Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Feb. 2005 - 4 StR 9/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig. Das Rechtsmittel hat jedoch mit der Sachrüge Erfolg.
Die Verurteilung wegen sexueller Nötigung in der Tatvariante des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Nach den Feststellungen befand sich die zur Tatzeit 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen Rückenbeschwerden in Behandlung bei dem Angeklagten , der als Physiotherapeut in einer Krankengymnastikpraxis tätig war. Anläß-
lich eines Behandlungstermins im Dezember 2003 führte der Angeklagte eine - therapeutisch an sich vertretbare - Brustmassage bei der Nebenklägerin durch. Diese Gelegenheit nutzte er aus, sexuell motiviert die Brüste der mit entblößtem Oberkörper "wehrlos" vor ihm liegenden Nebenklägerin über mehrere Minuten mit beiden Händen zu streicheln und zu kneten und dabei auch gezielt die Brustwarzen zu berühren. Die Nebenklägerin wollte dies nicht, war jedoch "dem für sie überraschenden Übergriff des Angeklagten hilflos ausgeliefert. Sie war psychisch nicht zu einer Gegenwehr in der Lage ..., sondern ließ diese Handlungen geschockt und in starrer Haltung einige Minuten über sich ergehen , ohne sich wehren zu können" (UA 5). Nachdem die Nebenklägerin die Frage des Angeklagten, ob er ihre Brüste küssen dürfe, verneint hatte, ließ dieser von ihr ab.
2. Diese Feststellungen belegen nicht die Annahme des Landgerichts, daß der Angeklagte die Geschädigte unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert war, zur Duldung der sexuellen Übergriffe genötigt hat.
a) Eine schutzlose Lage liegt vor, wenn die Schutz- und Verteidigungsmöglichkeiten des Opfers in einem solchen Maße verringert sind, daß es dem ungehemmten Einfluß des Täters preisgegeben ist; dies ist regelmäßig der Fall, wenn das Opfer sich dem überlegenen Täter allein gegenüber sieht und auf fremde Helfer nicht rechnen kann, wobei es allerdings eines gänzlichen Beseitigens jeglicher Verteidigungsmöglichkeiten nicht bedarf (st. Rspr.; BGHSt 44, 228, 231 f.; 45, 253, 256; BGH NStZ-RR 2003, 42, 44; BGHR StGB § 177 Abs. 1 schutzlose Lage 7). Dabei beruht die schutzlose Lage regelmäßig
auf äußeren Umständen, etwa der Einsamkeit des Tatorts oder dem Fehlen von Fluchtmöglichkeiten (vgl. BGH NStZ 2003, 533, 534).
Eine auf äußeren Umständen beruhende schutzlose Lage ergibt sich hier nicht allein daraus, daß der Angeklagte als Therapeut eine Behandlungssituation zu dem sexuellen Übergriff mißbraucht hat. Vielmehr müssen auch in einem solchen Fall regelmäßig weitere Umstände hinzutreten, die das Tatopfer daran hindern, sich dieser Situation durch Flucht zu entziehen (vgl. BGHR § 177 Abs. 1 schutzlose Lage 5 und 7). Solche besonderen, eine schutzlose Lage begründenden Umstände aufgrund der Tatörtlichkeit und der Tatsituation hat das Landgericht nicht festgestellt. Es ist vielmehr selbst davon ausgegangen , daß es der Nebenklägerin "physisch möglich" gewesen wäre, die unverschlossenen Praxisräumlichkeiten zu verlassen (UA 11).
Soweit die Strafkammer zur Begründung der schutzlosen Lage darauf abstellt, die Nebenklägerin habe die Übergriffe über sich ergehen lassen, weil sie "vor Schreck und Überraschung wie gelähmt" (UA 11) gewesen sei, geht sie im Ansatz zwar zu Recht davon aus, daß sich eine schutzlose Lage des Opfers auch aus in seiner Person liegenden Umständen ergeben kann. Sie verkennt jedoch, daß in einem solchen Fall an die Feststellung der schutzlosen Lage erhöhte Anforderungen zu stellen sind. Erforderlich ist, daß das Opfer Widerstandshandlungen gegenüber dem Täter unterläßt, weil es anderenfalls zumindest Körperverletzungshandlungen durch den Täter befürchtet (BGH NStZ 2003, 533, 534). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht. Der festgestellte psychische Ausnahmezustand der Nebenklägerin infolge des überraschenden Übergriffs wird - jedenfalls für sich genommen - diesen Anforderungen nicht gerecht. Zwar hat die Nebenklägerin angegeben, auch "verängstigt" und des-
halb sprach- und wehrlos gewesen zu sein (UA 8). Die Urteilsgründe lassen jedoch nicht erkennen, aus welchen Gründen die Nebenklägerin Angst vor dem Angeklagten verspürte, insbesondere ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen sie im Falle ihres Widerstands gegen die Übergriffe mit Gewalthandlungen des Angeklagten rechnete.
