Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Apr. 2008 - II ZR 61/07

published on 28/04/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Apr. 2008 - II ZR 61/07
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Landgericht Bielefeld, 2 O 385/05, 13/01/2006
Oberlandesgericht Hamm, 26 U 36/06, 19/01/2007

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZR 61/07
vom
28. April 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Ist die öffentliche Zustellung gemessen an den Voraussetzungen des § 185 ZPO
unwirksam, ist es dem von der Unwirksamkeit Begünstigten verwehrt, sich auf diese
zu berufen, wenn er zielgerichtet versucht hat, eine Zustellung, mit der er sicher
rechnen musste, zu verhindern. In einem solchen Fall ist das Berufen auf die Unwirksamkeit
rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich (Bestätigung von BGHZ 149,
311).
BGH, Beschluss vom 28. April 2008 - II ZR 61/07 - OLG Hamm
LG Bielefeld
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. April 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Dr. Kurzwelly,
Kraemer, Caliebe und Dr. Drescher

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird das Urteil des 26. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom 19. Januar 2007 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens, an den 2. Zivilsenat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Berufungsgericht hat den Vortrag des Klägers nur unvollständig und zudem nur im Zusammenhang mit der Prüfung der Frage der ordnungsgemäßen Zustellung des Versäumnisurteils zur Kenntnis genommen. Es hat sich dadurch unter Verstoß gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 GG) in entscheidungserheblicher Weise den Blick für die sich nach dem Vortrag des Klägers aufdrängende Prüfung verstellt, ob ein Berufen des Beklagten auf die nicht ordnungsgemäße Zustellung rechtsmissbräuchlich ist (§ 242 BGB).
2
I. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann auch in einem Fall, in dem die öffentliche Zustellung, wie das Berufungsgericht hier angenommen hat, unwirksam ist, ein Berufen auf die Unwirksamkeit im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein (BGHZ 149, 311, 323). Diese im vorliegenden Fall gebotene Prüfung hat das Berufungsgericht unterlassen, weil es den Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Beklagten, mit dem dieser seine postalische Erreichbarkeit zu verhindern versucht hat in einer Zeit, in der er mit einer Inan- spruchnahme seitens des Klägers aus der Garantieerklärung rechnen musste, nicht ausreichend zur Kenntnis genommen hat.
3
1. Der Kläger hat unter Vorlage eines Schreibens der Meldebehörde vorgetragen , dass sich der Beklagte bereits zum 1. Januar 2005 mit unbekanntem Aufenthaltsort abgemeldet hat, er mithin seiner Meldepflicht fast ein halbes Jahr nicht nachgekommen ist. Obwohl seine Ehefrau weiterhin am bisherigen gemeinsamen Wohn- und Geschäftssitz lebte und erreichbar war, hat der Beklagte während dieser Zeit nichts unternommen, um sicherzustellen, dass ihn dort - weiterhin - für ihn eingehende Post erreichen konnte. Er hat weder, was angesichts des Verbleibens seiner Ehefrau unter der gemeinsamen Wohnanschrift ohne Weiteres möglich gewesen wäre, dafür Sorge getragen, dass die für ihn dort eingehende Post entgegengenommen und an ihn weitergeleitet wird noch hat er - was sich ebenfalls aufgedrängt hätte, wenn er nicht beabsichtigte, unerreichbar zu sein, - einen Postnachsendeauftrag gestellt.
4
2. Ebenfalls nur unvollständig zur Kenntnis genommen hat das Berufungsgericht den unter Bezugnahme auf die Akten des Verfahrens 2 O 163/98 LG Bielefeld gehaltenen Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten. Das Berufungsgericht hat insoweit lediglich berücksichtigt , dass der Prozessbevollmächtigte die Nachfrage des Klägers nach der Anschrift des Beklagten unbeantwortet gelassen hat. Es hat dabei aber nicht in den Blick genommen, dass der Prozessbevollmächtigte genau zu dieser Zeit den Beklagten in der Zwangsvollstreckungssache 2 O 163/98 LG Bielefeld und dem sich daran anschließenden Kostenstreit vertreten hat, in der er für den Beklagten Anträge gestellt hat und mehrfach schriftsätzlich tätig geworden ist. Angesichts dessen hätte sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen, dass zwischen dem Beklagten und seinem Anwalt zu der Zeit, in der der Beklagte für den Kläger u.a. deshalb nicht erreichbar war, weil der Anwalt die Auskunft über den Aufenthaltsort verweigerte, Kontakt bestand. Der Anwalt hätte dem Kläger daher den Aufenthaltsort des Beklagten mitteilen können, was er Monate nach der