Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2019 - 4 StR 102/19

published on 10/04/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Apr. 2019 - 4 StR 102/19
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 102/19
vom
10. April 2019
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:100419B4STR102.19.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 10. April 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stendal vom 30. Oktober 2018, soweit es den Angeklagten betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben ,
a) soweit er im Fall V.1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist, sowie
b) hinsichtlich der Einzelstrafe im Fall II.1. der Urteilsgründe und im Gesamtstrafenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Freiheitsberaubung in Tateinheit mit Bedrohung und Sachbeschädigung, wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatein- heit mit Sachbeschädigung sowie wegen versuchter Nötigung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verurteilung wegen versuchter Nötigung im Fall V.1. der Urteilsgründe hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht einen strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten nach § 24 Abs. 1 StGB nicht erörtert hat.
3
a) Nach den Feststellungen forderte der Angeklagte von dem Geschädigten unter Todesdrohungen die Zahlung eines Geldbetrags innerhalb einer Frist von drei Monaten. Darüber hinaus ließ er sich die Telefonnummer des Geschädigten geben und verlangte von ihm, ans Telefon zu gehen, wenn er den Geschädigten anrufe. Nachdem der Geschädigte hatte gehen dürfen, änderte er sofort seine Telefonnummer. In der Folgezeit verfolgte der Angeklagte seine Forderung nicht weiter.
4
b) Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte vom Versuch der räuberischen Erpressung strafbefreiend zurückgetreten ist. Gleichwohl hat es den Angeklagten wegen versuchter Nötigung nach §§ 22, 240 Abs. 1 und 3 StGB verurteilt, ohne zu prüfen, ob der Angeklagte nicht auch durch Aufgabe seines Vorhabens, den Geschädigten gegen dessen Willen zur Annahme eingehender Telefonate zu zwingen, vom Nötigungsversuch zurückgetreten ist. Eine solche Prüfung wäre indes geboten gewesen, da auf der Grundlage der bisherigen Sachverhaltsfeststellungen keine Gründe für eine unterschiedliche Behandlung der Rücktrittsfrage bei den beiden Angriffen auf die Willensfreiheit des Geschädigten erkennbar sind. Ob die Voraussetzungen für einen strafbefreienden Rücktritt nach § 24 Abs. 1 StGB vorlagen, kann der Senat nicht beurteilen, weil sich die Urteilsgründe zu dem hierfür maßgeblichen Vorstellungsbild des Angeklagten von der Umsetzung seines Tatvorhabens nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (zum Rücktrittshorizont vgl. Fischer, StGB, 66. Aufl., § 24 Rn. 7, 15 ff. mwN) nicht verhalten. Gegebenenfalls wird eine Strafbarkeit wegen Bedrohung gemäß § 241 Abs. 1 StGB in den Blick zu nehmen sein.
5
2. Der Einzelstrafausspruch im Fall II.1. der Urteilsgründe hat keinen Bestand , da das Landgericht von einem zu großen Schuldumfang ausgegangen ist. Die bisherigen Urteilsfeststellungen belegen nicht, dass dem Angeklagten der Einsatz des Elektroschockgeräts gegen den Geschädigten durch den Mitangeklagten mittäterschaftlich zuzurechnen ist und er sich der gefährlichen Körperverletzung auch in der Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB schuldig gemacht hat.
6
a) Die Verwendung des Elektroschockgeräts durch den Mitangeklagten war nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils weder Gegenstand des gemeinsamen Tatplans noch musste der Angeklagte nach den Umständen des Geschehens mit dem Einsatz eines Werkzeugs rechnen. Dass er die Ankündigung des Mitangeklagten, das Gerät gegen den Geschädigten einzusetzen, wahrnahm und dessen Vorgehen akzeptierte, reicht für eine mittäterschaftliche Zurechnung nach den Grundsätzen der sukzessiven Mittäterschaft alleine nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die Erbringung eines die Tatbestandsverwirklichung fördernden objektiven Tatbeitrages (vgl. BGH, Urteil vom 27. Januar 2011 – 4 StR 502/10, NStZ 2011, 699, 702; Beschlüsse vom 18. Mai 2010 – 5 StR 143/10, StraFo 2010, 296; vom 29. April 1998 – 2 StR 664/97, StV 1998, 649; Urteile vom 7. September 1993 – 5 StR 394/93, BGHR StGB § 25 Abs. 2 Tatbeitrag 4; vom 7. August 1984 – 1 StR 385/84, NStZ 1984, 548; Fischer aaO, § 25 Rn. 39 mwN). Ein die Verwirklichung der Tatbestandsalternative des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB fördernden Tatbeitrag des Angeklagten lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Eine irgendwie geartete Mitwirkung des Angeklagten an dem Geschehensablauf zwischen der Ankündigung des Mitangeklagten und dem nachfolgenden tatsächlichen Einsatz des Elektroschockgeräts hat das Landgericht nicht festgestellt.
7
b) Wegen der rechtsfehlerfrei erfolgten Annahme einer gemeinschaftlich begangenen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB wird der Schuldspruch durch die unzutreffende rechtliche Bewertung der Strafkammer nicht berührt. Da das Landgericht die Verwirklichung von zwei Tatbestandsalternativen des § 224 Abs. 1 StGB ausdrücklich strafschärfend berücksichtigt hat, kann aber die Einzelstrafe nicht bestehen bleiben.
8
Die Aufhebung der zugehörigen Feststellungen erfasst nur die tatbezogenen Strafzumessungstatsachen. Demgegenüber haben die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen und den Vorstrafen des Angeklagten, die auch für die nicht aufgehobenen Einzelstrafen von Bedeutung gewesen sind, Bestand und sind für den neuen Tatrichter bindend (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2015 – 4 StR 585/14, NStZ 2015, 600 mwN). Zur Frage einer möglichen mittäterschaftlichen Zurechnung des Einsatzes des Elektroschockgeräts können ergänzende Feststellungen zum Tatgeschehen getroffen werden, die allerdings den bisherigen Feststellungen nicht widersprechen dürfen.
9
3. Die Aufhebung der Verurteilung im Fall V.1. der Urteilsgründe sowie der Einzelstrafe im Fall II.1. der Urteilsgründe entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage.
Quentin Cierniak Bender
Feilcke Bartel
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht. (2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).
3 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 27/01/2011 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 502/10 vom 27. Januar 2011 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 1 wegen Beihilfe zur Körperverletzung mit Todesfolge u.a. zu Ziff. 2 Der 4. Strafsen
published on 09/04/2015 00:00

