Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Juni 2016 - 3 StR 231/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 30. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet.
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- Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende materiellrechtliche Überprüfung des Urteils hat aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Der Erörterung bedarf lediglich die von der Strafkammer abgelehnte Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB). Hierzu gilt:
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- 1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen begann der Angeklagte bereits in seiner Jugend, in erheblichem Umfang Alkohol zu trinken. Später kam er mit Betäubungsmitteln in Berührung und konsumierte seit dem Jahr 1986 Heroin. Bis zum Jahr 1999 absolvierte er deswegen zwei Therapien; seit einigen Jahren befindet er sich im Methadonprogramm. Im Jahr 2015 spitzte sich die persönliche und finanzielle Situation des Angeklagten zu. Hintergrund war, dass seine in Bolivien lebende Ehefrau an Leukämie erkrankt war, weshalb der Angeklagte ihr regelmäßig Geldbeträge nach Bolivien überwies, um die Behandlung mit Blutplasmapräparaten zu finanzieren. Dies wurde ihm zunehmend schwieriger, insbesondere auch, nachdem ihm seine Fahrerlaubnis - unter anderem wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr - entzogen worden war, er aufgrund dessen seine Selbständigkeit im Kleintransportgewerbe nicht mehr ausüben konnte und von Sozialleistungen leben musste. Im Juli 2015 war es ihm schließlich nicht mehr möglich, seiner Ehefrau weitere Geldbeträge zu übermitteln. In dieser Situation begann der Angeklagte, wieder Heroin zu rauchen und vermehrt Alkohol zu trinken. Am 27. Juli und 10. September 2015 sah er jeweils - nach vorangegangenem Konsum von Methadon und Heroin - nur noch die Möglichkeit eines Banküberfalls, um die für die Behandlung seiner Ehefrau erforderlichen finanziellen Mittel zu beschaffen. In beiden Fällen nahm er, nachdem er bereits wesentliche Tatvorbereitungen getroffen hatte, erhebliche Mengen Wodka zu sich, um sich Mut anzutrinken. Sodann suchte er durch den Alkohol enthemmt eine Filiale der Volksbank D. eG in N. auf und brachte die Bankangestellten unter Vorhalt einer ungeladenen Schreckschusspistole bzw. einer täuschend echt aussehenden Spielzeugpistole dazu, ihm jeweils über 5.000 € auszuhändigen. Einen Großteil des Geldes versendete er anschließend nach Bolivien.
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- 2. Diese Feststellungen tragen die Ablehnung der Maßregelanordnung nach § 64 StGB. Allerdings erweist sich die Begründung, mit der die Strafkammer das Vorliegen eines Hangs im Sinne von § 64 Satz 1 StGB verneint hat, als rechtsfehlerhaft. Soweit sie im Hinblick auf die Drogensucht des Angeklag- ten darauf abgestellt hat, dieser habe vor seinem Rückfall mehrere Therapien mit zum Teil längerfristigem Erfolg beendet und sei "immer wieder" in der Lage gewesen, sein Leben zu organisieren, kommt es hierauf nicht an, weil maßgeblich die Umstände im Zeitpunkt der Anlasstat und der letzten tatrichterlichen Hauptverhandlung sind (BGH, Beschluss vom 8. Juni 2010 - 3 StR 162/10, juris Rn. 9; vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 88/10, NStZ-RR 2010, 216). Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe Heroin jedenfalls nicht im Übermaß zu sich genommen, lässt sich anhand der Urteilsgründe nicht nachvollziehen, da das Landgericht keine Feststellungen zu seinen Konsummengen und -gewohnheiten getroffen hat. Zudem steht die Erwägung der Strafkammer in Widerspruch dazu, dass sie einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG zugestimmt hat, weil sie eine Therapie "für sinnvoll, wenn nicht gar geboten hält, um den Lebensweg des Angeklagten wieder in eine geordnete Bahn zurückzulenken". Schließlich hat sich das Landgericht nicht erkennbar mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Angeklagte einen Hang zum übermäßigen Konsum von Alkohol hat, obwohl die Urteilsgründe diese Prüfung angesichts der Feststellungen zu dessen Vorleben nahelegten.
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- Indes tragen die Urteilsgründe die Hilfserwägung der Strafkammer, dass die ausgeurteilten Taten nicht auf einen Hang des Angeklagten, Alkohol oder Betäubungsmittel im Übermaß zu konsumieren, zurückgingen. Dieser symptomatische Zusammenhang erfordert, dass die Anlasstat in dem Hang ihre Wurzel findet (BGH, Urteil vom 11. September 1990 - 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128), wobei eine Mitursächlichkeit ausreicht (BGH, Beschluss vom 19. Mai 2009 - 3 StR 191/09, BGHR StGB § 64 Zusammenhang, symptomatischer 5). Dies ist auf Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen auszuschließen. Es besteht kein Anhalt, dass der jeweilige Entschluss, die Volksbank zu überfallen, (auch) auf den Heroinkonsum des Angeklagten zurückging, denn Motivation war allein, die für die ärztliche Behandlung der Ehefrau erforderlichen Geldmittel zu beschaffen. Im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Landgericht zudem rechtsfehlerfrei ausgeschlossen, dass sich die Einnahme von Heroin und Methadon jeweils einige Stunden vor den Taten bei deren Begehung noch auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten auswirkte. Hinsichtlich des vor der Tat zu sich genommenen Alkohols war dies zwar nicht der Fall, weil der Angeklagte erst durch diesen enthemmt in der Lage war, seinen Tatplan umzusetzen. Indes hatte der Alkoholgenuss in beiden Fällen nicht den Tatentschluss bei dem Angeklagten ausgelöst; vielmehr war er umgekehrt nur ein vom Angeklagten gezielt eingesetztes Mittel, um sich - nach Planung und Vorbereitung der Taten - psychisch in die Lage zu versetzen, den Tatplan auch durchzuführen. Dies begründete den symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Anlasstat noch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 11. September 1990 - 1 StR 293/90, NStZ 1991, 128; MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 64 Rn. 45).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.
(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.
(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
- 1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder - 2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.
(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.
(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn
- 1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder - 2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.
(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.