Bundesgerichtshof Beschluss, 07. Juli 2009 - 3 StR 223/09
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) mit den jeweils zugehörigen Feststellungen, soweit der Angeklagte wegen sexueller Nötigung und wegen Vergewaltigung in jeweils einem Fall (Fälle II. 3. und 4. der Urteilsgründe ) verurteilt worden ist sowie im Ausspruch über die Gesamtstrafe ;
b) im Ausspruch über die Kompensation einer Verfahrensverzögerung ; jedoch bleiben insoweit die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen sexueller Nötigung in jeweils zwei Fällen unter Einbeziehung der Strafen aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung von dieser Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre und sechs Monate als verbüßt gelten. Mit seiner Revision beanstandet der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen leitete der Angeklagte, ein im Tatzeitraum bei der Johanniter-Unfallhilfe beschäftigter Rettungssanitäter, eine Gruppe, die sich mit realistischen Unfalldarstellungen befasste. An vier Abenden in der Zeit zwischen Dezember 2001 und April 2002 veranlasste er jeweils ein weibliches Mitglied dieser Gruppe, mit ihm in einen Kellerraum der Johanniter-Schule in R. zu kommen. Dort nahm er an den jungen Frauen gegen deren Willen sexuelle Handlungen vor. In einem Fall (Fall II. 2. der Urteilsgründe) drang er u. a. mit einem Finger in die Vagina des Opfers ein. In einem weiteren Fall (Fall II. 4. der Urteilsgründe) führte er zunächst einen Gegenstand in die Scheide der Geschädigten ein; sodann übte er mit ihr den vaginalen Geschlechtsverkehr aus. Im Fall II. 1. der Urteilsgründe hielt er das Opfer durch die Ausübung von Druck mit seiner Hand auf ihren Bauch davon ab, sich aufzurichten. Im Fall II. 2. der Urteilsgründe drückte er die Beine der Geschädigten auseinander. Das Landgericht hat in diesen beiden Fällen die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB und daneben diejenigen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bejaht; die Verurteilung wegen sexueller Nötigung im Fall II. 3. der Ur- teilsgründe sowie wegen Vergewaltigung im Fall II. 4. der Urteilsgründe hat es ausschließlich darauf gestützt, dass der Angeklagte die Opfer unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage genötigt habe.
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- 2. Die Annahme der Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB durch das Landgericht hält in keinem Fall sachlichrechtlicher Prüfung stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die Geschädigten unter Ausnutzung einer Lage, in der sie seinen Einwirkungen schutzlos ausgeliefert waren, zur Duldung der sexuellen Handlungen nötigte.
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- Von § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB werden diejenigen Fälle erfasst, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des Täters auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint (BGHSt 50, 359, 364 ff.; 51, 280, 284). Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor Körperverletzungs- oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt (BGHSt 51, 280, 285; BGH NStZ 2003, 533, 534).
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- Eine solche Angst der Opfer gerade vor körperlichen Beeinträchtigungen , die über die sexuellen Handlungen hinausgehen, ist dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Die Ausführungen der Strafkammer im Rahmen der rechtlichen Würdigung, die Tatbestandsalternative sei deshalb erfüllt, weil der Angeklagte sich entsprechend dem von ihm zuvor gefassten Plan die abgeschiedene Lage des Raumes zunutze gemacht bzw. die sexuellen Handlungen in einer Lage vorgenommen habe, in der die Opfer seinem ungehemmten Einfluss preisgegeben gewesen seien, lässt vielmehr besorgen, dass das Tatgericht gemeint hat, allein diese Umstände reichten zur Erfüllung der Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB aus. Vor diesem Hintergrund ist den unspezifischen Formulierungen in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe, die Geschädigten hätten im Falle des Widerstands befürchtet, dass der Angeklagte mit ihnen "noch Schlimmeres" anstellen könne, bzw. sie würden es mit aktivem körperlichen Widerstand "noch schlimmer machen" nicht zu entnehmen, dass damit die Furcht der Opfer gerade vor Körperverletzungs- oder Tötungshandlungen festgestellt ist. Hinzu kommt, dass das Landgericht im Fall II. 4. der Urteilsgründe bei der rechtlichen Würdigung darauf abgestellt hat, der Angeklagte habe sich das von ihm zusätzlich vorgenommene Absperren der Tür zu einem Vorraum zunutze gemacht, während im Rahmen der Feststellungen ausgeführt wird, in der Hauptverhandlung habe nicht geklärt werden können, ob die Tür abgeschlossen war.
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- 3. Aufgrund des dargelegten Rechtsfehlers kann der Schuldspruch in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe, in denen die Verurteilung wegen sexueller Nötigung bzw. Vergewaltigung allein auf § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB beruht, keinen Bestand haben. Dies nötigt zur Aufhebung der Gesamtstrafe und damit - wegen der nicht ausschließbaren Möglichkeit, dass sich im weiteren Verlauf des Verfahrens Anlass zu einer noch höheren Kompensation ergibt - auch des Ausspruchs über die Kompensation der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. Die diesbezüglichen Feststellungen sind allerdings ohne Rechtsfehler getroffen; sie können deshalb bestehen bleiben.
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- Demgegenüber bleibt der Schuldspruch in den Fällen II. 1. und 2. der Urteilsgründe unberührt; denn das Landgericht hat die Verurteilung wegen sexuel- ler Nötigung bzw. Vergewaltigung nicht nur auf § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern daneben auch - insoweit rechtsfehlerfrei - auf § 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB gestützt. Die Einzelfreiheitsstrafen, auf die die Strafkammer in diesen beiden Fällen erkannt hat, haben ebenfalls Bestand. Das Landgericht hat bei ihrer Bemessung das Vorliegen zweier Nötigungsalternativen und den Umstand, dass nach seiner Auffassung insgesamt vier Straftaten gegeben waren, nicht strafschärfend gewertet. Der Senat schließt deshalb aus, dass es auf niedrigere Einzelstrafen erkannt hätte, wenn es zutreffend davon ausgegangen wäre, dass die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB bei keiner Tat vorlagen.
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- 4. Sollte das neue Tatgericht in den aufgehobenen Fällen die Voraussetzungen wenigstens einer Tatbestandsalternative des § 177 Abs. 1 StGB nicht feststellen können, wird es seinen Blick auch darauf zu richten haben, ob jeweils ein besonders schwerer Fall der Nötigung (§ 240 Abs. 1, Abs. 4 Nr. 1 StGB) gegeben sein könnte.
Schäfer Mayer
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter