Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Dez. 2009 - 5 StR 449/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
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- Das Landgericht hat den Angeklagten – unter Freispruch im Übrigen – wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge im Umfang der Beschlussformel Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- Das Urteil kann – mit Ausnahme der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – keinen Bestand haben. Die Jugendschutzkammer hat sich nicht mit der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten auseinandergesetzt, obwohl hierzu Veranlassung bestanden hätte.
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- Nach den Feststellungen leidet der im Tatzeitraum 46 Jahre alte, nicht einschlägig vorbestrafte Angeklagte seit seiner Jugend an Epilepsie. Eine Lehre zum Facharbeiter für chemische Produktion musste er in jungen Jahren abbrechen, da sich seine epileptischen Anfälle verschlimmerten. Im Übrigen wird die Epilepsie des Angeklagten hinsichtlich Art und Verlauf des Anfallsleidens , seiner Therapie und Art und Schwere eventueller Gesundheitsstörungen zur Tatzeit in dem angefochtenen Urteil nicht beschrieben. Dies wäre jedoch hier notwendig (vgl. OLG Köln VRS 68, 350, 352). Denn festgestellt wird, dass es während der Untersuchungshaft zu einem längeren Krankenhausaufenthalt kam, „da der unter Epilepsie leidende Angeklagte … eine Lungenembolie erlitt. Darüber hinaus baute er körperlich stark ab“ (UA S. 4). Auf die Strafkammer machte er einen „ungewöhnlich gebrechlichen Eindruck“ (UA S. 19). Bis zur Tat führte der Angeklagte, der bereits vor vielen Jahren aus dem Erwerbsleben ausgeschieden war, ein sozial eingeordnetes Leben innerhalb seiner Familie. Erst im vorgerückten Alter war er erstmals wegen Diebstahls straffällig geworden und ist in der Folgezeit mehrfach wegen Diebstahls geringwertiger Sachen, zuletzt im Jahr 2007 zu einer zur Bewährung ausgesetzten kurzen Freiheitsstrafe, verurteilt worden.
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- Unter diesen Umständen bestehen für die Möglichkeit einer schon im Tatzeitraum vorhandenen erheblichen durch Epilepsie hervorgerufenen Wesensveränderung konkrete Anhaltspunkte (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 1996 – 4 StR 753/95 – und Beschluss vom 9. April 2002 – 5 StR 110/02; vgl. aber auch BGH, Beschluss vom 5. Mai 1999 – 3 StR 67/99). Deshalb hätte sich die Strafkammer mit den Voraussetzungen des § 21 StGB auseinandersetzen müssen. Auch angesichts des Charakters der Taten – Manipulieren am Geschlechtsteil des zwölf Jahre alten Geschädigten, sodann Onanieren bis zum Samenerguss – liegt die Möglichkeit eines schon im Tatzeitraum vorhandenen zerebralen Abbaus nicht fern.
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- Das Urteil war im Schuldspruch aufzuheben, obgleich sich nach den bisherigen Feststellungen die Annahme der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) des Angeklagten nicht aufdrängt. Denn es kann nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die zu § 21 StGB – naheliegend unter Zuziehung eines Sachverständigen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 2 Sachverständiger 10) – neu zu treffenden Feststellungen hier sogar zu einer anderen Beurteilung der Voraussetzungen des § 20 StGB führen könnten.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
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eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.