b) Darüber hinaus ist durch die bisher getroffenen Feststellungen auch die subjektive Tatseite für eine Verurteilung nach § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht hinreichend belegt. Dem Urteil ist weder zu entnehmen, warum der Angeklagte vom Vorliegen einer durch äußere Umstände geprägten schutzlosen Lage der Nebenklägerin ausgegangen ist, noch daß er sich diese zunutzte gemacht hat. Auch ist nicht belegt, daß es dem Angeklagten bewußt war, daß sich die Nebenklägerin ihm aus Angst nicht widersetzte.
3. Die bisherigen Feststellungen ergeben auch nicht, daß die Nebenklägerin während des dem Angeklagten angelasteten Geschehens im Sinne des § 179 Abs. 1 Nr. 1 StGB widerstandsunfähig war und der Angeklagte dies bemerkt und gebilligt hat. Zwar kommt § 179 StGB als Auffangtatbestand in Bezug auf § 177 Abs. 1 StGB dann in Betracht, wenn das Opfer keinen der Tat entgegenstehenden Willen bilden konnte (BGHSt 45, 253, 260). Widerstandsunfähig im Sinne dieser Vorschrift ist, wer aus den dort genannten Gründen keinen zur Abwehr ausreichenden Willen bilden kann, wobei es genügt, daß das Opfer nur vorübergehend widerstandsunfähig ist (BGHSt 36, 145, 147). Als Ursache einer solchen Unfähigkeit kann auch eine geistig-seelische Beeinträchtigung im Sinne der §§ 20, 21 StGB in Betracht kommen, die sich etwa aus einem Zusammentreffen einer besonderen Persönlichkeitsstruktur des Opfers und seiner Beeinträchtigung durch die Tatsituation infolge Überraschung,
Schreck oder Schock ergeben (BGHSt aaO). Zwar war nach den Feststellungen die Nebenklägerin "psychisch" nicht zu einer Gegenwehr gegen die Übergriffe des Angeklagten in der Lage und ließ diese "geschockt und in starrer Haltung" und "wie gelähmt" über sich ergehen. An einer Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin bestehen indes in objektiver Hinsicht bereits deshalb Bedenken, weil sie nach den Feststellungen auf Fragen des Angeklagten noch während des Tatgeschehens, aber auch unmittelbar nach Beendigung der Übergriffe situationsangemessen reagierte und ihren dem Vorgehen des Angeklagten entgegenstehenden Willen zum Ausdruck brachte. Jedenfalls ist aus diesen Gründen bislang nicht belegt, daß der Angeklagte mit der Unfähigkeit der Nebenklägerin, sich ihm zu widersetzen, zumindest im Sinne des dolus eventualis gerechnet und deshalb zumindest die Widerstandsunfähigkeit der Nebenklägerin billigend in Kauf genommen hat.
4. Zwar erfüllt das festgestellte Tatgeschehen sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 174 c Abs. 1 StGB. Diese Vorschrift ist jedoch erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat durch das am 1. April 2004 in Kraft getretene Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung vom 27. Dezember 2003 um die hier in Betracht kommende Tatbestandsalternative (wegen einer "körperlichen Erkrankung" anvertraut) erweitert worden.
5. Dennoch ist nicht auszuschließen, daß die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer Feststellungen trifft, die eine Verurteilung tragen können. Die Sache muß daher neu verhandelt und entschieden werden.
VRi'inBGH Dr. Tepperwien Kuckein Solin-Stojanovi? ist wegen Krankheit gehindert zu unterschreiben. Kuckein
Ernemann Sost-Scheible
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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.