öffentlichen Zustellung des Versäumnisurteils im Verfahren 2 O 163/98 LG Bielefeld schließlich getan hat mit der Bemerkung, er sei "vom Gericht" nie zur Mitteilung der Anschrift aufgefordert worden. Jedenfalls aber war der Beklagte unter Zugrundelegung dieses Vortrags des Klägers darüber informiert, dass der Kläger ihn erneut gerichtlich aus der Garantie in Anspruch nehmen wollte. Über seinen Prozessbevollmächtigten, den der Klägeranwalt zeitnah und fortlaufend informiert hatte, wusste der Beklagte von dem Inhalt des Gesellschafterbeschlusses vom 7. Dezember 2004 und der sich daran anschließenden Korrespondenz über die Sanierung und die von dem Kläger geforderte Sonderzahlung , und ihm musste aufgrund dieser Informationen bewusst sein, dass der Kläger nach dem Scheitern des Zwangsvollstreckungsversuchs, wie schriftlich gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten angekündigt, Klage gegen ihn erheben würde und er dafür für ihn postalisch erreichbar sein musste. Trotz dieses Wissens hat der Beklagte weder seinen Anwalt angehalten, dem Kläger seinen Aufenthaltsort mitzuteilen, noch hat er, nachdem er seinen neuen Wohnsitz genommen und sich angemeldet hatte, es für nötig befunden, seiner Ehefrau die neue Anschrift mitzuteilen, damit diese die zu erwartenden gerichtlichen Schriftstücke an ihn nachsenden konnte.
5
3. Hätte das Berufungsgericht nicht nur das Bemühen des Klägeranwalts und des Landgerichts hinsichtlich der Aufenthaltsermittlung des Beklagten, sondern den gesamten Vortrag des Klägers zu dem Verhalten des Beklagten berücksichtigt, ist nicht ausgeschlossen, dass es darin ein Vorgehen des Beklagten gesehen hätte, das dem Ziel diente, eine erfolgversprechende gerichtliche Inanspruchnahme seitens des Klägers aus der Garantie durch "Untertauchen" zu verhindern. Es hätte dann möglicherweise das Berufen des Beklagten auf die Fehlerhaftigkeit der öffentlichen Zustellung als rechtsmissbräuchlich (§ 242 BGB) gewertet und es ihm deshalb versagt, die Unwirksamkeit der Zustellung im Prozess geltend zu machen.
6
II. Der Senat hat bei der Zurückverweisung von der Möglichkeit des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch gemacht.
Goette Kurzwelly Kraemer Caliebe Drescher
Vorinstanzen:
LG Bielefeld, Entscheidung vom 13.01.2006 - 2 O 385/05 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 19.01.2007 - 26 U 36/06 -
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Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
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Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR124/15 vom 19. Januar 2016 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2016:190116BVIZR124.15.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Stöhr so
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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR122/15 vom 19. Januar 2016 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2016:190116BVIZR122.15.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Stöhr so
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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR126/15 vom 19. Januar 2016 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2016:190116BVIZR126.15.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Stöhr so
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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR123/15 vom 19. Januar 2016 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2016:190116BVIZR123.15.0 Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Januar 2016 durch den Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Stöhr so
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Annotations

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

Die Zustellung kann durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn

1.
der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist,
2.
bei juristischen Personen, die zur Anmeldung einer inländischen Geschäftsanschrift zum Handelsregister verpflichtet sind, eine Zustellung weder unter der eingetragenen Anschrift noch unter einer im Handelsregister eingetragenen Anschrift einer für Zustellungen empfangsberechtigten Person oder einer ohne Ermittlungen bekannten anderen inländischen Anschrift möglich ist,
3.
eine Zustellung im Ausland nicht möglich ist oder keinen Erfolg verspricht oder
4.
die Zustellung nicht erfolgen kann, weil der Ort der Zustellung die Wohnung einer Person ist, die nach den §§ 18 bis 20 des Gerichtsverfassungsgesetzes der Gerichtsbarkeit nicht unterliegt.

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.