Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2011 - I ZR 206/10

published on 24/11/2011 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Nov. 2011 - I ZR 206/10
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Previous court decisions
Landgericht Hamburg, 312 O 482/03, 22/06/2004
Hanseatisches Oberlandesgericht, 3 U 130/04, 18/11/2010

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
I ZR 206/10 Verkündet am:
24. November 2011
Führinger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Stofffähnchen II
Gemeinschaftsmarkenverordnung Art. 15 Abs. 1
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 15 Abs. 1
der Verordnung (EG) 40/1994 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke
(ABl. EG Nr. L 11 vom 14. Januar 1994, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung
vorgelegt:
Ist Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 40/94 dahin auszulegen,
1. dass eine Marke, die Teil einer zusammengesetzten Marke ist und nur
infolge der Benutzung der zusammengesetzten Marke Unterscheidungskraft
erlangt hat, rechtserhaltend benutzt sein kann, wenn nur die
zusammengesetzte Marke Verwendung findet;
2. dass eine Marke rechtserhaltend benutzt wird, wenn sie nur zusammen
mit einer weiteren Marke verwendet wird, das Publikum in den zwei
Marken selbständige Kennzeichen sieht und beide Marken zusammen
zusätzlich als Marke eingetragen sind?
BGH, Beschluss vom 24. November 2011 - I ZR 206/10 - OLG Hamburg
LG Hamburg
Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. Oktober 2011 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Bornkamm
und die Richter Pokrant, Prof. Dr. Büscher, Dr. Koch und Dr. Löffler

beschlossen:
I. Das Verfahren wird ausgesetzt. II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 40/1994 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. EG Nr. L 11 vom 14. Januar 1994, S. 1) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: Ist Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 40/94 dahin auszulegen, 1. dass eine Marke, die Teil einer zusammengesetzten Marke ist und nur infolge der Benutzung der zusammengesetzten Marke Unterscheidungskraft erlangt hat, rechtserhaltend benutzt sein kann, wenn nur die zusammengesetzte Marke Verwendung findet; 2. dass eine Marke rechtserhaltend benutzt wird, wenn sie nur zusammen mit einer weiteren Marke verwendet wird, das Publikum in den zwei Marken selbständige Kennzeichen sieht und beide Marken zusammen zusätzlich als Marke eingetragen sind?

Gründe:


1
I. Die Klägerin, die Levis Strauss & Co., ist Inhaberin der am 1. September 2000 unter anderem für Bekleidungsstücke eingetragenen Gemeinschaftsbildmarke Nr. 112 862 (nachfolgend Klagemarke 1) und der gleich gestalteten deutschen Bildmarke Nr. 2 914 002, eingetragen am 21. Oktober 1998 für Jeans-Hosen (nachfolgend Klagemarke 2):
2
Die Klägerin ist weiterhin Inhaberin der folgenden Marken: - der am 12. Januar 1977 für Hosen, Hemden, Blusen und Jacken für Herren , Damen und Kinder eingetragenen deutschen Wort-/Bildmarke Nr. DD 641 687, die in dem roten rechteckigen Bestandteil am linken oberen Rand den Wortbestandteil „LEVI'S“ aufweist (Klagemarke 3): - der farbigen, am 23. Juni 1965 für Bekleidungsstücke eingetragenen deutschen Wort-/Bildmarke Nr. 805 774, die ein skizziert dargestelltes Stück Stoff mit einem „Tab“ und der Aufschrift „LEVI'S“ zeigt (Klagemarke 4): - der am 17. Dezember 1965 für Bekleidungsstücke eingetragenen deutschen Wort-/Bildmarke Nr. 813 729, die aus einem an ein Stück Stoff angenähten „Tab“ ebenfalls mit der Aufschrift „LEVI'S“ besteht (Klagemarke 5): - der mit Priorität vom 5. Juli 2001 am 10. Februar 2005 für Hosen eingetragenen farbigen (rot, blau) Gemeinschaftsbildmarke Nr. 2 292 373, die nach der Beschreibung im Register eine Positionsmarke ist und aus einem roten rechteckigen Label aus textilem Material besteht, das oben links in die Gesäßtasche von Hosen, Shorts oder Röcken eingenäht ist und aus der Naht hervorsteht. Die Eintragung enthält den Disclaimer, dass kein Ausschließlichkeitsanspruch auf Form und Farbe der Tasche per se erhoben wird (Klagemarke 6): - der am 16. März 2005 mit Priorität vom 1. April 1996 eingetragenen Gemeinschaftsbildmarke Nr. 65318. Diese wird im Register beschrieben als aus einem rechteckigen Etikett aus textilem Material bestehend, das abstehend oben in den linken Saum der Gesäßtasche von Hosen, Shorts oder Röcken eingenäht wird (Klagemarke 7): - der am 6. Februar 2008 (Priorität 5. Juli 2001) eingetragenen Gemeinschaftsbildmarke Nr. 2 287 613, bei der es sich nach der Registereintragung um eine Bildmarke (Positionsmarke) handelt, die aus einem rechteckigen Etikett aus textilem Material besteht, das abstehend oben in den linken Saum der Gesäßtasche von Hosen, Shorts oder Röcken eingenäht wird. Die Eintragung enthält den Disclaimer, dass auf die Form des Rechtecks als solches kein Ausschließlichkeitsanspruch erhoben wird (Klagemarke 8):
3
Die Beklagte betreibt einen Einzelhandel mit Oberbekleidung. Sie brachte seit November 2002 Jeans der Marken „COLLOSEUM“, „S. MALIK“ und „EURGIULIO“ auf den Markt. Diese sind in der im Klageantrag wiedergegebenen Aufmachung an der rechten Gesäßtasche mit roten, rechteckigen Stofffähnchen versehen, die an der rechten Außennaht im oberen Drittel der Tasche eingenäht sind und auf denen die jeweiligen Marken beziehungsweise die Bezeichnung „SM JEANS“ wiedergegeben sind.
4
Die Klägerin hat geltend gemacht, das rote Stofffähnchen werde vom inländischen Verkehr aufgrund langjähriger intensiver Benutzung als Hinweis auf die Herkunft der Jeans aus ihrem Hause verstanden. An dem als „Red Tab“ bezeichneten roten Stofffähnchen habe sie zudem markenrechtlichen Schutz als Benutzungsmarke (Klagemarke 9) erlangt. Bei den von der Beklagten vertriebenen Aufmachungen werde das rote Stofffähnchen markenmäßig benutzt und verletze ihre Markenrechte.
5
Die Klägerin hat - soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung - beantragt, 1. die Beklagte zu verurteilen, es zu unterlassen, Jeans-Hosen anzubieten , in den Verkehr zu bringen oder zu diesem Zweck zu besitzen, die gemäß folgenden Abbildungen mit einem roten, an der Außennaht der Gesäßtasche angebrachten rechteckigen Stofffähnchen versehen sind
a) es folgt die Abbildung einer blauen Jeans-Gesäßtasche mit rotem Stofffähnchen an der rechten Außennaht, auf dem Stofffähnchen steht „COLLOSEUM“:
