Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Sept. 2007 - 3 StR 323/07
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hatte den Beschwerdeführer am 1. Juli 2004 wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Verbreitung pornografischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in vier Fällen jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen und mit Verbreitung pornografischer Schriften, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen sowie wegen weiterer Delikte zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und gemäß § 66 a StGB die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten. Mit Urteil vom 29. März 2007 hat es die (vorbehaltene) Sicherungsverwahrung angeordnet. Hiergegen wendet sich die Revision des Verurteilten mit der Sachrüge; das Rechtsmittel hat Erfolg.
- 2
- Der Verurteilte hatte am 28. Februar 2007 zwei Drittel der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe verbüßt. Als die vorbehaltene Sicherungsverwahrung in dem angefochtenen Urteil vom 29. März 2007 angeordnet wurde, war somit der Zeitpunkt, bis zu dem gemäß § 66 a Abs. 2 Satz 1, § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB diese Entscheidung spätestens zu treffen war (28. August 2006), um rund sieben Monate überschritten. Das Landgericht ist der Meinung, dass dies die Anordnung nicht hindere. Es teilt schon im Grundsatz nicht die Rechtsauffassung des Senats, dass § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB eine verbindliche materiellrechtliche Voraussetzung der Maßregelanordnung beinhaltet (Senat, Urt. vom 14. Dezember 2006 - 3 StR 269/06 = NStZ 2007, 327; zum Abdruck in BGHSt 51, 159 vorgesehen). Außerdem meint es, dass eine abweichende Beurteilung jedenfalls deswegen geboten sei, weil hier - im Gegensatz zu dem der genannten Senatsentscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt - das Nachverfahren vor dem in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Zeitpunkt eingelei- tet worden sei.
- 3
- Hiergegen wendet sich die Revision mit Recht. Am 29. März 2007 durfte die vorbehaltene Sicherungsverwahrung nicht mehr angeordnet werden, weil der gesetzlich bestimmte letztmögliche Zeitpunkt für diese Entscheidung um mehr als ein halbes Jahr überschritten war und es damit an einer materiellrechtlichen Voraussetzung für die Anordnung fehlte (BGH NStZ 2007, 327). Der Senat hat die Gründe, die für die grundsätzlich abweichende Ansicht des Landgerichts maßgeblich sind, in der zitierten Entscheidung bereits erwogen und nicht für durchgreifend erachtet. Hieran hält er fest. Das angefochtene Urteil zeigt auch keine Gesichtspunkte auf, die hier eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten. Insbesondere kommt dem in § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB genannten Zeitpunkt nicht etwa schon deswegen keine ausschlaggebende Bedeutung mehr zu, weil das Nachverfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden und seine Überschreitung nicht durch die Justiz zu verantworten ist. Dem steht schon der eindeutige Wortlaut der Vorschrift entgegen, die ausschließlich auf den - erstinstanzlichen - Abschluss des Nachverfahrens abstellt, nicht auf dessen Einleitung oder dessen Verlauf.
- 4
- Im Hinblick darauf, dass das angefochtene Urteil rund sieben Monate nach dem letztmöglichen Zeitpunkt für die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung verkündet wurde, liegt auch kein Fall einer ganz kurzfristigen (von der Justiz nicht zu verantwortenden) Überschreitung vor, für die der Senat im Hinblick auf BGH StV 2006, 63 offen gelassen hat, ob hier der Verstoß gegen § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB ausnahmsweise unschädlich sein könnte.
- 5
- Ein Ausnahmefall ergibt sich - entgegen der Auffassung des Generalbundesanwaltes - auch nicht daraus, dass der Beschwerdeführer und sein Verteidiger mit den Verlegungen der Hauptverhandlung im Nachverfahren auf Termine nach dem 28. August 2006 und der Beauftragung eines neuen Sachverständigen jeweils einverstanden waren bzw. hiergegen keine Einwände erhoben hatten. Denn die Einhaltung der sich aus § 66 a Abs. 2 Satz 1 StGB ergebenden Frist stellt eine materiell-rechtliche Voraussetzung für die Maßregelanordnung dar. Auf sie konnte der Beschwerdeführer daher nicht mit der Folge verzichten, dass die Anordnung der Sicherungsverwahrung auch noch sieben Monate nach dem gesetzlich letztmöglichen Zeitpunkt erfolgen konnte.
- 6
- Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben und auszusprechen , dass die Anordnung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung unterbleibt.
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Annotations
(1) Das Gericht setzt die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung aus, wenn
- 1.
zwei Drittel der verhängten Strafe, mindestens jedoch zwei Monate, verbüßt sind, - 2.
dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann, und - 3.
die verurteilte Person einwilligt.
(2) Schon nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe, mindestens jedoch von sechs Monaten, kann das Gericht die Vollstreckung des Restes zur Bewährung aussetzen, wenn
- 1.
die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt oder - 2.
die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, daß besondere Umstände vorliegen,
(3) Die §§ 56a bis 56e gelten entsprechend; die Bewährungszeit darf, auch wenn sie nachträglich verkürzt wird, die Dauer des Strafrestes nicht unterschreiten. Hat die verurteilte Person mindestens ein Jahr ihrer Strafe verbüßt, bevor deren Rest zur Bewährung ausgesetzt wird, unterstellt sie das Gericht in der Regel für die Dauer oder einen Teil der Bewährungszeit der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers.
(4) Soweit eine Freiheitsstrafe durch Anrechnung erledigt ist, gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne der Absätze 1 bis 3.
(5) Die §§ 56f und 56g gelten entsprechend. Das Gericht widerruft die Strafaussetzung auch dann, wenn die verurteilte Person in der Zeit zwischen der Verurteilung und der Entscheidung über die Strafaussetzung eine Straftat begangen hat, die von dem Gericht bei der Entscheidung über die Strafaussetzung aus tatsächlichen Gründen nicht berücksichtigt werden konnte und die im Fall ihrer Berücksichtigung zur Versagung der Strafaussetzung geführt hätte; als Verurteilung gilt das Urteil, in dem die zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(6) Das Gericht kann davon absehen, die Vollstreckung des Restes einer zeitigen Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen, wenn die verurteilte Person unzureichende oder falsche Angaben über den Verbleib von Gegenständen macht, die der Einziehung von Taterträgen unterliegen.
(7) Das Gericht kann Fristen von höchstens sechs Monaten festsetzen, vor deren Ablauf ein Antrag der verurteilten Person, den Strafrest zur Bewährung auszusetzen, unzulässig ist.