Tenor Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 29. August 2014 wird als unbegründet verworfen.
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.
published on 11/02/2020 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 583/19 vom 11. Februar 2020 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. ECLI:DE:BGH:2020:110220B4STR583.19.1 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

(1) Wegen Versuchs wird nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern.

(2) Sind an der Tat mehrere beteiligt, so wird wegen Versuchs nicht bestraft, wer freiwillig die Vollendung verhindert. Jedoch genügt zu seiner Straflosigkeit sein freiwilliges und ernsthaftes Bemühen, die Vollendung der Tat zu verhindern, wenn sie ohne sein Zutun nicht vollendet oder unabhängig von seinem früheren Tatbeitrag begangen wird.

(1) Wer einen Menschen mit der Begehung einer gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten rechtswidrigen Tat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen eine Sache von bedeutendem Wert bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einen Menschen mit der Begehung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bedroht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(3) Ebenso wird bestraft, wer wider besseres Wissen einem Menschen vortäuscht, daß die Verwirklichung eines gegen ihn oder eine ihm nahestehende Person gerichteten Verbrechens bevorstehe.

(4) Wird die Tat öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3) begangen, ist in den Fällen des Absatzes 1 auf Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder auf Geldstrafe und in den Fällen der Absätze 2 und 3 auf Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder auf Geldstrafe zu erkennen.

(5) Die für die angedrohte Tat geltenden Vorschriften über den Strafantrag sind entsprechend anzuwenden.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Als Täter wird bestraft, wer die Straftat selbst oder durch einen anderen begeht.

(2) Begehen mehrere die Straftat gemeinschaftlich, so wird jeder als Täter bestraft (Mittäter).

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.