b) es folgt die Abbildung einer blauen Jeans-Gesäßtasche mit rotem Stofffähnchen an der rechten Außennaht, auf dem Stofffähnchen steht „SM. JEANS“:
c) es folgt die Abbildung einer blaugrundig-längsgestreiften JeansGesäßtasche mit rotem Stofffähnchen an der rechten Außennaht, auf dem Stofffähnchen befindet sich die Aufschrift „EURGIULIO“: 2. der Beklagten für den Fall des Verstoßes gegen die in Ziffer 1 ausgesprochenen Verpflichtungen bestimmte Ordnungsmittel anzudrohen.
6
Die Beklagte hat geltend gemacht, die angegriffenen Ausführungsformen hätten nur dekorativen Charakter. Bei einer Vielzahl von Jeans-Modellen anderer Hersteller werde an der rechten Gesäßtasche ein rotes Stofffähnchen ange- bracht. Der Schutzumfang der als Positionsmarken eingetragenen Bildmarken der Klägerin sei eng bemessen. Die Beklagte hat die Einrede mangelnder Benutzung der Klagemarken erhoben.
7
Das Landgericht hat die Beklagte nach den Klageanträgen zu 1 und 2 verurteilt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat diese Entscheidung aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen (BGH, Urteil vom 5. November 2008 - I ZR 39/06, GRUR 2009, 766 = WRP 2009, 831 - Stofffähnchen I). Das Berufungsgericht hat die Berufung erneut zurückgewiesen.
8
Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.
9
II. Der Erfolg der Revision hängt von der Auslegung des Artikels 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) 40/1994 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. EG Nr. L 11 vom 14. Januar 1994, S. 1 - nachfolgend GMV) ab. Vor einer Entscheidung über das Rechtsmittel ist deshalb das Verfahren auszusetzen und gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 3 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen.
10
1. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Unterlassungsanspruch aufgrund der Klagemarken 2 und 3 nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5 MarkenG und aufgrund der Klagemarke 6 aus Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b GMV für gegeben erachtet. Zur Begründung hat es ausgeführt:
11
Zwischen der Klagemarke 6 und den angegriffenen Ausstattungen bestehe Verwechslungsgefahr. Die Marke habe aufgrund ihrer Benutzung Unter- scheidungskraft erlangt und sei nach Art. 7 Abs. 3 GMV eingetragen. Sie verfüge über gesteigerte, jedenfalls über durchschnittliche Kennzeichnungskraft. Dies folge aus dem von der Klägerin vorgelegten demoskopischen Gutachten aus dem Jahre 2009. Das Zeichen der Klägerin habe sich zu einem Herkunftssignal mit hohem Wiedererkennungswert entwickelt. Nach dem Gutachten verfüge die in Rede stehende Marke bei Jeansträgern und -käufern über einen Bekanntheitsgrad von 65,1%, einen Kennzeichnungsgrad von 40,3% und einen Zuordnungsgrad von 25,7%. Dies reiche für eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der Klagemarke 6 aus.
12
Die Beklagte verwende das Fähnchen in den drei Beanstandungsformen markenmäßig. Der Verkehr sehe in dem roten Fähnchen an der linken Seitennaht der Gesäßtasche an Textilien der Klägerin einen Herkunftshinweis. Entsprechendes gelte, wenn das rote Fähnchen an der oberen Seitennaht der Gesäßtasche rechts angebracht sei, wie dies bei den angegriffenen Aufmachungen der Fall sei.
13
Bei bestehender Warenidentität und gesteigerter Kennzeichnungskraft der Klagemarke sei im Hinblick auf die große Zeichenähnlichkeit zwischen der Klagemarke 6 und den angegriffenen Aufmachungen von Verwechslungsgefahr auszugehen. Der Unterschied zwischen den Kollisionszeichen bestehe nur in der unterschiedlichen Anbringung links oder rechts der Seitennaht. Würden die Jeans getragen, seien die Schriftzüge von dritten Personen nicht näher wahrnehmbar.
14
