Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Sept. 2007 - I ZB 108/05
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
- 1
- I. Die Klägerinnen nehmen die Beklagte unter anderem wegen Markenverletzung auf Unterlassung in Anspruch. Das Landgericht hat der Klage mit Urteil vom 14. Januar 2005 überwiegend stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zweimal, am 8. März 2005 und am 19. März 2005, zugestellt worden. Nachdem das Empfangsbekenntnis der ersten Zustellung zunächst nicht an das Landgericht zurückgelangt ist, hat die Geschäftsstelle am 16. März 2005 die erneute Zustellung des Urteils an den Beklagtenvertreter veranlasst. Mit Schriftsatz vom 17. März 2005 ist das Empfangsbekenntnis vom 8. März 2005 beim Landgericht eingegangen. Die Beklagte hat gegen das Urteil verspätet am 11. April 2005 Berufung eingelegt, die Berufungsbegründung ist ebenfalls verspätet beim Berufungsgericht eingegangen.
- 2
- Die Beklagte hat gegen die Versäumung der Berufungsfrist und der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dazu ausgeführt:
- 3
- Die aus unerfindlichen Gründen erfolgte zweite Zustellung des Urteils am 19. März 2005 habe dazu geführt, dass das Sekretariat ihres Prozessbevollmächtigten die bei der ersten Zustellung am 8. März 2005 richtig notierten Fristen gestrichen und dafür Fristen zur Berufungseinlegung bis zum 19. April 2005 und zur Berufungsbegründung bis zum 19. Mai 2005 notiert habe. Ihrem Prozessbevollmächtigten seien von seinem Sekretariat nur die neuen, späteren Fristen mitgeteilt worden. Bei der Prüfung der Fristen sei er davon ausgegangen , dass sie eingehalten worden seien. Die ursprünglichen Fristen habe er nicht erkennen können, weil sie gestrichen worden seien.
- 4
- Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Beklagten, mit der sie die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses begehrt und ihren Wiedereinsetzungsantrag weiterverfolgt.
- 5
- II. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO i.V. mit § 238 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO), aber unzulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 Abs. 2 Nr. 2, Altern. 2 ZPO) ist nicht geboten. Die angefochtene Entscheidung, die der Beklagten die beantragte Wiedereinsetzung wegen eines ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Organisationsverschuldens ihres Prozessbevollmächtigten versagt hat, steht in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach ein Rechtsanwalt auch bei solchen Fristen, die er nicht selbst zu berechnen hat, verpflichtet bleibt, durch allgemeine Anweisungen sicherzustellen, dass sein Büropersonal nicht eigenmächtig im Fristenkalender eingetragene Fristen ändert oder löscht. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine außergewöhnliche Verfahrensgestaltung wie eine abermalige Zustellung des Urteils Anlass zur Prüfung gibt, ob die bereits eingetragenen Fristen maßgeblich bleiben oder nicht (BGH, Beschl. v. 17.4.1991 – XII ZB 40/91, VersR 1991, 1309, 1310; Beschl. v. 8.2.1996 – IX ZB 95/95, NJW 1996, 1349, 1350; Beschl. v. 8.3.2004 – II ZB 21/03, FamRZ 2004, 865, 866 m.w.N.). Den von der Rechtsbeschwerde zitierten Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 7. Oktober 1986 (VI ZB 8/86, VersR 1987, 258) und vom 26. Oktober 1994 (IV ZB 12/94, VersR 1995, 680) lagen andere, mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbare Fallgestaltungen zugrunde. Dort hatte – anders als im Streitfall – jeweils das Gericht einen Vertrauenstatbestand geschaffen.
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- Gegen diese Sorgfaltspflicht hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten verstoßen. Nach seiner Darstellung hat sein Sekretariat die zunächst richtig notierten Fristen wegen der erneuten Zustellung des Urteils eigenmächtig gelöscht und durch neue Fristen ersetzt. Dass sein Personal dadurch gegen eine in der Kanzlei bestehende organisatorische Anweisung verstoßen hätte, wonach in derartigen Fällen vor der Änderung der Frist mit dem Rechtsanwalt Rücksprache zu nehmen ist, ergibt sich aus der Darstellung nicht. Das Fehlen einer solchen allgemeinen Anweisung begründet das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten.
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- Das Berufungsgericht hat in seiner Entscheidung zutreffend auf die vorstehenden Erwägungen abgestellt. Ohne Erfolg rügt die Rechtsbeschwerde eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Das Berufungsgericht hat die Sorgfaltspflichtverletzung des Prozessbevollmächtigten nicht darin gesehen, dass er bei der Vorlage der Handakte die zu diesem Zeitpunkt bereits gestrichenen Fristen nicht kontrolliert hat. Tragender Grund der Entscheidung des Berufungsgerichts ist vielmehr, dass der Prozessbevollmächtigte keine allgemeinen organisatorischen Vorkehrungen dagegen getroffen hat, dass in Zweifelsfragen wie bei der mehrfachen Zustellung eines Urteils die Fristen überhaupt ohne seine Kontrolle geändert werden konnten.
Büscher Schaffert
Vorinstanzen:
LG Mannheim, Entscheidung vom 14.01.2005 - 7 O 280/04 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 25.07.2005 - 6 U 47/05 -
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(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.
(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.