es sei denn, es ist über einen Einspruch oder Widerspruch zu belehren oder die Belehrung ist an einen Zeugen oder Sachverständigen zu richten. Über die Möglichkeit der Sprungrevision muss nicht belehrt werden.