Die Klägerin habe die Klagemarke 6 rechtserhaltend im Sinne von Art. 15 Abs. 1 GMV benutzt. Die Positionsmarke werde zwar nur mit der Beschriftung „LEVI'S“ und damit in der Form der Klagemarke 3 rechtserhaltend benutzt. Dies stehe einer rechtserhaltenden Benutzung im Sinne von Art. 15 GMV aber nicht entgegen, weil die Klagemarke 6 infolge erworbener Unterscheidungskraft eingetragen sei und vom Publikum als unterscheidungskräftig angesehen werde.
15
Die Klage sei auch aus den deutschen Klagemarken 2 und 3 begründet. Deren Gesamteindruck werde durch das rote Fähnchen maßgeblich mitbestimmt. Aus den für die Klagemarke 6 geltenden Gründen bestehe auch zwischen den Klagemarken 2 und 3 einerseits und den angegriffenen Aufmachungen andererseits Verwechslungsgefahr im Sinne von § 14 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG.
16
2. Die Klägerin hat ihr Klagebegehren in erster Linie auf einen Unterlassungsanspruch aus der Gemeinschaftsbildmarke Nr. 2 292 373 (Klagemarke 6) und hilfsweise in der Reihenfolge der Nummerierung auf die weiteren Klagemarken 1 bis 5 und 7 bis 9 gestützt. Es ist deshalb zunächst abschließend über den Anspruch aus der Klagemarke 6 zu entscheiden. Nur wenn der Klägerin der gegen die Beklagte geltend gemachte Unterlassungsanspruch nach Art. 98 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b GMV aufgrund der Klagemarke 6 nicht zusteht, ist über das Verbot aufgrund der weiteren Marken der Klägerin zu befinden.
17
3. Der Senat möchte eine markenrechtliche Verwechslungsgefahr zwischen der Klagemarke 6 und den angegriffenen Aufmachungen bejahen (Art. 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b GMV). Für die Beurteilung des Streitfalls kommt es daher auf die Frage an, ob die Klagemarke 6 rechtserhaltend im Sinne von Art. 15 Abs. 1 GMV benutzt worden ist. Nach dieser Bestimmung unterliegt die Gemeinschaftsmarke den in dieser Verordnung vorgesehenen Sanktionen, wenn der Inhaber die Gemeinschaftsmarke für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, innerhalb von fünf Jahren, gerechnet von der Eintragung an, nicht ernsthaft in der Gemeinschaft benutzt hat, es sei denn, es liegen be- rechtigte Gründe für die Nichtbenutzung vor. Zu den Sanktionen zählt der Verfall der Gemeinschaftsmarke nach Art. 50 Abs. 1 Buchst. a GMV. Den Verfall der Gemeinschaftsmarke kann die Beklagte im vorliegenden Verfahren dem Unterlassungsanspruch der Klägerin entgegenhalten (Art. 92 Buchst. a i.V.m. Art. 95 Abs. 3 GMV). Die Vorschriften entsprechen Art. 15 Abs. 1 Satz 1, Art. 51 Abs. 1 Buchst. a, Art. 96 Buchst. a und Art. 99 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. EU Nr. L 78 vom 24. März 2009, S. 1), die an die Stelle der Verordnung (EG) 40/94 getreten ist. Im vorliegenden Rechtsstreit findet jedoch im Hinblick auf den für die Beurteilung des Sachverhalts maßgeblichen Zeitraum, der vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) 207/09 am 13. April 2009 liegt, die Verordnung (EG) 40/94 Anwendung (vgl. EuGH, Urteil vom 22. September 2011 - C-323/09, WRP 2011, 1550 Rn. 3 - Interflora/Marks & Spencer).
18
a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die Klagemarke am 10. Februar 2005 eingetragen worden. Die Marke ist daher verfallen, wenn sie nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 18. Februar 2010 rechtserhaltend im Sinne von Art. 15 Abs. 1 und 2 GMV benutzt worden ist.
19
Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Klägerin die Klagemarke 6 nur in der ebenfalls eingetragenen Form der deutschen Marke mit der Beschriftung „LEVI'S“ (Klagemarke 3) benutzt hat. Im Streitfall kommt es daher auf die Frage an, ob eine eingetragene Marke (Marke 1), die ein Bestandteil einer anderen Marke (Marke 2) ist und infolge der Benutzung der anderen Marke (Marke 2) Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 3 GMV erlangt hat, durch Verwendung der anderen Marke (Marke 2) rechtserhaltend benutzt werden kann (Vorlagefrage 1). Ob dies der Fall ist, kann nicht als geklärt angesehen werden.
