Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Sept. 2008 - 4 StR 378/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung hat keinen Bestand, weil das angefochtene Urteil keine ausreichenden Feststellungen zu den formellen Voraussetzungen der Maßregel enthält.
- 3
- a) Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter wegen vorsätzlicher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist (§ 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB). Hierbei gilt eine Verurteilung zu einer Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung (§ 66 Abs. 4 Satz 1 StGB), jedoch muss in dieser eine Einzelstrafe von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe enthalten sein (Fischer StGB 55. Aufl. § 66 Rdn. 7 m.w.N.). Ferner fordert die Rechtsprechung, dass die erste Verurteilung bei Begehung der zweiten Vortat bereits rechtskräftig war (Fischer aaO § 66 Rdn. 9 m.w.N.). Soll als Vorverurteilung eine solche zu einheitlicher Jugendstrafe herangezogen werden, muss das Urteil erkennen lassen, dass der Angeklagte wegen einer der dieser zu Grunde liegenden Straftaten eine Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hätte (Fischer aaO § 66 Rdn. 7 m.w.N.).
- 4
- Ferner setzt die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1 StGB voraus, dass der Angeklagte wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat mindestens zwei Jahre Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel befunden hat (§ 66 Abs. 1 Nr. 2 StGB).
- 5
- Eine frühere Tat darf zur Begründung der formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nrn 1, 2 StGB jedoch nicht herangezogen werden, wenn zwischen der Begehung der früheren und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre vergangen sind (§ 66 Abs. 4 Satz 3 StGB), wobei es – auch bei Verhängung einer Gesamtstrafe – auf die Begehungszeitpunkte der nach § 66 Abs. 1 StGB „relevanten“ Taten ankommt (Fischer aaO § 66 Rdn. 20 m.w.N.). Nicht eingerechnet werden in die Frist dieser „Rückfallverjährung“ diejenigen Zeiten, in denen der Täter auf Grund einer behördlichen Anordnung in einer Anstalt verwahrt wurde (§ 66 Abs. 4 Satz 4 StGB).
- 6
- Um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu ermöglichen, ob – auf dieser Grundlage – die Maßregel zu Recht angeordnet wurde, muss das Tatgericht im Urteil auch die Tatzeiten und die (Einzel-)Strafen bzw. bei Verhängung einer einheitlichen Jugendstrafe die für die betreffende Tat verwirkte Jugendstrafe mitteilen. Ferner müssen der Zeitpunkt der Rechtskraft des jeweiligen Urteils und die genauen Verwahrungszeiten (insbesondere der Untersuchungshaft, Strafhaft und/oder des Maßregelvollzugs) angegeben werden.
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- b) Diesen Anforderungen wird das Urteil nicht gerecht.
- 8
- Die Strafkammer bezieht sich bezüglich der formellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung zwar auf drei Urteile, in denen auf eine einheitliche Jugendstrafe bzw. Gesamtfreiheitsstrafen erkannt wurde. Sie teilt jedoch weder die einzelnen Tatzeiten noch die Einzelstrafen bzw. die verwirkte Jugendstrafe mit. Auch der Zeitpunkt des jeweiligen Rechtskrafteintritts sowie die genauen Verwahrungszeiten ergeben sich aus dem Urteil nicht oder nur teilweise.
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- 2. Auf § 66 Abs. 2 oder 3 StGB stützt die Strafkammer die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht. Ob die dort geforderten Voraussetzungen gegeben sind, bedarf keiner Entscheidung, da das Revisionsgericht die dem Tatrichter nach dieser Vorschrift obliegende Ermessensentscheidung nicht ersetzen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Januar 2007 – 2 StR 486/06 m.w.N.).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.