Bundesgerichtshof Beschluss, 02. März 2004 - 4 StR 518/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen, sowie
b) im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten des Diebstahls in 37 Fällen und des versuchten Diebstahls in zwei Fällen für schuldig befunden und ihn unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Be-
schlußformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und zu den Strafaussprüchen in den Fällen II. A 1 bis 33 der Urteilsgründe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen. Die dem zugrundeliegenden Erwägungen des Landgerichts halten rechtlicher Prüfung nicht stand.
Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen kam der Angeklagte erstmals im Alter von 12 oder 13 Jahren mit Drogen in Berührung. Nachdem er mit Haschisch begonnen hatte, konsumierte er spätestens ab 1999 auch, und zwar zunächst gelegentlich, Kokain sowie Heroin. Soweit ihm durch Straftaten Geld zur Verfügung stand, nutzte er dies aus, um in größerem Umfang Drogen, insbesondere Kokain, zu konsumieren. Zudem verleitete er auch seine Ehefrau, die frühere Mitangeklagte in dieser Sache, zum Konsum von Heroin, bis sich schließlich bei ihr ein regelmäßiger Konsum entwickelte. Ein gegen Ende des Jahres 2000 von dem Angeklagten und seiner Ehefrau unternommener Versuch, bei seiner Schwägerin in Wiesbaden ein "neues Leben" anzufangen, scheiterte bereits nach wenigen Tagen, weil der Angeklagte nicht drogenfrei leben wollte. Soweit der Angeklagte neben Kokain auch Heroin konsumierte, geschah dies, weil der Konsum von Kokain für ihn zu teuer war. Im Zeitraum der hier abgeurteilten Diebstähle aus Kraftfahrzeugen von September bis November 2001 "bestand seine tägliche Ration in 3 - 4 g Kokain
bzw. 1 - 2 g , maximal 3 - 4 g Heroin". Bei seiner Inhaftierung am 19. November 2001 hatte der Angeklagte, in seinem Schuh versteckt, einen Vorrat an Kokain und Heroin für seinen Eigenverbrauch sowie Haschisch zum Verkauf bei sich. Mit dem Geld, das der Angeklagte und seine Ehefrau durch den Absatz der bei den abgeurteilten Straftaten entwendeten Gegenstände erlangten, finanzierten sie ihren Drogenkonsum und bestritten ihren Lebensunterhalt. Je mehr Geld dem Angeklagten für Drogen zur Verfügung stand, desto mehr konsumierte er auch.
Angesichts dieser Feststellungen zum Konsumverhalten des Angeklagten drängt sich auf, daß bei dem Angeklagten im Sinne von § 64 Abs. 1 StGB ein Hang besteht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht dem Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muß (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 1, 5, 6 m.w.N.). Daß in diesem Sinne bei dem Angeklagten ein Hang besteht, hat auch die von dem Landgericht gehörte psychiatrische Sachverständige bestätigt. Zwar setzt die Anordnung der Unterbringung nach § 64 StGB (u.a.) voraus, daß der Hang sicher ("positiv") festgestellt ist, so daß für eine Unterbringung hiernach kein Raum ist, wenn ein Hang als Grundlage der Taten nicht auszuschließen ist (BGH, Beschlüsse vom 6. November 2002 - 1 StR 382/02 - und vom 26. Februar 2003 - 1 StR 7/03). Soweit das Landgericht seinen Zweifel am Vorliegen eines Hanges des Angeklagten zum übermäßigen Drogenkonsum auch damit begründet, auffälligstes Merkmal dieses Hangs sei ein Entzugssyndrom, zu irgendwelchen Entzugser-
scheinungen in der Haft sei es aber nicht gekommen, hat das Landgericht zum einen verkannt, daß eine durch Entzugserscheinungen indizierte körperliche Abhängigkeit ebensowenig wie eine zumindest verminderte Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB (vgl. BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 2; BGH NStZ-RR 2001, 12) Voraussetzung für die Bejahung eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ist. Zum anderen ist die Annahme, Entzugserscheinungen seien bei dem Angeklagten auch während der Haft nicht aufgetreten, nicht ohne weiteres vereinbar mit der Feststellung, der Angeklagte habe in der Haft - wenn auch nur minimal - an Schweißausbrüchen und leichten Gelenkschmerzen gelitten und habe Erfahrungen mit Entzugserscheinungen auch auf einer Reise nach Wiesbaden einige Wochen vor seiner Inhaftierung gemacht.
Zudem hat das Landgericht auch zu Unrecht den für die Anordnung nach § 64 StGB weiter vorausgesetzten symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang im Sinne dieser Vorschrift und den hier abgeurteilten Straftaten verneint. Soweit das Landgericht - insoweit in Übereinstimmung mit der Auffassung der gehörten Sachverständigen - meint, "die Straftaten des Angeklagten (seien) nicht Folge seiner Drogensucht, sondern die Drogensucht (sei) Folge seiner Straftaten, (...) der Angeklagte begehe Straftaten unabhängig vom Drogengebrauch, der Drogengebrauch sei lediglich Teil seines Lebensstils", geht es von einem zu engen, und deshalb rechtsfehlerhaften Verständnis des Begriffs des symptomatischen Zusammenhangs aus. Denn ein solcher Zusammenhang ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn der Hang zum übermäßigen Genuß von Rauschmitteln neben anderen Umständen mit dazu beigetragen hat, daß der Angeklagte erhebliche rechtswidrige Taten begangen hat und dies bei unverändertem Suchtverhalten auch in Zukunft zu besorgen ist. Dieser Zusammenhang kann daher grundsätzlich nicht
allein deshalb verneint werden, weil außer dem Rauschmittelmißbrauch noch weitere Persönlichkeitsmängel - beim Angeklagten dessen dissoziale Persönlichkeitsstruktur - eine Disposition für die Begehung von Straftaten begründen (BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 1, 2; BGH, Beschluß vom 16. Juli 2002 - 4 StR 179/02). Im übrigen drängt sich ein solcher Zusammenhang auf, wenn - wie hier - die Tatbegehung der Finanzierung des Drogenkonsums dient.
Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ist deshalb umfassend neu zu befinden. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt unter den hier gegebenen Umständen auch zur Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs. Denn der Senat kann nicht mit Sicherheit ausschließen , daß die Gesamtstrafe niedriger ausgefallen wäre, wenn zugleich auch die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden wäre (vgl. BGHSt 28, 327, 330; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 7; BGH, Beschluß vom 5. Oktober 2000 - 4 StR 377/00). Bei dieser Sachlage kann dahinstehen , ob der Gesamtstrafenausspruch auch deshalb aufzuheben wäre, weil ausweislich der schriftlichen Urteilsbegründung die Festsetzung von Einzelstrafen für die Fälle II. B 1 bis 6 der Urteilsgründe unterblieben ist (vgl. BGHR StPO § 354 Abs. 1 Strafausspruch 10 und § 358 Abs. 2 Satz 1 Einzelstrafe , fehlende 1, 2). Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, dies nachzuholen.
Da das Verfahren sich nur noch gegen den erwachsenen Angeklagten richtet, verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (BGHSt 35, 267 f.).
Tepperwien Maatz Kuckein
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.