Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2007 - I ZB 5/06
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens: 32.806,73 €.
Gründe:
- 1
- I. Das Landgericht hat die Beklagte zu 1 (im Weiteren: Beklagte) mit Urteil vom 28. Juli 2005, zugestellt am 3. August 2005, verurteilt, an den Kläger 32.806,73 € nebst Zinsen zu zahlen. Die Beklagte hat gegen diese Entscheidung am 1. September 2005 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 29. September 2005 hat sie beantragt, "die am 4.10.2005 ablaufende Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat, d.h. bis zum 7.11.2005, zu verlängern". Der Vorsitzende des Berufungssenats hat die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung mit Verfügung vom selben Tag "um einen Monat nach Ablauf der Frist gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO" verlängert.
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- Die Beklagte hat daraufhin beantragt, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs hat sie vorgetragen, die Fristversäumung beruhe auf einem Irrtum der Rechtsanwaltsfachangestellten H. ihres Prozessbevollmächtigten. Frau H. habe sich am 30. September 2005 telefonisch bei der Geschäftsstelle des Berufungssenats erkundigt, ob die Frist antragsgemäß verlängert worden sei. Nachdem ihr dies bestätigt worden sei, habe Frau H. auf dem Verlängerungsantrag in der Handakte des Prozessbevollmächtigten notiert: "… Frist antragsgemäß verlängert …". Nach Eingang der schriftlichen Verlängerungsverfügung des Senatsvorsitzenden habe Frau H. irrtümlich das bereits auf den 7. November 2005 notierte Fristende nicht korrigiert , sondern durch einen entsprechenden Fristenvermerk auf der Verfügung nach Kontrolle des Fristeintrags bestätigt. Ihr Prozessbevollmächtigter habe sich die Akten im Hinblick auf die notierte Frist schon am 4. November 2005 (Freitag) zur Bearbeitung am Wochenende vorlegen lassen.
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- Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch der Beklagten zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten.
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- II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V. mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO), aber unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbil- dung des Rechts auf, noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Die Rechtsfragen, die der Streitfall aufwirft, sind höchstrichterlich geklärt.
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- 1. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückgewiesen , weil die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist auf einem der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe. Der Rechtsanwalt habe alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Frist zur Begründung eines eingelegten Rechtsmittels gewahrt werde. Dementsprechend müsse er den Fristablauf eigenverantwortlich überprüfen, wenn ihm die Akten zur Vorbereitung der befristeten Prozesshandlung vorgelegt würden. Die Handakten seien dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zum Zweck der Bearbeitung vorgelegt worden. Zwar begründe es regelmäßig kein Verschulden , wenn der Rechtsanwalt bei Vorlegung einer als Vorfristsache gekennzeichneten Akte sowohl die Bearbeitung als auch die gebotene Prüfung, ob das Fristende richtig ermittelt und festgehalten worden sei, nicht bereits am Tag der Vorlage, sondern erst am nächsten Tag vornehme. Die Dauer der Vorfrist betrage bei Berufungsbegründungen jedoch grundsätzlich eine Woche, im Einzelfall könne allerdings auch eine kürzere Frist genügen. Es seien im vorliegenden Fall keine Umstände zu erkennen, die es hätten ausreichen lassen, dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten die Handakten erst drei Tage vor dem notierten Fristablauf vorzulegen.
- 6
- Unabhängig von einem hieraus abzuleitenden Versäumnis liege ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten jedenfalls auch deshalb vor, weil dieser den Irrtum seiner Angestellten über den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist selbst veranlasst habe. Der Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist sei widersprüchlich. Zum einen sei - dem Gesetz ent- sprechend - die Verlängerung um einen Monat beantragt worden. Das Ende der verlängerten Frist sei jedoch fälschlich mit dem 7. November 2005 angegeben worden. Die Verantwortung für die falsche Berechnung des Fristendes trage der Prozessbevollmächtigte, da dieser den Schriftsatz unterzeichnet und damit dessen gesamten Inhalt zu verantworten habe. Eine Verpflichtung des Gerichts, auf den Widerspruch in der Antragsschrift hinzuweisen, habe nicht bestanden. Der in der Antragsschrift enthaltene Fehler sei nicht offensichtlich, sondern nur bei Überprüfung des bezeichneten Datums anhand eines Kalenders erkennbar gewesen. Eine derart weitgehende gerichtliche Fürsorgepflicht bestehe nicht.
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- 2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Berufungsgericht der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung im Ergebnis zu Recht versagt, weil die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruht und dies der Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
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- a) Mit Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten bereits darin liegt, dass er den von der Rechtsanwaltsfachangestellten H. formulierten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist ohne Änderung unterschrieben hat. Denn dieser Antrag ist unklar gefasst. Begehrt wurde, die am 4. Oktober 2005 ablaufende Frist zur Begründung der Berufung um einen Monat zu verlängern. Danach fiel das Ende der verlängerten Berufungsbegründungsfrist auf Freitag, den 4. November 2005, und nicht, wie es in dem Antrag heißt, auf Montag, den 7. November 2005. Das hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten vor Unterzeichnung des Verlängerungsantrags bemerken und die Unklarheit beseitigen müssen. Denn er hat den Inhalt des von ihm unterzeichneten Schriftsatzes eigenständig zu verantworten.
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- b) Das dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten anzulastende Verschulden bei der Unterzeichnung des Verlängerungsantrags hätte sich allerdings dann nicht auf die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist ausgewirkt, wenn die aufgrund der mündlichen Auskunft der Geschäftsstelle des Berufungssenats eingetragene Frist nach Eingang der schriftlichen gerichtlichen Verlängerungsverfügung auf ihre Richtigkeit hin überprüft worden wäre. Eine solche Überprüfung ist erforderlich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass es bei telefonisch erteilten Auskünften aufgrund von Missverständnissen oder Übermittlungsversehen zu fehlerhaften Eintragungen im Fristenkalender kommt. Ein Rechtsanwalt muss daher durch büroorganisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass die aufgrund einer mündlichen Mitteilung des Gerichts, die Rechtsmittelbegründungsfrist sei verlängert worden, vorgenommene Eintragung im Fristenbuch mit der später eingehenden schriftlichen gerichtlichen Nachricht verglichen und gegebenenfalls berichtigt wird. Dementsprechend ist es notwendig , das Kanzleipersonal anzuweisen, die schriftliche gerichtliche Mitteilung über die Fristverlängerung mit der im Fristenbuch vorgenommenen Eintragung zu vergleichen. Dem Anwalt, der es versäumt, eine entsprechende Anordnung zu erteilen, fällt ein Organisationsverschulden zur Last, das sich die von ihm vertretene Partei gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss (vgl. BGH, Beschl. v. 24.4.1997 - IX ZB 29/97, NJW 1997, 1860). Die Beklagte hat nicht dargelegt, dass im Büro ihres Prozessbevollmächtigten Vorkehrungen zur Vermeidung eines Fehlers, wie er hier aufgetreten ist, erfolgt waren.
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- III. Die Rechtsbeschwerde ist danach mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Bergmann Schaffert
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 28.07.2005 - 22 O 729/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 13.12.2005 - 24 U 129/05 -
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(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.
(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.
(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge); - 2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt; - 3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.
(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:
- 1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt; - 2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.
(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.
(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.
(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.
(3) (weggefallen)