Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Apr. 2007 - 5 StR 541/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht Berlin hat den Angeklagten am 19. März 2004 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom 6. Oktober 2004 – in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. Oktober 2004 – den Schuldspruch bestätigt, den Strafausspruch jedoch mit den Feststellungen aufgehoben , da die Höhe der innerhalb des Regelstrafrahmens verhängten Freiheitsstrafe besorgen ließ, dass die Strafkammer der krankheitsbedingt massiv erhöhten Strafempfindlichkeit des Angeklagten ein zu geringes Gewicht beigemessen hat. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Sachrüge, die zur abermaligen Aufhebung des Strafausspruchs führt.
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- 1. Die Strafzumessung des Landgerichts begegnet im Blick auf die nicht ausreichende Berücksichtigung einer Verletzung der Rechte des Angeklagten aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK durchgreifenden Bedenken.
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- Hierzu ist festgestellt, dass nach der ersten teilaufhebenden Senatsentscheidung eine Ende Januar 2005 begonnene erste Hauptverhandlung vor der nunmehr zuständigen Strafkammer am 10. Februar 2005 ausgesetzt wurde, um ein medizinisches und ein psychiatrisches Gutachten einzuholen. Das vorbereitende Gutachten ging fast ein Jahr lang beim Landgericht nicht ein. Die Vorsitzende ergriff außer Nachfragen beim Sachverständigen keine Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung. Die am 30. Januar 2006 begonnene neue Hauptverhandlung wurde nach 17 Verhandlungstagen am 31. Juli 2006 erneut ausgesetzt, da der Angeklagte an diesem Tag verhandlungsunfähig war und die Vorsitzende mit Ablauf dieses Tages in den Ruhestand trat.
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- 2. Weder die Würdigung dieses Ablaufs als „überlange Verfahrensdauer“ und „vermeidbare Verfahrensverzögerung“ von sechs Monaten durch die „sanktionslos hingenommene Verschleppung“ der Gutachtenerstattung (UA S. 14) noch die strafmildernde Berücksichtigung dieser Umstände durch das Landgericht hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Diesen Mangel kann das Revisionsgericht auf die Sachrüge hin berücksichtigen, denn bereits aus den Urteilsgründen ergeben sich deutlichste Anhaltspunkte für eine vom Angeklagten nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung (vgl. BGHSt 49, 342).
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- Zwar geht auch das Landgericht für einen Zeitraum von sechs Monaten , nämlich von August 2005 bis Januar 2006, von einer nicht vom Angeklagten zu vertretenden Verfahrensverzögerung aus, es lässt jedoch die gebotene Erörterung vermissen, ob nicht eine weit längere, der Justiz zuzurechnende Verfahrensverzögerung vorliegt. Hierzu hätte dringender Anlass bestanden, da der Schuldspruch gegen den Angeklagten bereits in Rechtskraft erwachsen war und dennoch eine so lange Zeitspanne benötigt wurde, um die Strafe neu festzusetzen, wobei allein zwischen der Aussetzung der ersten und dem Beginn der zweiten, ebenfalls ausgesetzten Hauptverhand- lung im zweiten Rechtsgang fast ein Jahr verstrich und es anschließend weiterer acht Monate bis zum Erlass eines Urteils bedurfte.
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- Zudem genügt die diesen Umständen vom Landgericht zugemessene allgemeine strafmildernde Wirkung den Anforderungen an die Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung nicht. Hierzu bedarf es nach der ausdrücklichen Feststellung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK einer genauen Bezeichnung des Ausmaßes der Berücksichtigung dieses Umstands (BVerfG – Kammer StV 1993, 352; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 7; vgl. auch EGMR EuGRZ 1983, 371). Grundsätzlich ist die vorgenommene Herabsetzung der Strafe durch Vergleich mit der ohne Berücksichtigung der Verletzung des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK angemessenen Strafe zu bestimmen, der Umfang der Kompensation muss zu überprüfen sein (vgl. BVerfG – Kammer NStZ 1997, 591; BGHR § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 11).
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- 3. Der Strafausspruch, mithin das gesamte Urteil im zweiten Rechtsgang ist deshalb aufzuheben. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass die Hauptverhandlung nicht der medizinischen Aufbereitung des bisherigen Krankheits- und Behandlungsverlaufs zahlreicher Gebrechen des Angeklagten dient. Ein beträchtlicher Strafabschlag ist allein infolge der krankheits- und behandlungsbedingten besonderen Beeinträchtigungen für den Angeklagten während der ungewöhnlich langen Untersuchungshaft geboten (§ 358 Abs. 1 StPO). Darüber hinaus wird den Belastun- gen durch die schwere Erkrankung des Angeklagten auch während der Dauer der möglicherweise nicht von ihm zu vertretenden Verfahrensverzögerung bei der Bemessung der Kompensation angemessen Rechnung zu tragen sein.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.