Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01

bei uns veröffentlicht am22.11.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BGHR: ja

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 57/01
vom
22. November 2001
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Rinne und die Richter Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Galke am 22. November
2001

beschlossen:
Die außerordentliche Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluß des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Rostock vom 5. September 2001 - 6 U 124/00 - wird auf ihre Kosten als unzulässig verworfen.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 11.843,85 DM

Gründe


1. Das Landgericht verurteilte den Beklagten, an die Klägerin 11.843,85 DM nebst Zinsen zu zahlen. In der Berufungsverhandlung vor dem Oberlandesgericht gab dieses zu erkennen, daß es beabsichtigte, das angefochtene Urteil zu ändern; es teilte den Parteien als seine vorläufige Rechtsauffassung mit, daß der Klägerin kein Zahlungsanspruch gegen den Beklagten zustehe. Im Zusammenhang mit Erörterungen, auf welche Art und Weise ein für die Klägerin möglichst kostengünstiges Berufungsurteil ergehen könnte, erklärten sich beide Parteien damit einverstanden, daß, sofern ein Urteil verkündet werden sollte, von der Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe abgesehen werde. In dem anberaumten Verkündungstermin hat
das Oberlandesgericht ein Urteil verkündet, wonach die Berufung des Beklagten zurückgewiesen wird; das Urteil enthält auûer dem Hinweis, daû die Parteien auf die Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe verzichtet hätten, keine Begründung. Auf sofortige Gegenvorstellung des Beklagten hat das Oberlandesgericht - nach mündlicher Verhandlung - den Tenor seines Urteils dahin berichtigt, daû auf die Berufung des Beklagten das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen werde. Zur Begründung hat das Oberlandesgericht ausgeführt, es handele sich um eine Berichtigung gemäû § 319 ZPO wegen offenbarer Unrichtigkeit. Der ursprüngliche Urteilstenor sei nur versehentlich so gefaût worden, wie er verkündet wurde. Daû es sich um eine offenbare Unrichtigkeit handele, ergebe sich aus dem Gang und Inhalt der Berufungsverhandlung. Im Falle der Ablehnung einer Urteilsberichtigung würde im übrigen eine Überraschungsentscheidung und damit ein "Willkür -Urteil" aufrechterhalten, zu dessen Korrektur der Beklagte das Bundesverfassungsgericht anrufen müûte.
2. Die hiergegen gerichtete "auûerordentliche Beschwerde" der Klägerin ist unzulässig.
Gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist - abgesehen von im Gesetz vorgesehenen Ausnahmen, die hier nicht vorliegen - eine Beschwerde nicht statthaft (§ 567 Abs. 4 ZPO). Allerdings läût die Rechtsprechung gegen Entscheidungen, die nach dem Gesetz unanfechtbar sind, in Ausnahmefällen eine auûerordentliche Beschwerde wegen "greifbarer Gesetzwidrigkeit" zu (vgl. nur BGHZ 109, 41, 43 f; 119, 372; BGH, Beschluû vom 8. Februar 1999 - II ZR 24/98 - NJW 1999, 1404; Musielak/Ball ZPO 2. Aufl. § 567 Rn. 16 m.w.N.). Davon, daû es sich bei dem angefochtenen Beschluû um
einen derartigen Fall, nämlich um eine Entscheidung handelte, die jeder Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd ist, kann jedoch keine Rede sein.
Die Berichtigung eines Urteils nach § 319 ZPO setzt allerdings voraus, daû eine "offenbare" Unrichtigkeit gegeben ist, d.h. die Unrichtigkeit muû sich unmittelbar aufgrund des Urteils selbst feststellen lassen oder das Versehen muû sich jedenfalls aus den Vorgängen bei Erlaû und Verkündung des Urteils evident ergeben (Musielak/Musielak aaO § 319 Rn. 5). Wenn - wie hier - ein anderes Urteil verkündet und damit existent wird als die Entscheidung, die die erkennenden Richter nach Beratung beschlossen ("gefällt") hatten (vgl. § 309 ZPO), so kann (bei Vorliegen eines in sich schlüssigen Urteilstenors und Fehlen jeglicher Urteilsbegründung) die Diskrepanz zwischen dem "Gewollten" und dem verkündeten Urteil mit der erforderlichen Sicherheit nur bei Bekanntgabe des Beratungsergebnisses des Gerichts festgestellt werden. Andererseits gebietet es der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 GG), daû in einem Fall, wie er hier vorliegt, verfahrensrechtlich ein Weg gegeben sein muû, um ein an sich der Rechtskraft fähiges Urteil, das so aber vom erkennenden Gericht nicht gewollt war, jedenfalls bei sofortiger Beanstandung dieses Fehlers wieder zu beseitigen. Der Senat neigt dazu, daû in solchen Fällen ebenfalls eine Verfahrensweise nach Art des Berichtigungsverfahrens gemäû § 319 ZPO - selbstredend nach Anhörung der Parteien - geboten ist. Dies braucht aber im
vorliegenden Zusammenhang nicht vertieft zu werden. Daû sich das Oberlandesgericht für diesen verfahrensrechtlichen Weg entschieden hat, ist jedenfalls nicht "greifbar gesetzeswidrig".
Rinne Streck Schlick Kapsa Galke

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01

Referenzen - Gesetze

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde


(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde E

Zivilprozessordnung - ZPO | § 319 Berichtigung des Urteils


(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. (2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil un
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01 zitiert 6 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 20


(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

Zivilprozessordnung - ZPO | § 567 Sofortige Beschwerde; Anschlussbeschwerde


(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde E

Zivilprozessordnung - ZPO | § 319 Berichtigung des Urteils


(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen. (2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil un

Zivilprozessordnung - ZPO | § 309 Erkennende Richter


Das Urteil kann nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben.

Referenzen - Urteile

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01 zitiert oder wird zitiert von 1 Urteil(en).

1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2001 - III ZB 57/01.

Bundesgerichtshof Urteil, 17. März 2011 - I ZR 170/08

bei uns veröffentlicht am 17.03.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 170/08 Verkündet am: 17. März 2011 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGH

Referenzen

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.

(1) Die sofortige Beschwerde findet statt gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
es sich um solche eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde Entscheidungen handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes Gesuch zurückgewiesen worden ist.

(2) Gegen Entscheidungen über Kosten ist die Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt.

(3) Der Beschwerdegegner kann sich der Beschwerde anschließen, selbst wenn er auf die Beschwerde verzichtet hat oder die Beschwerdefrist verstrichen ist. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Beschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.

Das Urteil kann nur von denjenigen Richtern gefällt werden, welche der dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung beigewohnt haben.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Schreibfehler, Rechnungsfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die in dem Urteil vorkommen, sind jederzeit von dem Gericht auch von Amts wegen zu berichtigen.

(2) Der Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, wird auf dem Urteil und den Ausfertigungen vermerkt. Erfolgt der Berichtigungsbeschluss in der Form des § 130b, ist er in einem gesonderten elektronischen Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(3) Gegen den Beschluss, durch den der Antrag auf Berichtigung zurückgewiesen wird, findet kein Rechtsmittel, gegen den Beschluss, der eine Berichtigung ausspricht, findet sofortige Beschwerde statt.