Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Jan. 2011 - 4 StR 650/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt und ausgesprochen, dass „als Härteausgleich für eine nicht mehr mögliche Gesamtstrafenbildung … von der Mindestverbüßungsdauer im Sinne von § 57a Abs. 1 Nr. 1 StGB acht Jahre Freiheitsstrafe als verbüßt“ gelten; außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
- 2
- Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg, soweit es sich gegen den Schuldspruch und den Strafausspruch richtet; im Übrigen bleibt die Entscheidung über die Revision des Angeklagten einer abschließenden Entscheidung des Senats vorbehalten.
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- 1. Die Revision des Angeklagten ist zum Schuld- und Strafausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 2. Nach Auffassung des Senats begegnet die Maßregelanordnung jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken; im Blick auf die Anfrage des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a.; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) stellt der Senat die Entscheidung insoweit zurück.
- 5
- a) Nach den Feststellungen wuchs der Angeklagte in der ehemaligen DDR auf. Nach der Wiedervereinigung bis zu seiner Inhaftierung am 23. November 1993 in anderer Sache hatte er seine Lebensgrundlage in dem Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt; dort - in dem Ort Bahnhof D. - - beging er in der Nacht zum 31. Oktober 1993 die Anlasstat.
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- b) Nach dem zur Zeit der Begehung der Tat geltenden Recht durfte die Maßregel der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten nicht angeordnet werden (Art. 1a EGStGB i.d.F. des Gesetzes vom 23. September 1990 zu dem Vertrag vom 31. August 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands - Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18. September 1990, BGBl 1990 II S. 885, 955). Daher steht Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK in seiner Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (vgl. zuletzt EGMR, Urteile vom 13. Januar 2011 – Beschwerde-Nr. 6587/04, 17792/07, 20008/07, 27360/04 und 42225/07) in Verbindung mit § 2 Abs. 6 StGB der rückwirkenden Anwendung der Vorschriften des Strafgesetzbuches über die Sicherungsverwahrung auf den Angeklagten entgegen; die Erwägungen des Senats in seinem Beschluss vom 12. Mai 2010 in der Sache 4 StR 577/09 (NStZ 2010, 567) gelten entsprechend (vgl. bereits BGH, Beschluss vom 12. Januar 2006 – 4 StR 485/05, NStZ 2006, 276, 277).
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- c) Auf die Anfrage des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 9. November 2010 (5 StR 394/10 u.a.; zum Abdruck in BGHSt bestimmt) hat der Senat mit Beschluss vom 18. Januar 2011 (4 ARs 27/10) an der seine Entscheidung vom 12. Mai 2010 (aaO) tragenden Rechtsauffassung festgehalten. Daher ist mit einer Vorlage der die Reichweite des konventionsrechtlichen Rückwirkungsverbots nach Art. 7 Abs. 1 Satz 2 MRK im Recht der Sicherungsverwahrung betreffenden Rechtsfrage an den Großen Senat für Strafsachen zu rechnen; wann eine die aufgezeigte Divergenz ausräumende Entscheidung ergehen wird, ist derzeit nicht absehbar.
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- d) Zwar wäre der Senat durch die Anfrage des 5. Strafsenats von Rechts wegen nicht gehindert, über die Anordnung der Sicherungsverwahrung in dieser Sache nach seiner den Beschluss vom 12. Mai 2010 (aaO) tragenden Rechtsansicht zu befinden (vgl. zu § 132 Abs. 2 GVG BGH, Beschluss vom 24. August 2000 - 1 StR 349/00, BGHR GVG § 132 Anfrageverfahren 1; Urteil vom 21. April 2004 - 1 StR 522/03). Er hält es aber für angezeigt, die Entscheidung über die im angefochtenen Urteil angeordnete Maßregel bis zu einer Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen zurückzustellen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 11. Februar 2010 – 4 StR 577/09) und derzeit nur über den bereits "entscheidungsreifen" Teil, nämlich den Schuld- und Strafausspruch des angefochtenen Urteils zu befinden. Eine solche „horizontale“, d.h. denselben Prozessge- genstand betreffende Teilentscheidung ist ausnahmsweise zulässig, wenn sich der Schuld- und Strafausspruch unabhängig von der Maßregelanordnung und diese sich unabhängig vom Schuldspruch und von der Strafzumessung beurteilen lässt (BGH, Urteil vom 6. Juli 2004 - 4 StR 85/03, BGHSt 49, 209). So verhält es sich hier. Das verfassungsrechtliche (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und in Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ausdrücklich normierte Gebot angemessener Beschleunigung des Strafverfahrens gebietet, über das Rechtsmittel des Angeklagten zum Schuld- und Strafausspruch vorab zu entscheiden, weil insoweit Entscheidungsreife besteht. Im Blick auf die wegen der Kompensationsentscheidung mit Rechtskraft eintretende erhebliche Teilerledigung der Mindestverbüßungsdauer im Sinne des § 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB gebieten zudem schwerwiegende Interessen des in Untersuchungshaft einsitzenden Angeklagten eine solche Teilentscheidung.
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- e) Der Senat wird eine Entscheidung über die Maßregelanordnung treffen , sobald das Anfrage- und Vorlageverfahren abgeschlossen ist.
Cierniak Bender
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind, - 2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und - 3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.
(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.
(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.
(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.
(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.
(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.
(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.
(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.
(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.
(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.
(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.
(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.
(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
fünfzehn Jahre der Strafe verbüßt sind, - 2.
nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet und - 3.
die Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 vorliegen.
(2) Als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 1 gilt jede Freiheitsentziehung, die der Verurteilte aus Anlaß der Tat erlitten hat.
(3) Die Dauer der Bewährungszeit beträgt fünf Jahre. § 56a Abs. 2 Satz 1 und die §§ 56b bis 56g, 57 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 5 Satz 2 gelten entsprechend.
(4) Das Gericht kann Fristen von höchstens zwei Jahren festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag des Verurteilten, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.