Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Juli 2006 - 5 StR 215/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
a) der Freispruch des Angeklagten und
b) die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen, insoweit wird die weitergehende Revision des Angeklagten nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
2. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der schweren Brandstiftung freigesprochen, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.
- 2
- Die Unterbringungsentscheidung entbehrt einer tragfähigen Begründung. Soweit der Angeklagte darüber hinaus das Urteil angreift, bleibt seine Revision aus den von der Bundesanwaltschaft in ihrer Zuschrift benannten Gründen erfolglos.
- 3
- 1. Die Anordnung der Unterbringung kann keinen Bestand haben , weil die Voraussetzungen des § 20 oder § 21 StGB nicht, wie für die Maßregel nach § 63 StGB erforderlich (vgl. BGHSt 34, 22, 26 f.), zweifelsfrei festgestellt sind. Entsprechend dem Antrag der Bundesanwaltschaft ist deshalb der Maßregelausspruch aufzuheben.
- 4
- Zu dem Freispruch des Angeklagten und zur Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus hat sich die Strafkammer veranlasst gesehen, weil die „Unrechtseinsichtsfähigkeit“ des Angeklagten bei Tatbegehung jedenfalls erheblich vermindert und nicht ausschließbar sogar aufgehoben gewesen sei. Mit dieser Wertung folgt sie den Gutachten des psychiatrischen und des psychologischen Sachverständigen. Während der Psychiater eine Schizophrenia simplex (ICD 10: F 20.6) bei fortschreitender hirnorganischer Beeinträchtigung mit der Möglichkeit einer paranoiden Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.0) diagnostiziert hat, liegt nach Auffassung des Psychologen eine schwerwiegende Persönlichkeitsstörung mit paranoiden Verarbeitungsweisen und manisch-schicksalshaft verzerrenden Denkgewohnheiten nahe.
- 5
- Danach ist nicht festgestellt, dass die Unrechtseinsichtsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat sicher aufgehoben war. Dass diese Fähigkeit – wie sich den Urteilsgründen entnehmen lässt – jedenfalls erheblich vermindert war, genügt für die Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB nicht, weil damit die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht sicher festgestellt sind. Diese Vorschrift ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht anwendbar, wenn der Täter trotz erheblicher Verminderung der Einsichtsfähigkeit das Unerlaubte seiner Tat erkennt (BGHSt 21, 27; 34, 22, 25). Für § 21 StGB ist in den Fällen verminderter Einsichtsfähigkeit nur Raum, wenn die Einsicht gefehlt hat und dem Täter dies vorzuwerfen ist (vgl. BGH NStZ 1985, 309; BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 6; BGHR StGB § 63 Tat 4, jeweils m.w.N.). Solange die Verminderung der Einsichtsfähigkeit nicht das Fehlen der Einsicht ausgelöst und dadurch zu Straftaten geführt hat, ist auch die Sicherung der Allgemeinheit durch Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht veranlasst (BGHSt 34, 22, 26 f.). Dass bei etwa noch vorhandener Unrechtseinsicht jedenfalls eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten vorgelegen hat, versteht sich nach den Urteilsgründen, die sich hierzu nicht verhalten, nicht etwa von selbst.
- 6
- 2. Auch die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig belegt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beschwert die hiervon Betroffenen außerordentlich. Sie darf deshalb nur angeordnet werden , wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind (BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Es muss wahrscheinlich sein, dass der Rechtsfrieden durch neue Taten schwer gestört wird (BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 8, 11, 15, 19). Bei seinen Erwägungen zur Gefährlichkeitsprognose hat das Landgericht nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte außer wegen einer körperlichen Auseinandersetzung mit seinem Nachbarn – dieser gab als Zeuge zudem zu, dass der Angeklagte womöglich im Recht gewesen und man gegenseitig tätlich geworden sei – bislang nicht durch rechtswidrige Taten zum Nachteil anderer aufgefallen ist und dass es sich bei der Brandstiftung um eine Tat aus einer außergewöhnlichen und einmaligen Konfliktsituation heraus gehandelt hat (Enterbung und drohende Räumung des von ihm seit 28 Jahren bewohnten Hauses).
