Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2007 - III ZB 108/06

published on 04/04/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Apr. 2007 - III ZB 108/06
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Landgericht Nürnberg-Fürth, 1 O 201/05, 30/05/2006
Oberlandesgericht Nürnberg, 4 U 1633/06, 27/10/2006

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 108/06
vom
4. April 2007
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. April 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Dörr und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg, 4. Zivilsenat, vom 27. Oktober 2006 - 4 U 1633/06 - wird als unzulässig verworfen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aus einem Wert von 7.822,77 € zu tragen.

Gründe:


I.


1
Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 7.822,77 € nebst Zinsen gerichtete Klage wurde durch Urteil des Landgerichts vom 30. Mai 2006, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Juni 2006 zugestellt wurde , abgewiesen. Seine an das Oberlandesgericht adressierte Berufung ging in ihrer Urschrift dort am 12. Juli 2006 ein. Die Berufungsschrift war zuvor bereits am 10. Juli 2006 um 14.01 Uhr auf dem Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts empfangen und, da sie an das im selben Gebäude residierende Oberlandesgericht gerichtet war, an das Berufungsgericht weitergeleitet worden, wo sie am 11. Juli 2006 einging.

2
Nach gerichtlichen Hinweisen hat sich der Kläger auf den Standpunkt gestellt, es sei nicht ersichtlich, weshalb der ordnungsgemäß adressierte Schriftsatz nicht innerhalb der Geschäftszeit unverzüglich an die Einlaufstelle des Berufungsgerichts weitergeleitet worden sei. Seinen hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag hat er damit begründet, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungseinlegungsfrist und die ordnungsgemäße Adressierung selbst kontrolliert und seiner zuverlässigen Bürovorsteherin die ausdrückliche Weisung erteilt, die Rechtsmittelschrift vorab per Telefax, sodann per Post zu übermitteln und den Sendebericht zu kontrollieren. Dieser habe einen "OKVermerk" aufgewiesen. Eine mögliche Verwechslung der Faxnummer durch die Bürovorsteherin könne ihm nicht als Verschulden zugerechnet werden.
3
Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen und ihm die Erteilung der Wiedereinsetzung versagt.

II.


4
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden.
5
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Berufungsschrift nicht innerhalb der am 10. Juli 2006 abgelaufenen Frist beim Ober- landesgericht eingegangen ist. Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel. Der Umstand, dass Landgericht und Oberlandesgericht in demselben Gebäude residieren, ändert nichts daran, dass die an ein Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts gesendete Berufungsschrift erst am folgenden Tag in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Oberlandesgerichts gelangte.
6
2. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht dem Kläger die Erteilung von Wiedereinsetzung versagt hat.
7
a) Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen. Das gilt auch für die Übermittlung einer Berufungsschrift mittels eines Telefaxes (BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 22/93 - NJW 1994, 329; BVerfG NJW 1996, 309).
8
b) Allerdings muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948; vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGH-Report 2004, 978, 979; vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413 Rn. 7; vom 26. September 2006 - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996, 997 Rn. 8; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - juris Rn. 8). Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2006 aaO Rn. 12; vom 26. September 2006 aaO Rn. 8).
9
c) Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers diesen Maßstäben an eine entsprechende Organisation der Ausgangskontrolle nachgekommen wäre, ist dem gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich glaubhaft gemacht, dass die Bürovorsteherin angewiesen wurde, die Rechtsmittelschrift per Telefax zu übermitteln und im Hinblick auf den bevorstehenden Fristablauf den Sendebericht zu kontrollieren. Welche Vorkehrungen im Büro des Prozessbevollmächtigten bestanden, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer aufdecken zu können, ist nicht dargelegt worden.
10
d) Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass eine solche Kontrolle im Hinblick auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2004 (VII ZB 35/03 - NJW 2004, 2830, 2831) entbehrlich wäre. Auch diese Entscheidung geht von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Kontrolle aus (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373), behandelt aber zusätzlich den Gesichtspunkt, dass sich ein Rechtsanwalt in der Regel auf ein seit Jahren bewährtes EDV-Programm in der jeweils neuesten Fassung verlassen darf und er nicht gehalten ist, eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben in Anschreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen, weil dies dem Einsatz des EDV-Programms die Rationalisierungswirkung nehmen würde. Dass die Bürovorsteherin die verwendete Faxnummer einer vergleichbar sicheren Quelle entnommen hätte, die ein Verschulden in der Ausgangskontrolle ausschlösse oder gestatten würde, die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle zu verringern (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - juris Rn.11), ist jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

11
3. Wiedereinsetzung ist dem Kläger auch nicht deshalb zu erteilen, weil die Versäumung der Frist auf einem Verschulden des Gerichts beruhen würde.
12
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115 f; BVerfG NJW 2005, 2137, 2138). Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00 - NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschlüsse vom 28. Januar 2003 - VI ZB 29/02 - juris Rn. 8; vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom 3. Juli 2006 - II ZB 24/05 - NJW 2006, 3499 Rn. 5).
13
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Geschäftsstelle des Landgerichts, in der das Telefax empfangen wurde, die Berufungsschrift in das allgemeine Auslauffach gelegt. Dieses wird von den Wachtmeistern dreimal täglich, zuletzt zwischen 13.00 Uhr und 13.30 Uhr, geleert. Da die Berufungsschrift nach diesem Zeitpunkt einging, wurde sie erst am folgenden Morgen entnommen und über die Wachtmeisterei an das Berufungsgericht weitergeleitet. Dieser Geschäftsgang ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass der Berufungsschriftsatz nicht mit einem augenfälligen Hinweis auf eine besondere Eilbedürftigkeit versehen war. Nur bei einer inhaltlichen Durchsicht der Berufungsschrift wäre daher aufgefallen, dass im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Urteils am 8. Juni 2006 die Berufungsfrist am 10. Juli 2006, einem Montag, ablief. Zu einer solchen inhaltlichen Überprüfung war die Geschäftsstelle der Zivilkammer des unzuständigen Landgerichts nicht verpflichtet. Um so weniger bestand eine Pflicht, den Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hinzuweisen (vgl. BVerfG NJW 2001, 1343).
Schlick Streck Kapsa
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 30.05.2006 - 1 O 201/05 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 27.10.2006 - 4 U 1633/06 -
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwer

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.