20
b) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in der Entscheidung „Il Ponte Finanziaria/HABM (Bainbridge)“ angenommen, die Vorschriften über die rechtserhaltende Benutzung erlaubten es nicht, den einer Marke zukommenden Schutz mittels des Nachweises ihrer Benutzung auf eine andere eingetragene Marke, deren Benutzung nicht nachgewiesen ist, mit der Begründung auszuweiten , die letztgenannte Marke stelle nur eine leichte Abwandlung der erstgenannten Marke dar (Urteil vom 13. September 2007 - C-234/06, Slg. 2007, I-7333 = GRUR 2008, 343 Rn. 82-86). Der Senat hat hierzu dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung Fragen zu den Anforderungen an die rechtserhaltende Benutzung nach Art. 10 Abs. 1 und 2 Buchst. a der Richtlinie 89/104/EWG vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. EG Nr. L 40 vom 11. Februar 1989, S. 1) vorgelegt (BGH, Beschluss vom 17. August 2011 - I ZR 84/09 - PROTI). Von dem jenem Vorabentscheidungsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt unterscheidet sich der vorliegende Rechtsstreit dadurch, dass die Klagemarken 3 und 6 nicht nur in Bestandteilen voneinander abweichen, die die Unterscheidungskraft der Marken nicht beeinflussen. Die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 Buchst. a GMV liegen daher nicht vor.
21
c) Für eine rechtserhaltende Benutzung der Klagemarke 6 durch eine der Klagemarke 3 entsprechende Zeichenform könnte sprechen, dass eine Marke Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 89/104/EWG durch Benutzung als Bestandteil einer eingetragenen Marke erlangen kann, ohne dass die Marke, deren Eintragung beantragt ist, eigenständig benutzt worden ist (EuGH, Urteil vom 7. Juli 2005 - C-353/03, Slg. 2005, I-6135 = GRUR 2005, 763 Rn. 27 und 30 - Nestlé/Mars [HAVE A BREAK … HAVE A KIT KAT]). Zudem kann sich eine besondere Unterscheidungskraft einer Marke, die als Teil einer zusammengesetzten Marke anzusehen ist, aufgrund von Nachweisen für die Benutzung und Bekanntheit der zusammengesetzten Marke er- geben (EuGH, Urteil vom 17. Juli 2008 - C-488/06, Slg. 2008, I-5725 = GRUR Int. 2008, 830 Rn. 51 f. - Aire Limpio/ARBRE MAGIQUE). Im Streitfall kommt in Betracht, dass die Klagemarke 6 Unterscheidungskraft durch Benutzung in einer Form erlangt hat, die der Klagemarke 3 oder den Klagemarken 1 und 2 entspricht.
22
Vor diesem Hintergrund ist aus Sicht des Senats auch auf das beachtenswerte Interesse der Markeninhaberin an einem effektiven Rechtsschutz im Verletzungsverfahren abzustellen. Dieses wird beeinträchtigt, wenn die Markeninhaberin durch die Verwendung der Klagemarke 3 nicht auch die Klagemarke 6 rechtserhaltend benutzen kann. Hat der Markeninhaber, der eine aus mehreren Zeichenbestandteilen zusammengesetzte Marke verwendet, nur diese komplexe Marke eintragen lassen, läuft er wegen einer geringen oder fehlenden Zeichenähnlichkeit Gefahr, in einem Verletzungsverfahren zu unterliegen, wenn das Kollisionszeichen aus einem aus der komplexen Marke herausgelösten Zeichenbestandteil besteht und wenn dieser Zeichenbestandteil die komplexe Marke nicht prägt (vgl. BGH, Urteil vom 11. Juli 1975 - I ZR 77/74, GRUR 1976, 353, 354 - COLORBOY; Urteil vom 20. Januar 2011 - I ZR 31/09, GRUR 2011, 824 Rn. 24 = WRP 2011, 1157 - Kappa). Verfügt der Markeninhaber dagegen über einen gesonderten markenrechtlichen Schutz eines Bestandteils eines komplexen Zeichens, sind die Zeichenähnlichkeit und die Verwechslungsgefahr größer, wenn dieser Bestandteil sich in identischer oder ähnlicher Form im Kollisionszeichen wiederfindet (vgl. EuG, Urteil vom 14. Dezember 2006 - T-103/03, GRUR Int. 2007, 520 Rn. 80, 92 und 96 - Mast-Jägermeister/ HABM).
23
