Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Okt. 2010 - 3 StR 274/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer sexueller Nötigung, schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen sowie sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in vier Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Diebstahl, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt; zugleich hat es die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die wirksam auf den Schuldspruch in den Fällen 1, 3, 4 und 5 der Urteilsgründe sowie den gesamten Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision des Angeklagten hat bezüglich des Maßregelausspruchs Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- Nach den Feststellungen drang der nur geringfügig wegen eines Straßenverkehrsdelikts vorbestrafte Angeklagte jeweils in die Wohnung ihm fremder Frauen ein, um diese im Schlaf sexuell zu missbrauchen. In einem Fall führte er einen Finger in die Scheide des schlafenden Opfers ein, ansonsten berührte er die Geschädigten an deren Vagina oder Brüsten. Im letzten Fall versuchte er, mit der erwachten Frau den Oralverkehr auszuüben, ließ aber von ihr ab, nachdem sie sich seinem Ansinnen widersetzt und er mit seinem Penis ihre Wange berührt hatte. Teilweise entwendete der Angeklagte in der Wohnung vorgefundene Geldbeträge.
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- Die Nachprüfung des Schuld- und Strafausspruchs hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die auf § 66 Abs. 2 StGB gestützte Anordnung der Sicherungsverwahrung kann hingegen nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen der Norm vor; das Landgericht hat jedoch einen Hang des Angeklagten zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB nicht tragfähig begründet. Damit entfällt auch die Grundlage für die anzustellende Prognose, ob der Angeklagte infolge seines Hanges für die Allgemeinheit gefährlich ist.
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- Das Merkmal "Hang" im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB verlangt einen eingeschliffenen inneren Zustand des Täters, der ihn immer wieder neue Straftaten begehen lässt. Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn sich die Gelegenheit bietet, ebenso wie derjenige, der willensschwach ist und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag. Der Hang als "eingeschliffenes Verhaltensmuster" bezeichnet einen aufgrund umfassender Vergangenheitsbetrachtung festgestellten gegenwärtigen Zustand. Seine Feststellung obliegt - nach sachverständiger Beratung - unter sorgfältiger Gesamtwürdigung aller für die Beurteilung der Persönlichkeit des Täters und seiner Taten maßgebenden Umstände dem Richter in eigener Verantwortung. Diese ist mit besonderer Sorgfalt vorzunehmen, wenn bei Vorliegen der formellen Voraussetzungen nach § 66 Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB in Ermangelung von symptomatischen Vortaten und neuerlicher Delinquenz trotz vorheriger Strafverbüßung die Tatsachengrundlage besonders schmal ist (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203; Urteil vom 17. Dezember 2009 - 3 StR 399/09, Rn. 4; Urteil vom 14. Juli 1999 - 3 StR 209/99, BGHR StGB § 66 Abs. 3 Katalogtat 1).
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- Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Es begründet den Hang u.a. damit, der Angeklagte sei bei Begehung der Taten erst 28 bzw. 29 Jahre alt gewesen, habe sein Leben erkennbar augenbli cksbezogen gestaltet, was sich daraus ergebe, dass er den Großteil seiner Einkünfte für den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs sowie für Betäubungsmittel aufgewendet und sich in den Nächten herumgetrieben habe, so dass von einer ausgereiften Persönlichkeit keine Rede sein könne. Damit stützt sich das Landgericht auf Kriterien, denen - jedenfalls im vorliegenden Fall - für die Frage, ob der Angeklagte aufgrund eines eingeschliffenen inneren Zustands immer wieder neue Straftaten begeht, allenfalls eine geringe Aussagekraft zukommt; denn weder der Gebrauch des PKW noch der Konsum der Betäubungsmittel stehen in einem näheren Zusammenhang mit den begangenen Straftaten. Die Strafkammer lässt bei ihrer Bewertung zudem außer Betracht, dass der Angeklagte nach den Feststellungen durch den positiven Einfluss seiner langjährigen Freundin dazu motiviert wurde, zukunftsgerichtet zu denken sowie sich beruflich neu zu orientieren, im Jahre 2005 eine Ausbildung zum Bäcker abschloss und danach in diesem Beruf arbeitete. Diese Gesichtspunkte wären in die Gesamtwürdigung ebenso einzustellen gewesen wie der Umstand, dass der Angeklagte fast alle Taten in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum von nur wenigen Wochen beging. Von Belang könnte zudem sein, seit wann die Vorstellung sexueller Erlebnisse mit schlafenden Partnern zu den Bedürfnissen des Angeklagten zählte und er Computerdateien zum Thema "Sleep Sex" konsumierte; hierzu verhalten sich die Feststellungen nicht.
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- Der Senat vermag nicht auszuschließen, dass das neue Tatgericht zu Feststellungen gelangt, welche die Annahme des Hangs und der Gefährlichkeit des Angeklagten tragen. Über den Maßregelausspruch muss deshalb nochmals verhandelt und entschieden werden. Dabei wird sich empfehlen, einen anderen Sachverständigen hinzuzuziehen.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.