Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Juli 2014 - 4 StR 228/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter sexueller Nöti- gung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer „Gesamtfreiheitsstrafe“ von zwei Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Urteilsformel ersichtlichen Erfolg.
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- 1. Das Landgericht hat die folgenden Feststellungen und Wertungen getroffen :
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- Der Angeklagte befindet sich seit dem 27. September 1995 ohne Unterbrechung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB. Anlass für die Maßregelanordnung waren mehrere im Zustand nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit (langjährige sexuelle Fehlentwicklung bei emotional instabiler Persönlichkeit) begangene Sexualstraftaten (exhibitionistische Handlungen, sexueller Missbrauch von Kindern, sexuelle Nötigung).
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- Am 11. Dezember 2011 gegen 13.20 Uhr wurde der Angeklagte während eines Einzelausgangs am Ortsrand von U. auf die allein zum dortigen Bahnhaltepunkt laufende J. G. aufmerksam. Er entschloss sich, die Gelegenheit zu nutzen und J. G. sexuell zu missbrauchen. Da er nicht erkannt werden wollte, zog er sich eine Stoffmaske über den Kopf und näherte sich J. G. von hinten an. Nachdem er seine Hose geöffnet und sein Glied herausgeholt hatte, legte er der völlig überraschten Geschädigten plötzlich von hinten den linken Unterarm um den Hals und drückte so fest zu, dass sie nur schlecht Luft bekam. Als J. G. daraufhin um Hilfe schrie und den Griff zu lösen versuchte, hielt sie der Angeklagte weiter fest. Um den Widerstand der Geschädigten zu brechen, legte er sodann seine linke Hand auf ihre rechte Gesichtshälfte und zog ihren Kopf mit einer ruckartigen Bewegung heftig nach links. J. G. hörte deutliche Knirschgeräusche aus ihrer Halswirbelsäule , verspürte heftige Schmerzen und ging zu Boden. Dabei löste sich ihre Zahnbrücke und fiel aus dem Mund. Aus Angst um ihr Leben rief sie erneut laut um Hilfe. Da der Angeklagte nun fürchtete, die geplante Tat nicht mehr unentdeckt zu Ende führen zu können, ließ er von der Geschädigten ab und entfernte sich. J. G. erlitt mehrere Kratzspuren und ein Hämatom am Hals. Sie hatte ca. eine Woche Schmerzen beim Schlucken und bei der Palpation des Kehlkopfs.
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- Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte an einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne eines Exhibitionismus (ICD-10: F60.8) sowie einer schweren Persönlichkeitsstörung mit erheblicher Selbstwertproblematik, Selbstunsicherheit und Dependenz (ICD-10: F60.8) leide und deshalb von einer „erheblichen Minderung“ der Steuerungs- fähigkeit gemäß § 21 StGB infolge einer schweren anderen seelischen Abartigkeit auszugehen sei (UA 18). Aufgrund der schweren Störung werde er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig „Sexualstraftaten mit Verbrechens- charakter“ begehen (UA 20).
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- 2. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Eine Maßregel nach § 63StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund einer nicht nur vorübergehenden psychischen Störung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Tz. 6). Davon ist das Landgericht zwar ausgegangen. Seine Annahme, der Angeklagte habe an einer anderen schweren seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB gelitten, findet aber in den Urteilsgründen keine ausreichende Stütze.
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- a) Folgt der Tatrichter – wie hier – dem Gutachten eines Sachverständigen , muss er im Urteil die tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen wie auch die gezogenen Schlüsse so vollständig wiedergeben, als dies zum Ver- ständnis des Gutachtens und seiner gedanklichen Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom 28. Oktober 2008 – 5 StR 397/08, NStZ-RR 2009, 45; Sander in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 92 f. mwN).
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- b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Zu der Annahme, der Angeklagte leide neben einer Störung der Sexualpräferenz im Sinne eines Exhibitionismus (ICD-10: F65.2) auch an einer schweren Persönlichkeitsstörung mit erheblicher Selbstwertproblematik, Selbstunsicherheit und Dependenz (ICD-10: F60.8) teilt das Landgericht lediglich mit, dass sich diese „schwere Persönlichkeitsstörung“ durch Unsicherheit, Unreife, geringe soziale Kompetenz und eine dissoziale Entwicklung auszeichne (UA 17). Auf welchen tatsächlichen Grundlagen dieses für zutreffend gehaltene – an klinischen Kategorien orientierte (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 494/12, NStZ-RR 2013, 309, 310) – Urteil des Sachverständigen be- ruht, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit in diesem Zusam- menhang auf die Erfolglosigkeit jahrelanger Therapien, „Vorkommnisse“ in der Vergangenheit, eine rasche Rückfälligkeit nach Vollzugslockerungen, Exhibitio- nieren vor eigenen Therapeuten und Annäherungsversuche, „zuletzt gegenüber der Arbeitstherapeutin in L. “, abgehoben wird, fehlt jede phänomengebundene Darstellung der zugrunde liegenden Sachverhalte. Die Mitteilung, dass bereits verschiedene Vorgutachter bei dem Angeklagten vergleichbare Persönlichkeitsdefizite festgestellt haben, kann die an dieser Stelle notwendigen Darlegungen nicht ersetzten (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 5 StR 168/14, Rn. 6).
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- 3. Da eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten nicht sicher ausgeschlossen werden kann, hebt der Senat auch den Schuldspruch und die Strafe auf.
Mutzbauer Roggenbuck Cierniak
Bender Quentin
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Annotations
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.