Die Annahme, dass die Klagemarke 6 als Teil der Klagemarke 3 rechtserhaltend benutzt wird, steht auch mit Sinn und Zweck des Benutzungszwangs in Einklang. Dieser dient dazu, die Gesamtzahl der in der Gemeinschaft einge- tragenen und geschützten Marken und damit die Anzahl der zwischen ihnen möglichen Konflikte zu verringern (vgl. Erwägungsgrund 9 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken vom 22. Oktober 2008; vgl. auch Erwägungsgrund 9 GMV). Da die Klagemarke 6 nur als Teil der - tatsächlich verwendeten - Klagemarke 3 eingetragen ist, besteht nicht die Gefahr, dass durch die Annahme der rechtserhaltenden Benutzung in der vorliegenden Fallkonstellation und in vergleichbaren Fällen die Anzahl der eingetragenen Marken wesentlich erhöht und das Register mit ungenutzten Marken belastet wird.
24
d) Im vorliegenden Revisionsverfahren ist zudem davon auszugehen, dass die angesprochenen Verkehrskreise aufgrund der umfangreichen Verwendung des roten Fähnchens beim Vertrieb von Jeans-Hosen durch die Klägerin in diesem Gestaltungsmittel eine eigenständige von anderen Herkunftshinweisen unabhängige Kennzeichnungsfunktion sehen. Das kann die Annahme rechtfertigen, dass der Verkehr, der an das Vorhandensein von Zweitmarken gewöhnt ist, in dem der Klagemarke 6 entsprechenden roten Fähnchen und der Aufschrift „LEVI'S“ zwei Marken erblickt. In diesem Fall kommt in Betracht, dass durch die Verwendung des roten rechteckigen Stofffähnchens mit der Aufschrift „LEVI'S“ sowohl die Klagemarke 6 als auch eine Wortmarke „LEVI'S“ rechtserhaltend benutzt worden sind, obwohl beide Marken auch in ihrer zusammengesetzten Form als Klagemarke eingetragen sind (Klagemarke 3). Dem Senat stellt sich deshalb die Frage, ob eine Marke rechtserhaltend im Sinne von Art. 15 Abs. 1 GMV benutzt werden kann, wenn sie nur zusammen mit einer weiteren Marke verwendet wird, das Publikum in den zwei Marken selbständige Kennzeichen sieht und beide Marken zusammen zusätzlich als Marke eingetragen sind (Vorlagefrage 2).
25
Der Senat neigt dazu, in einer entsprechenden Fallkonstellation ebenfalls von einer rechtserhaltenden Benutzung auszugehen, weil der Markeninhaber auch an der Eintragung der Kombinationsmarke ein gewichtiges Interesse hat. Lässt der Markeninhaber nur die einzelnen Bestandteile eines zusammengesetzten Zeichens als Marke eintragen, trägt er das Risiko, dass die Zeichenähnlichkeit zwischen jeder der als Marke eingetragenen Zeichenbestandteile einerseits und einem zusammengesetzten Kollisionszeichen andererseits geringer ist, als die Zeichenähnlichkeit zwischen einer aus den einzelnen Zeichenbestandteilen zusammengesetzten Marke und dem Kollisionszeichen.
Bornkamm Pokrant Büscher
Koch Löffler
Vorinstanzen:
LG Hamburg, Entscheidung vom 22.06.2004 - 312 O 482/03 -
OLG Hamburg, Entscheidung vom 18.11.2010 - 3 U 130/04 -
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(1) Der Erwerb des Markenschutzes nach § 4 gewährt dem Inhaber der Marke ein ausschließliches Recht. (2) Dritten ist es untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen 1. ein mi
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(1) Der Erwerb des Markenschutzes nach § 4 gewährt dem Inhaber der Marke ein ausschließliches Recht. (2) Dritten ist es untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen 1. ein mi
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published on 17/08/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS I ZR 84/09 Verkündet am: 17. August 2011 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja P
published on 20/01/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DESVOLKES URTEIL I ZR 31/09 Verkündet am: 20. Januar 2011 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BG
published on 05/11/2008 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL I ZR 39/06 Verkündet am: 5. November 2008 Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ : nein BGH
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Annotations

