Bundesgerichtshof Beschluss, 15. Dez. 2009 - 3 StR 516/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 44 Fällen, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 33-jährige Angeklagte bereits im Alter von 12 Jahren Cannabis und - nach verschiedenen anderen Betäubungsmitteln - alsbald auch größere Mengen Amphetamin. In der Zeit von 1991 bis 2003 wurden gegen ihn insgesamt sechs strafrechtliche Sanktionen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt, darunter eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen 66 Fällen der Einfuhr von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Nach einer im August 2003 regulär abgeschlossenen sechsmonatigen Entwöhnungstherapie wurde er wieder rückfällig. Spätestens seit 2007 konsumierte er drei bis vier Gramm Amphetamin täglich.
- 3
- Trotz der Feststellung, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und zur Finanzierung seines Eigenkonsums beging , hat das Landgericht - ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil für eine solche Maßnahme keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bestehe. Nach Darlegung der Modalitäten einer Unterbringung im Maßregelvollzug habe der Angeklagte erklärt, nicht bereit zu sein, sich auf eine mehrjährige Behandlung einzulassen und sich gegenüber einem Therapeuten zu öffnen. Wegen seiner kompromisslos ablehnenden Haltung lasse sich eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Entwöhnungsbehandlung nicht feststellen.
- 4
- 2. Diese Begründung trägt das Absehen von der Maßregelanordnung nach § 64 Satz 2 StGB nicht.
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- Das bloße Abstellen auf das Fehlen eines Therapiewillens lässt außer Acht, dass dieser Umstand die Unterbringung nach § 64 StGB nicht ohne weiteres hindert. Zwar kann eine nicht vorhandene Therapiemotivation ein Indiz für unzureichende Erfolgschancen der Entwöhnungsbehandlung sein. Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH NStZ-RR 1997, 34; NJW 2000, 3015, 3016; Beschl. vom 24. März 2005 - 3 StR 71/05; Fischer, StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 20 m. w. N.). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade auch sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten überhaupt erst zu wecken (BGH R&P 2008, 55; NStZ-RR 1997, 34). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab (BTDrucks. 16/1110 S. 13).
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- 3. Da der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Landgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 38, 362 f.) und die Maßregel auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts auch nicht aus anderem Grunde ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung der nochmaligen Prüfung durch einen neuen Tatrichter. Unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) werden hierzu insgesamt neue Feststellungen zu treffen sein. Dabei werden auch bisherige Therapieverläufe - der Angeklagte hat 2003 eine Entwöhnungsbehandlung regulär abgeschlossen - sowie die besonderen Bedingungen einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in den Blick zu nehmen sein.
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- Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5).
- 8
- Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt worden wäre.
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.