Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2009 - 4 StR 537/08

published on 15/01/2009 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Jan. 2009 - 4 StR 537/08
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 537/08
vom
15. Januar 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 15. Januar 2009 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stralsund vom 7. Juli 2008 aufgehoben, soweit eine Entscheidung über die Kompensation wegen einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht Stralsund hatte den Angeklagten durch Urteil vom 10. März 2006 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier weiteren Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf seine Revision hob der Senat dieses Urteil durch Beschluss vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06 (NStZ 2007, 352 = StV 2007, 22) wegen Vorliegens des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten sodann am 12. April 2007 erneut wegen aller sechs dem Angeklagten bereits im ersten Urteil zur Last gelegten Sexualstraftaten und verhängte dieselben Einzelstrafen und auch dieselbe Gesamtfreiheitsstrafe wie in dem ersten Urteil. Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten hatte wiederum mit einer Verfahrensbeschwerde Erfolg. Gerügt war die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250 StPO. Der Senat stellte durch Beschluss vom 29. Januar 2008 - 4 StR 449/07 (BGHSt 52, 148 = NJW 2008, 1010 = StV 2008, 170) das Verfahren in drei der abgeurteilten Fälle ein (dadurch entfielen Einzelfreiheitsstrafen von zwei Jahren sechs Monaten und zweimal zwei Jahren), bestätigte die Verurteilung wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in zwei Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in einem weiteren Fall sowie die zugehörigen Einzelfreiheitsstrafen von drei Jahren, zwei Jahren sechs Monaten und zwei Jahren und wies unter Verwerfung der weiter gehenden Revision die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung über die Gesamtstrafe an das Landgericht Stralsund zurück. Dieses verurteilte den Angeklagten auf der Grundlage des rechtskräftigen Schuldspruchs und der rechtskräftig festgesetzten Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Hiergegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit seiner Revision, mit der er insbesondere die fehlende Berücksichtigung einer der Justiz anzulastenden Verfahrensverzögerung durch das Landgericht beanstandet. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen den Gesamtstrafenausspruch wendet, ist das Rechtsmittel offensichtlich unbegründet. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts unter Ziff. 1. seiner Antragsschrift vom 18. Dezember 2008. Die Ausfüh- rungen in der Gegenerklärung des Verteidigers vom 13. Januar 2009 führen zu keinem anderen Ergebnis.
3
2. Dagegen macht der Beschwerdeführer zu Recht einen Verstoß gegen den Beschleunigungsgrundsatz des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK geltend, der bei der Rechtsfolgenbemessung hätte berücksichtigt werden müssen. Dies lässt zwar den Gesamtstrafenausspruch unberührt, führt aber zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht unterlassen hat, nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 - GSSt 1/07 (BGHSt 52, 124 = NJW 2008, 860; sog. Vollstreckungsmodell ) eine Kompensation vorzunehmen.
4
a) Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen die durch Aufhebung eines Urteils im Rechtsmittelzug auf Grund eines Verfahrensfehlers erforderliche neue Verhandlung der Sache und die dadurch bedingte Dauer des Verfahrens generell als Konventionsverstoß zu werten und deshalb der in Folge der Durchführung des Rechtsmittelverfahrens verstrichene Zeitraum der Überlänge eines Verfahrens hinzuzurechnen ist (vgl. die Nachweise bei Fischer StGB 56. Aufl. § 46 Rdn. 125). Hier sind jedoch im selben Verfahren mehrmals Urteile wegen allein von dem Gericht zu verantwortenden Verfahrensfehlern aufgehoben worden und musste die Sache deshalb wiederholt neu verhandelt werden. Die dadurch eingetretene Verzögerung des Abschlusses des Verfahrens und die damit für den Angeklagten verbundene besondere Belastung begründet daher einen Kompensationsanspruch aus Art. 13 EMRK. Das gilt hier umso mehr, als seit der Anklageerhebung mittlerweile über drei Jahre verstrichen sind und das Verfahren in Folge der zweifach notwendig gewordenen Neuverhandlung - gerechnet von der ersten in dieser Sache ergangenen Revisionsentscheidung - allein bis zu dem an- gefochtenen Urteil annähernd zwei Jahre gedauert hat. Dabei kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass sich zuletzt das Verfahren noch einmal um über zwei Monate verzögert hat, weil die Verteidigung mit Erfolg den Besetzungseinwand nach § 222 b StPO erhoben hat.
5
b) Die im angefochtenen Urteil unterbliebene, wegen des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK gebotene Kompensation für die der Justiz anzulastende Verfahrensverzögerung hat der neue Tatrichter im Wege des Vollstreckungsmodells (BGHSt - GS - 52, 124 = NJW 2008, 860) nachzuholen. Er wird zunächst festzustellen haben, welcher Zeitraum zwischen der Eröffnung des Tatvorwurfs und dem Urteil bei zeitlich angemessener Verfahrensgestaltung als erforderlich anzusehen ist; dieser Zeitraum ist bei der Berechnung der Dauer der in den Verantwortungsbereich der Justiz fallenden Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen. Sodann wird das Gericht – da angesichts des Ausmaßes der Verzögerung deren bloße ausdrückliche Feststellung in den Entscheidungsgründen zur Kompensation ersichtlich nicht genügt – festzulegen haben, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Bei der Bemessung sind vor allem das Gewicht der Verfahrensfehler , die zur wiederholten Aufhebung der Urteile in diesem Verfahren geführt haben, sowie die Auswirkungen der Verzögerungen auf den Angeklagten zu berücksichtigen (vgl. BGHSt - GS - aaO 146 = NJW aaO S. 866; BGH, Beschluss vom 26. November 2008 - 5 StR 450/08 - m.w.N.). Dagegen bleiben die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen bei der Kompensation außer Ansatz, da sie vom Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht bei der Gesamtstrafbemessung zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt worden sind (BGH - GS - aaO 147; BGH, Beschluss vom 14. Mai 2008 – 3 StR 75/08). Hingegen wird der neue Tatrichter bei dem Maß der Kompensa- tion auch die weitere Verzögerung zu bedenken haben, die nunmehr bis zur wiederholten Neuverhandlung der Sache eintritt.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen, 1. wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswid
5 Referenzen - Urteile

moreResultsText

{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 17/01/2008 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS GSSt 1/07 vom 17. Januar 2008 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: ja Veröffentlichung: ja ___________________________________ MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Ist der Abschluss eines Strafverfahrens rechtssta
published on 29/01/2008 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 449/07 vom 29. Januar 2008 in der Strafsache gegen Nachschlagewerk: ja BGHSt: nein BGHR: ja StPO §§ 52, 250 Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts verbunden mit der Erklärung, die Verwertung de
published on 14/05/2008 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 75/08 vom 14. Mai 2008 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14
published on 26/09/2006 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 353/06 vom 26. September 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 26. September 2006 g
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 07/06/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 643/10 vom 7. Juni 2011 in der Strafsache gegen wegen räuberischer Erpressung mit Todesfolge u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdefü
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Beruht der Beweis einer Tatsache auf der Wahrnehmung einer Person, so ist diese in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Die Vernehmung darf nicht durch Verlesung des über eine frühere Vernehmung aufgenommenen Protokolls oder einer Erklärung ersetzt werden.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.