(1) Der Erwerb des Markenschutzes nach § 4 gewährt dem Inhaber der Marke ein ausschließliches Recht.

(2) Dritten ist es untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr in Bezug auf Waren oder Dienstleistungen

1.
ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie Schutz genießt,
2.
ein Zeichen zu benutzen, wenn das Zeichen mit einer Marke identisch oder ihr ähnlich ist und für Waren oder Dienstleistungen benutzt wird, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, die von der Marke erfasst werden, und für das Publikum die Gefahr einer Verwechslung besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird, oder
3.
ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn es sich bei der Marke um eine im Inland bekannte Marke handelt und die Benutzung des Zeichens die Unterscheidungskraft oder die Wertschätzung der bekannten Marke ohne rechtfertigenden Grund in unlauterer Weise ausnutzt oder beeinträchtigt.
Waren und Dienstleistungen werden nicht schon deswegen als ähnlich angesehen, weil sie in derselben Klasse gemäß dem in der Nizza-Klassifikation festgelegten Klassifikationssystem erscheinen. Waren und Dienstleistungen werden nicht schon deswegen als unähnlich angesehen, weil sie in verschiedenen Klassen der Nizza-Klassifikation erscheinen.

(3) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so ist es insbesondere untersagt,

1.
das Zeichen auf Waren oder ihrer Aufmachung oder Verpackung anzubringen,
2.
unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen,
3.
unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen,
4.
unter dem Zeichen Waren einzuführen oder auszuführen,
5.
das Zeichen als Handelsnamen oder geschäftliche Bezeichnung oder als Teil eines Handelsnamens oder einer geschäftlichen Bezeichnung zu benutzen,
6.
das Zeichen in Geschäftspapieren oder in der Werbung zu benutzen,
7.
das Zeichen in der vergleichenden Werbung in einer der Richtlinie 2006/114/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über irreführende und vergleichende Werbung (ABl. L 376 vom 27.12.2006, S. 21) zuwiderlaufenden Weise zu benutzen.

(4) Dritten ist es ferner untersagt, ohne Zustimmung des Inhabers der Marke im geschäftlichen Verkehr

1.
ein mit der Marke identisches Zeichen oder ein ähnliches Zeichen auf Aufmachungen oder Verpackungen oder auf Kennzeichnungsmitteln wie Etiketten, Anhängern, Aufnähern oder dergleichen anzubringen,
2.
Aufmachungen, Verpackungen oder Kennzeichnungsmittel, die mit einem mit der Marke identischen Zeichen oder einem ähnlichen Zeichen versehen sind, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder
3.
Aufmachungen, Verpackungen oder Kennzeichnungsmittel, die mit einem mit der Marke identischen Zeichen oder einem ähnlichen Zeichen versehen sind, einzuführen oder auszuführen,
wenn die Gefahr besteht, daß die Aufmachungen oder Verpackungen zur Aufmachung oder Verpackung oder die Kennzeichnungsmittel zur Kennzeichnung von Waren oder Dienstleistungen benutzt werden, hinsichtlich deren Dritten die Benutzung des Zeichens nach den Absätzen 2 und 3 untersagt wäre.

(5) Wer ein Zeichen entgegen den Absätzen 2 bis 4 benutzt, kann von dem Inhaber der Marke bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden. Der Anspruch besteht auch dann, wenn eine Zuwiderhandlung erstmalig droht.

(6) Wer die Verletzungshandlung vorsätzlich oder fahrlässig begeht, ist dem Inhaber der Marke zum Ersatz des durch die Verletzungshandlung entstandenen Schadens verpflichtet. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann auch der Gewinn, den der Verletzer durch die Verletzung des Rechts erzielt hat, berücksichtigt werden. Der Schadensersatzanspruch kann auch auf der Grundlage des Betrages berechnet werden, den der Verletzer als angemessene Vergütung hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung der Marke eingeholt hätte.

(7) Wird die Verletzungshandlung in einem geschäftlichen Betrieb von einem Angestellten oder Beauftragten begangen, so kann der Unterlassungsanspruch und, soweit der Angestellte oder Beauftragte vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat, der Schadensersatzanspruch auch gegen den Inhaber des Betriebs geltend gemacht werden.