- 7
- Hinsichtlich der vom Angeklagten begangenen rechtswidrigen Tat belegen die Feststellungen zudem nur, dass der Tatbestand des § 306 Nr. 1 StGB erfüllt ist. Denn dass die Inbrandsetzung der vom Angeklagten alleine bewohnten Doppelhaushälfte nach der Entwidmung durch den einzigen Bewohner die vom Landgericht angenommenen Voraussetzungen des § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllt, erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht; es ist weder belegt, dass die Doppelhaushälfte mit derjenigen der Nachbarn ein einheitlich zusammenhängendes Gebäude bildete (vgl. BGHR StGB § 306a Abs. 1 Nr. 1 Wohnung 2), noch, dass der Nachbarteil schon für sich in Brand gesetzt war (vgl. UA S. 9). Diese Änderung der rechtlichen Bewertung der Anlasstat gibt zwar für sich gesehen noch keinen Anlass zur Aufhebung der Unterbringungsanordnung (vgl. BGHR StGB § 63 Tat 6), ist aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose zu berücksichtigen.
- 8
- 3. Der neue Tatrichter wird – möglichst unter Hinzuziehung eines anderen, geriatrisch erfahrenen Sachverständigen (vgl. zu Mindeststandards der Schuldfähigkeitsbegutachtung Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß NStZ 2005, 57) – auf der Grundlage der bisherigen, rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tathergang einschließlich der Vor- und Nachgeschichte des Angeklagten zu prüfen haben, ob die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten im Tatzeitpunkt sicher ausgeschlossen oder zumindest seine Steuerungsfähigkeit sicher erheblich eingeschränkt war und ob die weiteren Voraussetzungen des § 63 StGB, insbesondere die Gefährlichkeit des Angeklagten für die Allgemeinheit, vorliegen. In diesem Fall wird wiederum die – für sich nicht beanstandenswerte – Aussetzung der Maßregel zur Bewährung zu erwägen sein. Neben den neu zu treffenden Feststellungen zur psychischen Verfassung des Angeklagten bei der Tatbegehung kann der neue Tatrichter allenfalls solche zusätzliche Feststellungen treffen, die den nunmehr rechtskräftigen Feststellungen zum Tatgeschehen nicht widersprechen.
- 9
- Sollte sich in der neuen Verhandlung herausstellen, dass die Voraussetzungen des § 63 StGB bei dem Angeklagten nicht vorliegen, hätte die gebotene Aufhebung des Urteils zur Folge, dass seine Tat wegen des Verbots der Schlechterstellung (§ 358 Abs. 2 StPO) ohne strafrechtliche Sanktion bleiben müsste. Im Hinblick auf diese Konsequenz kann für die Staatsanwaltschaften in vergleichbaren Verfahrenskonstellationen regelmäßig Anlass bestehen, ihrerseits die Einlegung eines Rechtsmittels (zu Un- gunsten des Untergebrachten) in Erwägung zu ziehen (vgl. BGH, Beschl. vom 24. Juli 2001 – 4 StR 268/01).
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Wer fremde
- 1.
Gebäude oder Hütten, - 2.
Betriebsstätten oder technische Einrichtungen, namentlich Maschinen, - 3.
Warenlager oder -vorräte, - 4.
Kraftfahrzeuge, Schienen-, Luft- oder Wasserfahrzeuge, - 5.
Wälder, Heiden oder Moore oder - 6.
land-, ernährungs- oder forstwirtschaftliche Anlagen oder Erzeugnisse
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
ein Gebäude, ein Schiff, eine Hütte oder eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient, - 2.
eine Kirche oder ein anderes der Religionsausübung dienendes Gebäude oder - 3.
eine Räumlichkeit, die zeitweise dem Aufenthalt von Menschen dient, zu einer Zeit, in der Menschen sich dort aufzuhalten pflegen,
(2) Ebenso wird bestraft, wer eine in § 306 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 bezeichnete Sache in Brand setzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört und dadurch einen anderen Menschen in die Gefahr einer Gesundheitsschädigung bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.