Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2000 - 4 StR 305/00

published on 12/09/2000 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2000 - 4 StR 305/00
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 305/00
vom
12. September 2000
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. September 2000 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 20. März 2000
a) im Schuldspruch dahin geändert, daß hinsichtlich der Tat von Anfang September 1999 die tateinheitliche Verurteilung wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge entfällt,
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens in Tateinheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in jeweils nicht geringen Mengen in einem Fall" zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt zu einer Ä nderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat die Ä nderung des Schuldspruchs insoweit zur Folge, als das Landgericht den Angeklagten wegen der Tat von Anfang September 1999 auch wegen tateinheitlich verwirklichter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen hat. Dieser Tatbestand tritt als rechtlich unselbständiger Teilakt hinter dem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück (Weber BtMG § 30 a Rdn. 145 m.N.).
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält insgesamt rechtlicher Prüfung nicht stand.

a) Die Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, mit der sie eine Verletzung der gerichtlichen Hinweispflicht geltend macht. Das Landgericht hat strafschärfend gewertet, "daß die Taten von September 1998 bis September 1999 nicht insoliert da stehen, sondern im Ergebnis eine Fortsetzung gleichgelagerten Taten aus den Jahren 1997 bis Anfang 1998 darstellen" (UA 35). Hinsichtlich des zuletzt genannten Tatzeitraums hat die Strafkammer das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Die in diesen Tatzeitraum fallenden Taten sind - was die Revision auch nicht in Zweifel zieht - in der Hauptverhandlung prozeßordnungsgemäß festgestellt worden (vgl. BGH, Beschluß vom 2. August 2000 - 5 StR 143/00; Schoreit in KK 4. Aufl. § 154
Rdn. 48). Die Revision rügt aber zu Recht, daß das Landgericht den Angeklagten nicht darauf hingewiesen hat, daß der ausgeschiedene Verfahrensstoff strafschärfend berücksichtigt werden könne (BGHSt 30, 197 f.; Kleinknecht /Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 154 Rdn. 25, § 154 a Rdn. 2 m.w.N.). Dieser Hinweis war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich (vgl. dazu BGH NStZ 1987, 134 mit Anm. Rieß). Zwar hat der Angeklagte die Taten - wie das Urteil ausweist - gestanden. Deshalb konnte das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu den Tatvorwürfen durch die Beschränkung nach § 154 Abs. 2 StPO nicht beeinflußt werden. Doch war der Hinweis erforderlich, um dem Angeklagten Gelegenheit zu geben, durch Anträge auch zum Schuldgehalt der von der Einstellung betroffenen Taten auf die Strafhöhe Einfluß zu nehmen.
Auf dem Verfahrensverstoß beruht der Strafausspruch auch. Zwar hat das Landgericht die früheren Taten ausdrücklich nur bei der Gesamtstrafenbemessung erörtert. Der Senat kann jedoch nicht ausschließen, daß diese Erwägungen auch die Einzelstrafen zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt haben.

b) Im übrigen weisen die Strafzumessungserwägungen auch einen sachlich-rechtlichen Fehler auf, der zur Aufhebung des Strafausspruchs insgesamt führt. Das Landgericht hat nämlich bei der Bemessung der Einzelstrafen ganz wesentlich zu Lasten des Angeklagten die "besondere Verwerflichkeit des Vorgehens" berücksichtigt, die es darin erblickt hat, daß der Angeklagte zur Durchführung der Beschaffungsfahrten "die Arglosigkeit seines Vaters bedenkenlos" ausgenutzt habe (UA 32, 34 f.). Hiergegen wäre aus Rechtsgründen nichts einzuwenden, wenn die Arglosigkeit des Vaters des Angeklagten bei Durchführung der Beschaffungsfahrten zur Überzeugung der Strafkammer fest-
stünde. Davon kann nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe jedoch nicht ohne weiteres ausgegangen werden. Zwar hat das Landgericht den Vater des Angeklagten vom Vorwurf der strafbaren Beteiligung bei den Einfuhrfahrten aus subjektiven Gründen freigesprochen. Doch beruht der Freispruch im Ergebnis darauf, daß dem Gericht die "Indizien" für eine Verurteilung "nicht genüg(t)en" (UA 28). Dies legt jedenfalls nahe, daß das Landgericht zum Freispruch des Vaters nur aufgrund des Zweifelsgrundsatzes gelangt ist. Bei dieser Sachlage hätte das Landgericht den Zweifelsgrundsatz, der uneingeschränkt auch für die Feststellung der Strafzumessungstatsachen gilt (Tröndle /Fischer StGB 49. Aufl. § 46 Rdn. 17a m.N.), ebenfalls zu Gunsten des Angeklagten anwenden müssen. Danach hätte es unbeschadet der ersichtlich seinen Vater entlastenden Angaben des Angeklagten nicht davon ausgehen dürfen , daß der Vater arglos war.
Über die Strafbemessung ist deshalb insgesamt neu zu befinden.
3. Keinen Bestand hat das Urteil ferner, soweit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen worden ist. Nach den Feststellungen zum Drogenkonsum des Angeklagten lag die Prüfung der Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nahe. Der Angeklagte begann mit dem Drogenkonsum bereits während der Schulzeit. Zwei von ihm begonnene Lehren konnte der Angeklagte "wegen fortwährenden Drogengebrauchs" nicht zu Ende führen. Im Jahr 1992 begann er damit, "statt Haschisch nunmehr Heroin regelmäßig zu konsumieren ... . Sein Tagesablauf war im wesentlichen durch den Drogenkonsum bestimmt" (UA 6). Nach Verbüßung einer Haftstrafe bis 1994 "geriet der Angeklagte schnell wieder an Drogen und zwar Heroin", das er ab An-
fang 1996 auch spritzte. Trotz Substituierung mit Methadon erlitt der Angeklagte wiederholt "einen kompletten Rückfall in den alten Drogenkonsum" (UA 7). Auch das verfahrensgegenständliche Handeltreiben mit Betäubungsmitteln diente dem Angeklagten dazu, seinen "Beigebrauch" von Drogen neben der Methadon-Substituierung zu finanzieren. Die Substituierung mit Methadon wurde schließlich auch nach Festnahme des Angeklagten in der Untersuchungshaft fortgesetzt.
Bei dieser Sachlage stellt es einen durchgreifenden Rechtsfehler dar, daß sich das Landgericht nicht mit der Frage des Vorliegens eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB auseinandergesetzt hat. Daß der Drogenkonsum des Angeklagten nach der ersichtlich ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen getroffenen Einschätzung des Landgerichts nicht zu einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit geführt hat, steht der Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB nicht entgegen (st. Rspr.; BGHR StGB § 64 Ablehnung 6, 8; BGH, Urteil vom 17. August 2000 - 4 StR 233/00). Daß bei dem Angeklagten die hinreichend konkrete Aussicht eines Behandlungserfolges nicht besteht (vgl. BVerfGE 91, 1 ff.), kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Die Tatsache, daß ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat, steht einer etwaigen Nachholung der Unterbringung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die
Nichtanwendung des § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff auch nicht ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362).
Meyer-Goßner Maatz Kuckein Athing Ernemann
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren wird bestraft, wer

1.
Betäubungsmittel unerlaubt anbaut, herstellt oder mit ihnen Handel treibt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat,
2.
im Falle des § 29a Abs. 1 Nr. 1 gewerbsmäßig handelt,
3.
Betäubungsmittel abgibt, einem anderen verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt und dadurch leichtfertig dessen Tod verursacht oder
4.
Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt einführt.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.