Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Mai 2000 - 4 StR 157/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen Totschlags (durch Unterlassen) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg; eines Eingehens auf die Verfahrensrügen bedarf es daher nicht. 1. Nach den Feststellungen beteiligte sich der "schwer alkoholisierte" Angeklagte am Abend des 2. November 1998 in der Wohnung des Mitange-klagten W. an einer gegen den später getöteten Andreas T. gerichteten tätlichen Auseinandersetzung. Gemeinsam mit anderen schlug er mit Fäusten auf T. ein. Als danach weiter gestritten wurde, beteiligte sich der Angeklagte daran nicht, sondern schlief ein; er konnte nur noch "Teile des Geschehens passiv mitverfolgen, war jedoch körperlich nicht mehr in der Lage, einzugreifen" (UA 23). In dieser Zeit wurde T. “über Stunden hinweg” (UA 38) gequält und mißhandelt. Der Angeklagte, "der die Geschehnisse nicht billigte , war aufgrund seines desolaten körperlichen Zustands nicht in der Lage, einzugreifen oder aber sich zu entfernen und Hilfe zu holen" (UA 26). Gegen 24.00 Uhr "bemerkten einige der Anwesenden, daß T. k eine Lebenszeichen mehr zeigte". W. s agte daraufhin, "daß T. aus der Wohnung entfernt werden müsse". Zu diesem Zeitpunkt war der Angeklagte erwacht und "konnte wieder aktiv am Geschehen teilnehmen". Als T. aus der Wohnung geschleift und in der Nähe von Garagen "abgelegt" wurde, stand der Angeklagte "beobachtend" dabei. Er ging davon aus, "daß der Geschädigte noch nicht verstorben war" (UA 28). Nachdem er an einer Tankstelle Bier gekauft und dieses zusammen mit Teilnehmern des Geschehens getrunken hatte, ging er nach Hause. Andreas T. verstarb noch in derselben Nacht an den ihm von den übrigen Beteiligten (UA 38/39, 40) zugefügten Verletzungen. 2. Die Jugendkammer hat den Angeklagten wegen der "Schläge gemeinsam mit anderen" der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen. Aufgrund "seines Zustandes" sei ihm zwar das weitere Tatgeschehen nicht mehr zuzurechnen; er habe sich jedoch des Totschlags durch Unterlassen schuldig gemacht, weil er "am Beginn der Handlungen aktiv mitgewirkt" habe, er, als der Geschädigte aus der Wohnung verbracht worden sei, zutreffend davon ausgegangen sei, daß T. noch lebte, ihm bewußt gewesen sei, daß Lebensgefahr bestanden habe und er es gleichwohl unterlassen habe, Hilfe
herbeizuholen. Damit habe er akzeptiert, "daß diese als möglich vorgestellte Folge [nämlich der Tod des Andreas T. ] auch (eintrete). Hätte er Hilfe geholt , (so) hätten nach Aussagen des Sachverständigen We. durchaus Überlebenschancen bestanden" (UA 41). 3. Diese Wertung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand:
a) Zum einen begegnet die vom Landgericht "aus Ingerenz" hergeleitete Garantenstellung des Angeklagten Bedenken; denn pflichtwidriges Vorverhalten begründet nur dann eine Garantenstellung, wenn es die nahe Gefahr des Eintritts des konkreten tatbestandsmäßigen Erfolges verursacht (vgl. BGH NStZ 1998, 83, 84; NJW 1999, 69, 71 f. m.w.N.). War dem Angeklagten - wovon das Landgericht ausgeht (UA 40) - der Erfolg der Exzesshandlungen anderer nicht zuzurechnen, so kann aus diesen nicht seine Garantenstellung für die Nichtabwendung des späteren Todeseintritts abgeleitet werden (s. BGH a.a.O.). Allerdings hat das Landgericht nicht - wie es erforderlich gewesen wäre - geprüft und erörtert, ob die Schläge des Angeklagten oder sein sonstiges der Tötung vorausgegangenes Verhalten eine Gefahrerhöhung für das Opfer dadurch bewirkten, daß die anderen in ihrem zum Tod führenden Vorgehen bestärkt wurden, und hierdurch eine Garantenstellung des Angeklagten begründet wurde (vgl. BGH NStZ 1992, 31 f.; StV 1998, 127, 128; Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 13 Rdn. 11).
b) Die Verurteilung wegen Totschlags durch Unterlassen kann auch deswegen keinen Bestand haben, weil nicht belegt ist, daß durch ein Eingreifen des Angeklagten der Tod des Andreas T. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert worden wäre; denn nur dann könnte das Unter-
lassen für den Erfolgseintritt ursächlich geworden sein (vgl. BGHSt 6, 1, 2; 43, 381, 397; BGH bei Dallinger MDR 1971, 361; NStZ 1992, 31; BGHR StGB § 13 Abs. 1 Brandstiftung 1). Allein, daß - im Urteil nicht näher begründete - "Überlebenschancen" für das Tatopfer bestanden hätten, reicht hierfür nicht aus (vgl. Tröndle/Fischer a.a.O. § 13 Rdn. 14). 4. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Wegen des engen sachlichen Zusammenhangs zwischen dem festgestellten aktiven Tun (gefährliche Körperverletzung) und der vorgeworfenen Unterlassungstat hebt der Senat das Urteil, soweit es den Angeklagten betrifft, insgesamt auf, um dem nunmehr erkennenden Tatrichter die Möglichkeit zu geben, eine Entscheidung ohne Bindung an rechtskräftige Feststellungen zu treffen. Bei der neuen Rechtsfolgenentscheidung wird zu prüfen sein, ob bei dem Angeklagten, der in dem angefochtenen Urteil als "pathologischer Alkoholiker" (UA 21) bezeichnet wird, die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB vorliegen.
5. Da sich das weitere Verfahren nur noch gegen einen Erwachsenen richtet, verweist der Senat die Sache an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGHSt 35, 267).
Maatz Kuckein Athing Ernemann
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(1) Wer es unterläßt, einen Erfolg abzuwenden, der zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehört, ist nach diesem Gesetz nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, daß der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
(2) Die Strafe kann nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.